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GESCHICHTE/276: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 106 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 4 / 25. Januar 2011
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1975/IV: Resolution gegen Fehleinschätzung von Sport und Bildung
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 106)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Der Hauptausschuss des Deutschen Sportbundes befasste sich am 14. Juni 1975 in Frankfurt unter dem Generalthema "Sport und Bildung" mit Problemen, die sich aus der Tatsache ergaben, dass einige Bildungsgesetze der Bundesländer den Sport nicht nur ganz ausließen, sondern den Turn- und Sportvereinen z. B. mit den Programmen der Volkshochschulen die Konkurrenz ins Haus brachten.

So werden die weitgehend aus öffentlichen Mitteln finanzierten Volkshochschulen vom Weiterbildungsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen z. B. verpflichtet, alle Sachbereiche flächendeckend anzubieten; dazu gehören nach den Verwaltungsvorschriften auch "Angebote, die den Zweck haben, die Teilnehmer zu befähigen, ihre Freizeit aktiv zu gestalten u. a. durch Sport- und Gymnastik-Unterricht".

Dies ist eine einseitige Begünstigung der Volkshochschulen, die über ein besseres hauptamtliches Management verfügen, vereinsähnliche Strukturen zu entwickeln, Sportkurse in öffentlichen Einrichtungen mit Vorrang abzuwickeln und Vereins-Übungsleiter durch bessere Honorierung abzuwerben beginnen. Das alles rührt an die Existenz der gemeinnützigen Turn- und Sportvereine. Zur Abwendung der Ungleichbehandlung hat der Hauptausschuss des Deutschen Sportbundes deshalb die nachfolgende Resolution verabschiedet:

"1. Der Sport in seinen vielfältigen Formen, Situationen und mit seinen unterschiedlichen Anforderungen an den Einzelnen und an Gruppen ist auch ein wichtiges Gebiet individueller, kultureller und sozialer Bildung:

- Sport bietet in einer Zeit der Bewegungsarmut Möglichkeiten aller Art zur Bewegung und klärt über die Wirkungen von Bewegung, aber auch von Bewegungslosigkeit, auf.

- Im Sport kann der Mensch allein und in der Begegnung mit anderen für sein Leben notwendige körperliche, materiale, soziale und personale Grunderfahrungen sammeln.

- Kenntnisse über den Sport gewähren einen Einblick in dieses wichtige gesellschaftliche Phänomen und erlauben es, auf diesem Gebiet zu reflektieren und zu handeln. Ausgehend von diesen Grundtatsachen im Bereich der Bildung werden Sportverbände und Sportvereine allen Kriterien der Weiterbildung gerecht. Sie sind rechtsfähig und gemeinnützig, und ihre Ausbildungsgänge sportpraktischer und sportorganisatorischer Art sind organisierte Lernprozesse, die eine abschlussbezogene Bildung vermitteln.

2. In den Gesetzen des Bundes und der Länder, die sich mit Bildung (Erwachsenenbildung, Jugendhilfe, Weiterbildung, Hochschulrahmen etc.) befassen, ist der Sport trotz seiner weitreichenden Bildungsmöglichkeiten gar nicht oder höchst unzureichend berücksichtigt, und wo es in einzelnen Ansätzen geschehen ist, kommen die Belange der Sportverbände und Sportvereine gegenüber anderen Bildungsinstitutionen (wie z. B. der Volkshochschule) entschieden zu kurz. Diese Tatsache kennzeichnet eine erschreckende Fehleinschätzung der gesellschaftspolitischen Leistung der Turn- und Sportbewegung und der pädagogischen Wirkungen des Sports gerade auf die Bürger eines freiheitlich-demokratischen Staatswesens.

3. Der Deutsche Sportbund und seine Mitgliedsorganisationen fordern, dass der Sport in Zukunft als vollgültiger, nicht austauschbarer Bestandteil auch der Weiterbildung anerkannt wird und demzufolge in allen Gesetzen und Bestimmungen zur Bildung und Weiterbildung einen angemessenen Platz findet. Alle Sportverbände und Sportvereine sind als freie Träger von Weiterbildung anzuerkennen. Die Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen des Sports müssen demnach auch bezahlten Bildungsurlaub erhalten.


Die Sportorganisation selbst ist aufgefordert,

- ihre Weiterbildungsmaßnahmen durch Intensivierung des Freizeitsports, durch Verstärkung der Multistruktur ihrer Vereine und durch Angebote sportlicher Kurse an Nichtmitglieder zu einer offenen Bildung zu machen;

- eine planmäßige und kontinuierliche Weiterbildung ihrer Mitarbeiter sicherzustellen;

- verstärkt hauptamtlich tätige pädagogische Mitarbeiter einzusetzen.

4. Der Hauptausschuss des DSB beauftragt das Präsidium, die Berücksichtigung des Sports bei der Entwicklung von Weiterbildungsgesetzen etc. weiterhin kritisch zu verfolgen und alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Position des Sports in diesen Gesetzen zu sichern."


Eine neue Aktion des Deutschen Sportbundes: "Trimm-Trab" = Laufen ohne zu Schnaufen

Am 16. April 1975 eröffnete Bundespräsident Walter Scheel gemeinsam mit Bundesministerin Katharina Focke und DSB-Präsident Willi Weyer als aktiver Läufer die Trimm-Saison 1975 mit einem "Trimm-Trab" auf dem Bonner Venusberg.


Vom DSB wurde diese Aktion wie folgt vorgestellt:

"Im Zeitalter, in dem der Gang zum Kaufmann zur Fahrt ins Einkaufszentrum wurde, da man das Autokino und den Autobankschalter erfand und 20.000 Kilometer ein durchschnittliches Jahrespensum hinter dem Steuer darstellten - ausgerechnet in diesem Zeitalter gibt es überall in der Welt schon Millionen von Menschen, die jede Woche eine Strecke von vielen Kilometern im Laufschritt zurücklegen und im Laufe eines Jahres auf tausend und mehr selbst erlaufene Kilometer kommen. Allein in den Vereinigten Staaten laufen regelmäßig acht Millionen Menschen. 'Jogging', wie sich dieses langsame erholsame und nicht überfordere Laufen dort nennt, breitet sich in immer mehr Ländern, vor allem den hochindustrialisierten Ländern der Welt, aus. Der Deutsche Sportbund hat für das Wort 'Jogging' eine Bezeichnung gefunden, die zu unserer Sprache und auch zur Trimm-Aktion passt: 'Trimm-Trab - das neue Laufen ohne zu schnaufen' soll den Hauptinhalt der Trimm-Aktion bilden. Es wird kaum einen Bürger unseres Landes geben, der die Aufforderung zum langsamen, gesunden Dauerlauf, zum Trimm-Trab, nicht sehen oder hören wird.

Hunderte von Zeitungen werden die Aufforderung in Anzeigen regelmäßig ausdrucken, das Fernsehen wird kurze Filme dazu senden, über eine Million Broschüren werden Ratschläge geben, hunderttausend Plakate werden ausgehängt sein. Laufen kommt in Mode durch Trimm-Trab. Hunderttausende von Menschen werden ein neues Bewegungsgefühl entdecken, sie werden an sich selbst erleben, wie sich Herz und Kreislauf verjüngen und die Taille wieder schlanker wird, sie werden anderen Menschen davon erzählen. Aus dem Schneeball kann eine Lawine werden.

Die meisten Mitmenschen müssen allerdings ein zweites Mal im Leben laufen lernen. Das ist ein Grund, warum die Aktion Lauf-Treff durchgeführt wird. (...) Sich zum Laufen aufzuraffen und dann auch noch einsam durch die Wälder zu traben - das ist bei manchen zuviel verlangt. Gemeinsam trabt und schwitzt es sich leichter, vor allem, wenn ein Lauf-Treff nicht ein bitterernstes Gesundheitstraining, sondern die modernste Art von 'Stammtisch' oder 'Kaffeekränzchen' ist, die man sich vorstellen kann: Kontakt, Geselligkeit, Gespräche beim Zockeltrab durch die Natur. Der Lauf-Treff ist keine Trainingsstunde für Spitzensportler. Die kleinste Leistung zählt hier ganz besonders, denn sonst werden nicht jene Leute gewonnen, denen heute zehn Meter vom Auto zum Picknickplatz schon genug Bewegung sind. Gerade um sie muss es aber besonders gehen."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 4 / 25. Januar 2011, S. 23
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2011