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GESCHICHTE/281: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 110 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 8 / 22. Februar 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1976/II: UNESCO-Konferenzen zu Leibesübung und Sport
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 110)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Der Vierte Sportbericht der Bundesregierung vom 3. August 1978 informierte auch über die 1976 stattgefundenen UNESCO-Konferenzen in Paris und Nairobi, die die Leibeserziehung und den Sport zum Inhalt hatten. Im Abschnitt 1.19.2 des Berichtes heißt es dazu: "Im Weltsport zeichnete sich im Berichtszeitraum die vor allem von Ländern der Dritten Welt verfolgte Tendenz ab, eine "Neue Weltordnung des Sports" durch eine "Demokratisierung" der internationalen Sportorganisationen, insbesondere des Internationalen Olympischen Komitees, zu schaffen. Mit diesen Bestrebungen hatten sich die 1. Internationale Konferenz der UNESCO der für Leibeserziehung und Sport verantwortlichen Minister und Hohen Beamten, die 19. UNESCO-Generalkonferenz und die 1. und 2. Sitzung des Zwischenstaatlichen Interimsausschusses für Leibeserziehung und Sport der UNESCO auseinanderzusetzen.

a) Die 1. Internationale Konferenz der UNESCO der für Leibeserziehung und Sport verantwortlichen Minister und Hohen Beamten tagte vom 5. bis 10. April 1976 in Paris unter dem Generalthema "Sport als Mittel einer lebenslangen Erziehung". Sie befasste sich mit

- der Rolle des Sports in der Gesellschaft und Erziehung,
- der Rolle der UNESCO bei der weltweiten Förderung des Sports und bei der internationalen Zusammenarbeit, ferner
- den Aufgaben der Regierungen und Sportorganisationen sowie den Entscheidungsverfahren und Strukturen der internationalen Sportorganisationen.

Es wurden Resolutionen vornehmlich zu folgenden Ehernen verabschiedet:

- Erarbeitung einer internationalen Deklaration über Leibeserziehung und Sport;
- Rolle der UNESCO und der internationalen Sportorganisationen;
- Internationale Zusammenarbeit und deren Finanzierung,

b) Die 19. Generalkonferenz der UNESCO im Oktober 1976 in Nairobi behandelte die Vorschläge der 1. UNESCO-Ministerkonferenz. Mit einer abgestimmten Konferenzstrategie traten die westlichen Länder den Bestrebungen entgegen, die auf eine staatliche Reglementierung des internationalen Sportverkehrs abzielten.

Die Generalkonferenz setzte einen "Zwischenstaatlichen Interimsausschuss für Leibeserziehung und Sport" (Vertreter von 30 Ländern) ein, dem auch die Bundesrepublik Deutschland angehört. Der Ausschuss wurde beauftragt, bis zur 20. Generalkonferenz im Oktober 1978 folgende Konzeptionen auszuarbeiten:

- Vorbereitung des Entwurfs der Statuten für einen ständigen "Zwischenstaatlichen Ausschuss für Leibeserziehung und Sport",
- Entwurf der Statuten für einen internationalen Fonds (UNESCO-Sportfonds) zur Förderung von Leibeserziehung und Sport,
- Entwurf einer internationalen Deklaration über Leibeserziehung und Sport,
- Entwurf eines UNESCO-Sportprogramms,
- Analyse von Problemen und Schwierigkeiten bei der Organisation und Durchführung internationaler Sportwettkämpfe,
- Lösungsvorschläge, auf deren Grundlage die Probleme und Schwierigkeiten bei der Organisation und Durchführung internationaler Sportwettkämpfe durch abgestimmte zwischenstaatliche Maßnahmen vermindert werden können."

Das Präsidium des DSB reagierte unverzüglich auf die Pariser UNESCO-Beratungen und beschloss in seiner Sitzung am 7. Mai in Berlin eine Resolution, in der sich der deutsche Sport ganz entschieden gegen die in Paris offenkundig gewordene Absicht wandte, den freien Weltsport in ein staatlich gelenktes System überführen zu wollen.

Die Resolution hatte folgenden Wortlaut:

"Das schon bei den Europäischen Sportkonferenzen erkennbare Ziel einer Reihe von politisch oder staatlich gelenkten Sportorganisationen und Institutionen, den Sport weltweit unter staatliche Regie zu bringen, ist bei der UNESCO-Konferenz im April 1976 in Paris ganz offenkundig geworden. Hinter der Forderung nach einer "neuen Sportordnung in der Welt" verbirgt sich nämlich vornehmlich dieses Ziel.

Der Deutsche Sportbund wendet sich entschieden gegen die Absicht, den freien Weltsport in ein staatlich gelenktes System überführen zu lassen. Er beobachtet gleichzeitig mit großer Sorge, dass das IOC und die internationalen Föderationen bisher tatenlos zusehen, wie ihre Autorität verfällt, die Grundlagen des internationalen Sports ausgehöhlt, die universalen Konventionen des Sports auf die Ebene staatlicher Abkommen verschoben und damit dem Spiel der politischen Machtblöcke ausgeliefert werden.

Die Weltsportbewegung ist kein staatliches Instrument. Sie ist vielmehr die freie Willenserklärung der Sportler, freiwillig in gegenseitiger Achtung und Anerkennung, in uneingeschränkter Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, unabhängig von Rassen und Religionen, politischen Auffassungen und gesellschaftlichen Systemen miteinander Sport zu treiben. Diese Prinzipien haben sich in diesem Jahrhundert bewährt, und es gibt deshalb auch keinen Grund, sie zu ändern.

Der Deutsche Sportbund weiß sich mit der Bundesregierung und der Opposition in der Auffassung einig, dass auch für den internationalen Sport die Faustregel gilt: So viel freie Initiative wie möglich und so wenig Staat wie nötig. Der universale Charakter des Sports ist durch eigene fortschrittliche Politik von fremden Einflüssen und Pressionen freizuhalten. Die Regeln, Bestimmungen und allgemeinen Gepflogenheiten des IOC und der internationalen Föderationen allein bilden die Grundlage für den weltweiten Sportverkehr und müssen es bleiben.

Der Sport entwickelt sich in den einzelnen Ländern entsprechend den dort vorhandenen staatlichen und politischen Strukturen. Dies ist untereinander zu respektieren, und niemand darf versuchen, dem anderen sein System aufzudrängen. Voneinander abweichende Auffassungen über die gesellschaftspolitische Rolle des Sports schließen - wie die Erfahrung lehrt - bilaterale Beziehungen unterschiedlich strukturierter Organisationen und Institutionen nicht aus und sind auch für die vielseitige Entwicklungshilfe kein Hindernis.

Die Weltsportbewegung braucht für den internationalen Austausch der Sportler liberale Regeln ohne staatlichen Dirigismus und Bürokratie. Sie wird nur dann ihren friedlichen Zielen näherkommen, wenn alle uneingeschränkt die in den Regeln der internationalen Föderationen vorgegebene Freizügigkeit beachten.

In diesem Sinne appelliert der DSB an seine Partner in der Welt, die Prinzipien eines freien Weltsports und seine Universalität entschlossen zu verteidigen."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 8 / 22. Februar 2011, S. 23
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011