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GESCHICHTE/267: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 99 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 45 / 9. November 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1974/II: DFB lehnt Begegnungsliste ab - DSB-Präsident Kregel tritt zurück
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 99)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Nach langwierigen Verhandlungen hatten der DSB und der DTSB der DDR am 8. Mai 1974 ein "Sportprotokoll" zur Regelung der gemeinsamen Sportbeziehungen unterzeichnet. Im "Bericht des Präsidiums des DSB 1974 bis 1978" wird in Abschnitt 5.3.2 dazu folgendes ausgeführt: "Als Folge des 'Düsseldorfer Beschlusses', mit dem der DSB und das NOK für Deutschland am 16.8.1961 die Abschnürungsmaßnahmen der DDR vom 13.8.1961 beantworteten, gab es zwischen dem August 1961 und Anfang 1966 keinen (erlaubten) und zwischen 1966 und dem 8.5.1974 nur einen mehr als spärlichen innerdeutschen Sportverkehr. Der Sport konnte damals (ebenso wie heute) nicht mehr erreichen, als es die allgemeine politische Entwicklung zuließ. Dies wurde auch deutlich in den Verhandlungen des DSB mit dem DTSB der DDR am 2.7.1970 in Halle, 20.11.1970 in München, 14.3.1973 in Dresden, 10.5.1973 in Frankfurt/Main und 2.7.1973 in Magdeburg. Der DTSB der DDR war nicht bereit, den Landessportbund Berlin mit seinen Untergliederungen als integrierten Bestandteil des Deutschen Sportbundes in die angestrebten Vereinbarungen einzubeziehen.

Erst am 20. März 1974 akzeptierte der DTSB der DDR eine Formel für den Sportverkehr zwischen den beiden deutschen Sportorganisationen unter Einschluss von Berlin (West). Nach langjährigen Verhandlungen konnte damit am 8. Mai 1974 in Berlin ein Protokoll über die Regelung der sportlichen Beziehungen mit dem DTSB der DDR abgeschlossen werden, in dem es u.a. heißt:

a) Beide Seiten werden ihre sportlichen Beziehungen entsprechend den Bestimmungen und Gepflogenheiten des Internationalen Olympischen Komitees und der internationalen Sportorganisationen und - was Berlin (West) betrifft - auch in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Vier-Mächte-Abkommens vom 3. 9. 1971 regeln.

b) Beide Seiten stimmen überein, Jährlich einen Plan über die Durchführung von Sportveranstaltungen zu vereinbaren, der von beauftragten Vertretern beider Organisationen ausgearbeitet wird und der der Bestätigung durch den Präsidenten des DTSB und den Präsidenten des DSB bedarf.

Auf der Basis dieses Protokolls wurde für den Rest des Jahres 1974 ein Terminkalender mit 40, für 1975 mit 62, für 1976 mit 62, für 1977 mit 68 und für 1978 mit 73 Sportveranstaltungen abgeschlossen. Für 1975 hatte der Deutsche Sportbund allein 222, für 1976 129, für 1977 über 300 und für 1978 223 Begegnungen oder Spielpartner vorgeschlagen, die aber aus terminlichen oder anderen Gründen nicht realisiert oder beteiligt werden konnten. Darunter befanden sich auch Sportarten wie Basketball, Hockey oder Reiten, Vereine der unteren Ebene oder aus dem grenznahen Bereich und die Jugend. Der tiefere Grund für die schleppende Entwicklung liegt nach Feststellung des Präsidenten des DSB vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages am 31. 3.1976 in Bonn darin, dass

die DDR nach wie vor an ihrer Politik der Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland festhält, was sich auch auf den Sport auswirkt;
die Sportpolitik des DTSB der DDR wesentlich auf sportlichen Erfolg fixiert ist und weniger auf menschliche Begegnung, wie wir sie wünschen;
die Sportverbände des DTSB der DDR mit einem anderen Trainingsrhythmus arbeiten, als dies in den Spitzenverbänden des DSB der Fall ist;
der sportliche Kontakt zu Polen, Ungarn, GSSR und UdSSR für den DTSB der DDR aus politischer und finanzieller Sicht die größere Rolle spielt;
die Wahrnehmung weiterer sportlicher Verpflichtungen für den DTSB der DDR begrenzt ist, solange er nur die sportliche Elite einsetzen will.

Die DDR darf man im übrigen - und dies gilt auch gezielt für den DTSB - nicht nur als ein anderes System sehen, sondern man muss auch versuchen, die andersartigen Gesetze und Funktionsabläufe für eine Verstärkung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Sportorganisationen zu nutzen. In diesem Sinne plant der DSB langfristig, wobei er jede Chance nutzen wird, den Sportverkehr auf möglichst viele Sportarten, auf die mittlere und untere Ebene, auf die Jugend und auch auf den Tagesaufenthalt im grenznahen Bereich der DDR in Form eines "Kleinen Grenzverkehre" einzubeziehen."



Überraschender Rücktritt beim DSB

Das am 20.3.1974 paraphierte Abkommen mit dem DTSB führte dann an der Spitze des DSB zu einem überraschenden Rücktritt, über den seinerzeit die Presse wie folgt berichtete:

"Am 6. April 1974 trat der zweite Präsident des Deutschen Sportbundes nach Willi Daume (1950 bis 1970), Dr. Wilhelm Kregel, kurz vor Vollendung seiner ersten Arbeitsperiode überraschend von seinem Amt zurück. Der Deutsche Fußball-Bund, der im April 1970 in Mainz Dr. Kregel zum Sieg über den Gegenkandidaten Willi Weyer verholfen und als DSB-Präsident mitgewählt hatte, löste den zweifellos aufsehenerregenden Schritt des 65jährigen Dr. Kregel aus, als er durch seinen Beirat, der parallel zum DSB-Präsidium tagte, die mit dem Deutschen Turn- und Sport- bund der DDR aufzustellende Jahresliste über Sportbegegnungen zwischen beiden Teilen Deutschlands prinzipiell ablehnte.

'Ich fühle mich durch die Entschließung des DFB persönlich in hohem Maße desavouiert und brüskiert', erklärte Dr. Kregel. Das mit der DDR-Sportführung am 20. März 1974 paraphierte Abkommen stürzte den DSB nach den schnell verklungenen Erfolgsfanfaren in eine tiefe Krise."

Das Präsidium des DSB reagierte mit folgender Erklärung auf Kregels überraschenden Schritt:

"1. Das Präsidium des DSB nimmt mit großem Bedauern den Rücktritt seines bisherigen Präsidenten Dr. Wilhelm Kregel zur Kenntnis. Es spricht ihm für seinen persönlichen Einsatz, den er als Vizepräsident und seit 1970 als Präsident des Deutschen Sportbundes geleistet hat, herzlichen Dank aus.

2. Das Präsidium des DSB hat den Vizepräsidenten Hans Gmelin beauftragt, bis zum Bundestag am 24. Mai 1974 in Essen die Geschäfte des Präsidenten des Deutschen Sportbundes zu führen.

3. Das Präsidium wünscht, dass die Delegation des DSB am 8.5.1974 das am 20.3.1974 vom Präsidenten des DSB und Präsidenten des DTSB paraphierte Protokoll unterzeichnet. Der amtierende Präsident Hans Gmelin wird die Delegation leiten.

4. Das Präsidium des DSB vertritt den Standpunkt, dass der Deutsche Fußball-Bund die Gesamtverantwortung für eine Regelung der sportlichen Beziehungen zwischen den beiden deutschen Sportorganisationen mitträgt. Er beruft aus diesem Grunde - neben Willi Daume, Karlheinz Gieseler, Horst Korber und Karl Bellmer - den Vizepräsidenten des DFB, Hermann Neuberger, in die Verhandlungsdelegation des DSB.

5. Das Präsidium beschließt weiterhin, den Hauptausschuss des Deutschen Sportbundes auf Samstag, 27. April 1974, 11.00 Uhr, nach Frankfurt einzuberufen, um sich seinen früher gegebenen Verhandlungsauftrag und die bisher erzielten Verhandlungsergebnisse bestätigen zu lassen."

Das Protokoll vom 8. Mal 1974 hatte schließlich folgenden Wortlaut: "Der Deutsche Sportbund und der Deutsche Turn- und Sportbund sind übereingekommen, folgendes festzulegen:

1. Beide Seiten stimmen überein, jährlich einen Plan; über die Durchführung von Sportveranstaltungen zu vereinbaren, der von beauftragten Vertretern beider Sportorganisationen ausgearbeitet wird und der Bestätigung durch den Präsidenten des DSB und den Präsidenten des DTSB bedarf.

2. Beide Seiten werden ihre sportlichen Beziehungen entsprechend den Bestimmungen und Gepflogenheiten des Internationalen Olympischen Komitees und der internationalen Sportorganisationen und, was Berlin (West) betrifft, auch in Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Viermächteabkommens vom 3.9.1971 regeln.

3. Beide Seiten legen zur Regelung der finanziellen Fragen fest:

a) Der Gast trägt die Kosten für die Reisen zum Veranstaltungsort und zurück, einschließlich anfallender Kosten für den Transport von Gepäck und Sportgeräten.

b) Die gastgebende Seite trägt die Kosten für Hotelunterkunft und Verpflegung für die vereinbarte Teilnehmerzahl und Aufenthaltstage sowie ein Taschengeld von 10,00 DM bzw. von 10,00 M pro Person und Tag des Aufenthalts. Bei mehreren Veranstaltungen übernimmt die gastgebende Seite die Kosten des Transports innerhalb des Landes vom ersten bis zum letzten Veranstaltungsort.

Berlin, den 8. Mai 1974"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 45 / 9. November 2010, S. 27
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010