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GESCHICHTE/285: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 114 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 12 / 22. März 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1977/II: DSB beschloss "Grundsatzerklärung für den Spitzensport"
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 114)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Eine Vielzahl von Memoranden und Erklärungen macht die vielfältige gesellschafts- und bildungspolitische Arbeit des DSB im Jahre 1977 deutlich. Am 5. April wurden die Grundsätze verabschiedet, die für die Anerkennung von Stützpunkten zwischen Bund, Ländern und dem DSB abgestimmt worden waren. Bei der 17. Hauptausschuss-Sitzung am 11. Juni in Baden-Baden wurde eine "Grundsatzerklärung für den Spitzensport" beschlossen, die in drei Abschnitten Grundsätze, Verpflichtungen und Forderungen artikuliert. Nur der Deutsche Eissport-Verband enthielt sich der Stimme: Präsident Herbert Kunze hatte eine schärfere Formulierung und die Entfernung aller Doping-Sünder aus dem deutschen Sport gefordert. Ein "Grundgesetz zum Schutz des Spitzensportlers" nannte DSB-Präsident Willi Weyer die Erklärung, die von einer Kommission mit Prof. Ommo Grupe, Dieter Graf Landsberg-Velen, Heinz Fallak und Prof. Helmut Digel vorbereitet und mit dem Präsidium des NOK abgestimmt worden war.

Weyer hatte sich für einen menschlichen Leistungssport ausgesprochen, "der seine Macht aus seiner moralischen Kraft bezieht". Die Grundsätze bezeichnete er als Orientierungsrahmen, an den sich jeder zu halten habe. Schon bei der Vorlage der von DSB und NOK eingesetzten Kommission hatten beide Dachorganisationen einen Appell "an alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, insbesondere an Parlamentarier auf allen Ebenen, Arbeitgeber, Gewerkschaften und Kirchen" gerichtet, "die soziale Verantwortung für die Spitzensportler mittragen".


Aus der sechs DIN A-4-Seiten umfassenden Erklärung zitieren wir die Abschnitte I und III:

"I. Grundsätze

1. Die deutsche Sportbewegung steht zu ihrer Verantwortung für einen humanen Sport auf allen Ebenen und in allen Bereichen

2. Sie bejaht den Leistungssport, die sportliche Spitzenleistung und die Beteiligung an internationalen Wettkämpfen einschließlich Olympischer Spiele unter Wahrung von Chancengleichheit und Humanität

3. Sie stellt den Athleten und seine trainingsspezifische, medizinisch-ärztliche sowie pädagogisch-psychologische Betreuung in den Mittelpunkt ihres Handelns

4. Sie sieht in der sozialen Fürsorge für den Athleten eine vordringliche Verpflichtung

5. Sie lehnt jede medizinisch-pharmakologische Leistungsbeeinflussung und technisch Manipulation am Athleten zum Zwecke der Leistungssteigerung ab, da sie seine Würde beeinträchtigen, dem Sinn des Sports widersprechen und schädigende Nebenwirkungen nicht ausschließen

6. Sie ruft Staat und Gesellschaft auf, bei der verantwortungsbewußten Förderung des Athleten unter Wahrung der Eigenständigkeit des Sports mitzuwirken.

III. Verpflichtungen und Forderungen

Die sportliche Höchstleistung wird von vielfältigen Faktoren bestimmt. Daher ist es erforderlich, sie auch durch solche Maßnahmen zu fördern, die bisher nicht oder noch nicht in ausreichendem Umfang getroffen wurden.

Aus den Grundsätzen, die von den Athleten mitgetragen werden, ergeben sich folgende Verpflichtungen und Forderungen:

- Die Sportverbände und ihre Mitglieder werden - auch im Sinne der Rahmenrichtlinien des DSB - ihre Dopingbestimmungen überprüfen, dort, wo erforderlich, im Sinne dieser Erklärung verändern, durch das Verbot von Anabolika und technischen Manipulationen am Athleten vervollständigen und international auf Erstellung bzw. Vervollständigung entsprechender Regelungen drängen. Sie werden für geeignete Kontrollverfahren und Sanktionsmaßnahmen bei Verstößen sorgen.

- Die Spitzenverbände werden zusammen mit dem Bundesausschuss für Leistungsaport die pädagogisch-psychologische Betreuung des Athleten intensivieren, das Schulungsprogramm verbessern und auf eine wirkungsvollere Aus- und Weiterbildung der Trainer hinwirken.

- Der Deutsche Sportärztebund wird den im DSB zusammengeschlossenen Verbänden bei der Vervollständigung ihrer Dopingliste und bei den durchzuführenden Kontrollen behilflich sein und in Zusammenarbeit mit anderen ärztlichen und Gesundheitsorganisationen die Sportöffentlichkeit, insbesondere Athleten, Trainer, Betreuer und Funktionäre, vollständig über Medikamentengebrauch und dessen Gefahren aufklären; vor allem sind Eltern von Leistungssport treibenden Jugendlichen zu informieren.

Die Sportärzte werden aufgefordert, die genannten Grundsätze in ihrem Aufgabenbereich durchzusetzen.

- Die sportwissenschaftlichen Einrichtungen, insbesondere das Bundesinstitut für Sportwissenschaft, werden aufgefordert, im Einvernehmen mit den Sportorganisationen gezielte Untersuchungen zu psychologischen, pädagogischen, trainings- und bewegungswissenschaftlichen Maßnahmen zur Leistungsverbesserung durchzuführen und die Dopinganalytik zu verbessern.

- Die Deutsche Sporthilfe wird ihre Maßnahmen im Sinne der Grundsätze konsequent fortsetzen und für eine Ausweitung der sozialen Förderung der Athleten sorgen.

- Der Deutsche Bundestag und die Bundesregierung werden gebeten, die für Forschung auf dem Gebiet des Leistungssports sowie die für Aufklärungs- und Kontrollmaßnahmen notwendigen finanziellen Mittel bereitzustellen.

- Auch Länder und Gemeinden, Arbeitgeber und Gewerkschaften werden gebeten, die Voraussetzungen zu schaffen, dass sportlich talentierte Kinder und Jugendliche ihren sportlichen Interessen neben schulischer und beruflicher Ausbildung unbesorgt nachgehen können und ihre qualifizierte pädagogische Führung gesichert ist.

- An Sportjournalisten, Politiker und die Öffentlichkeit wird appelliert, die deutsche Sportbewegung bei der Durchsetzung der Grundsätze zu unterstützen, dabei die Leistungen unserer Sportler nicht allein an Medaillen und Rekorden zu messen, sondern auch deren individuelle Leistungen und deren Rangplätze im internationalen Leistungsvergleich zu würdigen.

- An die Partner des Sports - die politischen Parteien, die Kirchen und andere gesellschaftliche Gruppen - wird appelliert, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten die deutsche Sportbewegung bei der Verwirklichung dieses Programms zu unterstützen.

Die deutsche Sportbewegung ist davon überzeugt, dass bei Erfüllung dieses Programms die wichtigsten Bedingungen geschaffen sind, die es einem Athleten möglich machen, hohe sportliche Leistungen in einer unserem Gesellschaftssystem angemessenen und den Prinzipien des Sports gerecht werdenden Form zu erstreben und zu erreichen."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 12 / 22. März 2011, S. 17
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. März 2011