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GESCHICHTE/268: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 100 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 46 / 16. November 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1974/III: Willi Weyer übernimmt die Führung des DSB
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 100)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Nach Willi Daume (1950 bis 1970) und Wilhelm Kregel (1970 bis 1974) übernahm beim DSB-Bundestag am 24. und 25. Mai 1974 im Essener Saalbau erstmals ein Vollblutpolitiker die Präsidentschaft der Dachorganisation des deutschen Sports: Willi Weyer aus Hagen. Der bei nur drei Enthaltungen einstimmig gewählte FDP-Politiker und nordrhein-westfälische Innenminister betonte nach seiner Wahl die Unabhängigkeit des Sports und seiner Führungsorgane vom Staat und von den Parteien. Außerdem versicherte er, dass er sich systematisch von seinen politischen und staatlichen Ämtern lösen werde. Willi Weyer war bereits 1969 unter Willi Daume schon einmal Geschäftsführender Präsident des DSB gewesen, aber von dieser Funktion zurückgetreten.

Das LSB-Organ "Sport in Niedersachsen" berichtete in der Ausgabe 6/74 ausführlich über diesen Bundestag:

"Mit einer selbstbewussten sportpolitischen Erklärung, in der die völlige Unabhängigkeit des Sportes und seiner Führungsorgane vom Staat und den Parteien deutlich herausgestellt wurde, übernahm der 57 Jahre alte FDP-Politiker und Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Willi Weyer, auf dem Bundestag des Deutschen Sportbundes in Essen die Präsidentschaft dieser Dachorganisation, die die Interessen von 12 Millionen Sportlern vertritt.

Nach Willi Daume (1950 bis 1970) und Dr. Wilhelm Kregel (1970 bis 1974) ist Weyer der dritte Steuermann des DSB, den er mit einem in sich geschlossenen Präsidium mit dem vollen Einsatz seiner Person zu führen gedenkt.

'Da ich meine Funktion nicht mit der leichten Hand erfüllen möchte', sagte Weyer, 'werde ich mich systematisch aus meinen politischen und staatlichen Ämtern lösen.' Vom Frühjahr des nächsten Jahres an gibt es keinen Abgeordneten und keinen Innenminister Weyer mehr - auch keinen Kandidaten für den Landtag.

Unter Willi Weyer wurden Hans Hansen (Kiel), Hans Gmelin (Tübingen) und Graf Landsberg-Velen (Wocklum) die drei neuen Vizepräsidenten. Nur Hans Gmelin stammt noch aus dem alten DSB-Präsidium unter Dr. Kregel, der sieben Wochen nach seinem Rücktritt am 6. April zum Ehrenmitglied des DSB ernannt wurde. Die Wahl Willi Weyers, der schon 1969 einmal Geschäftsführender Präsident des DSB war, erfolgte mit 331 Ja-Stimmen bei drei Enthaltungen. Von den insgesamt neun gewählten Mitgliedern des Gesamtpräsidiums erhielten im übrigen nur Schatzmeister Arthur Mayer (Schongau), das Präsidialmitglied für Rechts-, Sozial- und Steuerfragen, Karl Hemberger (Johannesberg) und das Präsidialmitglied für Wissenschaft und Bildung, Prof. Dr. Ommo Grupe (Tübingen), keine Gegenstimme und keine Enthaltung.


Josef Neckermann warnte vor Doping-Missbrauch

Während DSB-Vizepräsident Hans Gmelin die Bedeutung des Vereins in der heutigen Gesellschaft hervorhob und der Bürokratie vorwarf, sie treibe vereinsfreundliche Maßnahmen nicht voran, warnte Josef Neckermann als Vorsitzender der Deutschen Sporthilfe bei seinem Plädoyer für den Leistungssport, dessen Interessen als Präsidialmitglied im DSB Heinz Fallak (Wiesbaden) vertreten wird, vor dem Doping-Missbrauch: 'Kein Sportler wird von der Stiftung mehr unterstützt, der sich des Aufputschens schuldig gemacht hat.' Der Deutsche Fußball-Bund ließ durch seinen Präsidenten Dr. Gössmann erklären, dass die Vorbehalte seines Verbandes gegenüber dem Terminkalender für Begegnungen mit der DDR zum Rücktritt von Dr. Wilhelm Kregel am 6. April geführt haben. Der DFB bekenne sich voll und ganz zu den Zielen des DSB.


Sport als Element der Lebensgestaltung

Im 24. Jahr seines Bestehens erlebte der Deutsche Sportbund (DSB) eine gesellschaftspolitische Aufwertung erster Ordnung. In der generellen Deutung des Sports übereinstimmend und sich nur in Nuancen unterscheidend stellten die Parteiführer Heinz Kühn (SPD), Helmut Kohl (CDU), Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Franz-Josef Strauß (CSU) auf dem Bundestag des DSB im Städtischen Saalbau in Essen fest, dass 'der Sport ein wesentliches Element der Lebensgestaltung' (so Kühn) sei.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Heinz Kühn begrüßte als SPD-Sprecher das Abkommen mit der DDR, wünschte freilich von der anderen Seite noch mehr Kooperation, mehr Einsicht. Er bezeichnete den Sport in seiner ganzen Vielfalt als 'wesentliches Element der Lebensgestaltung'.

Helmut Kohl, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz (CDU), warnte davor, den 'Sport zum Mittel der Politik zu degradieren', 'den Breiten- und Leistungssport ideologisch aufzuladen' und es 'beim Hochmut der Wissenschaftler in Fragen der Leibeserziehung' zu belassen. Kohl, der starken Beifall der Delegierten erhielt, folgte damit der tags zuvor vom DSB gefassten eindeutig positiven Resolution zum Leistungssport mit der konkreten und unzweideutigen Formulierung: 'Ohne Leistung bewegt sich dieses Land nicht.'

Als Gast von der FDP wünschte sich Außenminister Hans-Dietrich Genscher ein partnerschaftliches Verhältnis von Sport und Staat und näherte sich Kohl, als er sagte: 'Wenn zwei Jungen sich über 100 Meter vergleichen wollen, müssen Marx und Lenin nicht mitlaufen.' Franz-Josef Strauß schließlich sprach das Lob der Vereine und der vielen Helfer im Sport. Die gesellschaftspolitische Rolle des Sports, so die vier Sprecher gemeinsam, könne also nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Willi Weyer, der an diesem Wochenende für mancherlei Enttäuschung im Kreis der höchsten Sportführer entschädigt wurde, erwiderte in der sicheren und selbstbewussten Art eines anerkannten Partners den Repräsentanten der vier staatstragenden Parteien: 'Ich werde Sie beim Wort zu nehmen wissen.' In dem Politiker Weyer, der 1975 alle seine Ämter in FDP und in Heinz Kühns Düsseldorfer Kabinett niederlegen will, haben Parlament und Regierung in Bonn mit Sicherheit einen unhandlichen Förderer und Mahner bekommen.

Weyer versteht seine Aufgabe pragmatisch. Er wird gangbare Wege suchen, aber Kontroversen nicht scheuen, kurz: stets und ohne bunte Schnörkel das klare notwendige Wort sagen."


Eine untergejubelte Abkürzung

Unter der Überschrift "Untergejubelt" kritisierte Ernst-Dieter Schmickler, damals sportpolitischer Mitarbeiter des SID, in einem Kommentar den Gebrauch der Abkürzung "BRD" auch im Sport: "Weder im Grundgesetz noch in einer regierungsamtlichen Verlautbarung oder in einer Satzung des Deutschen Sportbundes oder der Fachverbände sind diese drei Buchstaben zu finden: BRD. Wie über Nacht scheint dieses Synonym für "Bundesrepublik Deutschland" in Mode gekommen zu sein, besonders im Vokabular der Sportorganisation und des Sportjournalismus. Gäbe es ein Urheberrecht für dieses seltsames BRD, die Kasse der DDR würde in DM-West wieder reichlich klingeln.

Der Sport hätte daran einen beachtlichen Anteil, obwohl die innerdeutschen Sportbeziehungen gegenwärtig alles andere als 'rosa Zeiten' haben. Tatsächlich stammt die Kurzbezeichnung aus dem politisch-ideologischen Repertoire der DDR. Vor allem der Sport hat dazu beigetragen, dass dieser taktische Schachzug Ostberlins ein Volltreffer wurde.

Im Gegensatz zu der von der Ostberliner Führung offiziell proklamierten Kurzbezeichnung DDR war in der Bundesrepublik Deutschland bislang eine ähnliche Dreibuchstaben-Bezeichnung nicht üblich. Der DDR-Führung ist sehr daran gelegen, den Deutschland-Begriff aus dem allgemeinen Sprachgebrauch zu verbannen. In der weltweiten Sportberichterstattung bot sich hier ein wirkungsvolles Erprobungsfeld.

Ostberlin wird kaum bestreiten, dass westlich und östlich der Elbe Deutsche leben. Die DDR-Führung hat aber bei ihrer Staatsgründung auf das Wort 'Deutschland' verzichtet, in der Bundesrepublik war dies freilich anders. Aus kurzsichtigen ideologischen Finessen auf dieses 'Deutschland' zu verzichten, erscheint weder sinnvoll noch gerechtfertigt. Der Sport sollte keine negativen Pionierdienste leisten, auch wenn die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 ein scheinbar gutes Exerzierfeld für drei widersinnige Buchstaben ist."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 46 / 16. November 2010, S. 21
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2010