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GESCHICHTE/322: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 144 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 46 / 15. November 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1983/II: Grundsatzerklärung "Kinder im Leistungssport"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 144)

Eine Serie von Friedrich Mevert


"In seiner Grundsatzerklärung für den Spitzensport, die vom Hauptausschuss des DSB am 11.6.1977 in Baden-Baden beschlossen wurde, hat der Deutsche Sportbund den Leistungssport bejaht und seine Verantwortung für einen humanen Sport auf allen Ebenen und in allen Bereichen betont. Diese Grundsätze gelten auch für Kinder im Leistungssport", heißt es in den Vorbemerkungen zu der Entschließung, die der Hauptausschuss sechs Jahre später fasste. Nach eingehenden Beratungen aller beteiligten Gremien sowie nach Stellungnahmen der Spitzenverbände wurde am 4. Juli 1983 eine Grundsatzerklärung zu diesem Thema verabschiedet, die Aussagen darüber macht,

- welche Chancen der Leistungssport den Kindern eröffnet,

- wie Training und Wettkampf gestaltet werden sollen,

- welche Bedingungen für den Leistungssport der Kinder, die ein geplantes und organisiertes Training betreiben und regelmäßig an Wettkämpfen auf Landes- und Bundesebene teilnehmen, zu schaffen sind.

Wesentliche Abschnitte aus der Erklärung lauten: "Grundsätze für den kindgerechten Leistungssport Die Organisation des Leistungssports der Kinder ist von den Erwachsenen vorgegeben. Kinder haben nicht unbedingt aus sich heraus ein Bedürfnis nach dem Leistungssport, wie er von den Erwachsenen betrieben und organisiert wird. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Organisation des Leistungssports mit seinen eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten Eingrenzungen und Belastungen mit sich bringt, die der allseitigen Entwicklung und der Eigenbestimmung des Kindes widersprechen. Als Grundsatz für den Leistungssport mit Kindern hat uneingeschränkt zu gelten, dass deren Entwicklung nicht zugunsten kurzfristiger Erfolge im Sport leiden darf. Es liegt darüber hinaus auch nicht im Interesse des DSB und seiner Mitgliedsorganisationen, dass bereits Kinder Höchstleistungen erbringen. Vielmehr sollen Kinder zu einem Leistungssport hingeführt werden, der sich im Jugend- und Erwachsenenalter voll entfaltet.

Daraus folgt:

- Die gesamten motorischen Anlagen, die personalen Fähigkeiten und sozialen Bedürfnisse des Kindes sind im Sport KU fördern. Eine zu frühe Spezialisierung in einzelnen Sportarten oder -disziplinen und auf eng begrenzte motorische Fertigkeiten muss dabei vermieden werden.

- Gleichrangig mit der Leistung sind die Freude am Spiel und das Gemeinschaftserlebnis des Kindes zu fördern.

- Leistung, Erfolgsorientierung, materielle und wissenschaftliche Interessen dürfen sich nicht verselbständigen und die vielseitige Entwicklung des Kindes beeinträchtigen. Der Leistungssport muss dem Kind genügend Freiraum belassen, damit es in seiner Entfaltung nicht eingeengt wird. Zur sportlichen Förderung gehört daher auch, dass das Kind zu selbständigem Handeln hingeführt wird. Im Sport sind hohe Leistungen nur dann möglich, wenn das Kind sich diese selbst zuschreiben kann und eine eigene Motivation entwickelt. Voraussetzung dafür sind die kindgemäße Information über Trainingsaufbau und Wettkampfplanung, über mögliche Folgen des Leistungssports und eine dem Alter des Kindes entsprechende Mitbeteiligung an den Entscheidungen, die es selbst betreffen - wie etwa über die Art des Trainings, die Teilnahme an Wettkämpfen und die Fortsetzung des Leistungssports. Das Kind muss auch hier lernen, über sich selbst zu bestimmen, ohne dass sich dies nachteilig auswirkt, und Misserfolge zu verarbeiten, die sich im Sport immer wieder einstellen.

- Der Leistungssport des Kindes darf auch auf das künftige Leben als Jugendlicher oder Erwachsener keine negativen Einflüsse nehmen und die schulische Entwicklung nicht gefährden. Kinder dürfen aufgrund ihrer sportlichen Interessen weder benachteiligt noch bevorzugt werden; sie müssen auch in der Lage sein, vielfältige soziale Kontakte nicht nur im Training und Wettkampf, sondern auch außerhalb des Sports im Familien- und Freundeskreis zu pflegen; eine eventuelle soziale Isolation aufgrund ihrer besonderen Stellung muss vermieden werden und ihnen genügend Raum für die Pflege weiterer lebensbegleitender Freizeitinteressen verbleiben.

Folgerungen für die Gestaltung des Leistungssports mit Kindern Um den Leistungssport mit Kindern im Sinne dieser Forderungen zu gestalten, müssen folgende organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden:

(1) Die Bedingungen des Trainings und des Wettkampfes sind der besonderen Lage des Kindes, seinen Anlagen, Fähigkeiten und Entwicklungsbedingungen anzupassen:

- Für das Training müssen Rahmenpläne entwickelt werden, die die verantwortbare Belastbarkeit des Kindes berücksichtigen.

- Inhalte und Methoden des Trainings müssen kindgemäß sein; Bewegungsvielfalt und eine vielseitige konditionelle Ausbildung haben Vorrang vor einer frühen Spezialisierung. Die Übungsstätten sind entsprechend einzurichten.

- Training und Wettkampf sind zeitlich so zu begrenzen, dass dem Kind ausreichend Zeit für andere Lebensbereiche - Schule, Familie, Freunde etc. - verbleibt. Auf ein Training frühmorgens und spätabends wird grundsätzlich verzichtet.

- Das Wettkampfangebot sollte altersabhängig regionale Begrenzungen haben, um einerseits unangemessenem Erfolgsdruck durch das Streben nach Höchstleistungen und Titeln vorzubeugen und um andererseits die Gefahr zu vermeiden, dass die Person und ihre Wettkampfergebnisse überbewertet werden.

- Mannschaftswettbewerbe sind besonders zu fördern; das Ausmaß der Einzelmeisterschaften ist zu überdenken.

- Nicht nur während, sondern auch nach der Zeit als Leistungssportler sollen Vereine und Verbände für die soziale Betreuung hinsichtlich Schule und Berufsbildung, sozialer Kontakte, etc. sorgen.

- Auf eine zu frühe Eingliederung in Bundes- und Landeskader sollte verzichtet, die Kaderzugehörigkeit nicht nur vom gegenwärtigen Leistungsstand, sondern auch von der langfristigen Leistungserwartung abhängig gemacht werden.

(2) Der Trainer hat über seine rein sportliche Aufgabe hinaus eine pädagogische Verantwortung für Gegenwart und Zukunft der ihm anvertrauten Kinder. Er muss Kenntnisse über die besonderen biologischen, psychischen und sozialen Entwicklungsprobleme des Kindes besitzen und sie in der Betreuung der Kinder anwenden können. Dabei muss er davon ausgehen, dass er Probleme des Leistungssports mit Kindern nicht generell und nach allgemeinen Regeln bewältigen kann, sondern dass er die besondere Lage, die Leistungsmöglichkeit und Belastungsgrenzen jedes einzelnen Kindes zu erkennen und zu berücksichtigen hat. Auf diese besondere Aufgabe muss der Trainer in seiner Ausbildung vorbereitet werden; die pädagogische Qualifikation ist durch die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen stetig zu verbessern.

(3) Es ist eine sorgfältige medizinische Eignungsuntersuchung nötig, die auf der einen Seite gewährleistet, dass nur Kinder ohne gesundheitliche Risiken zum Leistungssport zugelassen werden, und die auf der anderen Seite eine Beratung über die möglichen Sportarten und die Belastbarkeit im Training zulässt. Gleichzeitig ist eine gründliche und kontinuierliche sportmedizinische Betreuung erforderlich.

(4) Die Eltern müssen regelmäßig über gegenwärtige Situation, Möglichkeiten und Risiken der sportlichen Entwicklung ihrer Kinder informiert werden, damit sie diese in ihrer Erziehung richtig begleiten und unterstützen können. Dabei ist darauf zu achten, dass Eltern nicht einen Leistungs- und Erfolgszwang ausüben, der für ihre Kinder schädlich sein kann."

In einem gesonderten Kapitel werden die Aufgaben und wichtigen Rollen der beim Leistungssport der Kinder Verantwortlichen beschrieben, insbesondere das Elternhaus, der Verein mit Trainern und Betreuern sowie die Schule im Zusammenhang mit der Talentförderung.

In den "Schlussbemerkungen" der Erklärung heißt es:

"Eine wesentliche Bedeutung für die Entwicklung und Erziehung des Menschen hat der Sport im Kindesalter. Dieser verwirklicht sich u. a. durch Leistungsstreben und Leistungsvergleich in kindgemäßer, spielerischer Form ohne Nachteil für die gesamte Entwicklung des Kindes. Mit dieser Grundsatzerklärung will der Deutsche Sportbund die positiven Wirkungen des Leistungssports der Blinder voll zum Tragen bringen, indem er zugleich auf seine notwendigen Begrenzungen hinweist. Der DSB und seine Mitgliedsorganisationen werden sich dafür einsetzen, dass die Grundsätze dieser Erklärung in die Wettkampfordnungen und die Trainingsgestaltung des Leistungssports der Kinder Eingang finden und diese Grundsätze auch von den internationalen Föderationen anerkannt werden."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 46 / 15. November 2011, S. 28
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2011