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GESCHICHTE/255: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 90 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 36 / 7. September 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1972/III: Die Tragödie der XX. Olympischen Spiele
Die Ansprachen der Trauerfeier am 5. September 1972 im Münchner Olympiastadion.

Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 90)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Es sollten heitere Spiele werden, Spiele in einer großartig gestalteten olympischen Landschaft der kurzen Wege auf dem Münchner Oberwiesenfeld. Spiele, die mit einer fröhlich-beschwingten Eröffnungsfeier und einem farbenprächtigen Einmarsch zu Volksweisen aus den teilnehmenden Ländern begannen. Doch dann erlebte München den schwärzesten Tag in der olympischen Geschichte. In den frühen Morgenstunden des 5. September 1972 drangen arabische Terroristen in das Olympische Dorf in München ein, erschossen zwei Mitglieder der israelischen Mannschaft und nahmen weitere neun Sportler aus Israel als Geiseln. Bei dem nächtlichen Befreiungsversuch durch die Polizei auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck wurden alle Geiseln, ein Polizeibeamter und fünf Terroristen getötet.

Die Trauerfeier am folgenden Tag im vollbesetzten Olympiastadion wurde zu einer politischen Willenskundgebung für den Frieden in aller Welt. Die Ansprachen von Bundespräsident Gustav Heinemann, OK-Präsident Willi Daume, IOC-Präsident Avery Brundage und vom israelischen Chef de Mission Shmuel Lalkin sind nachfolgend in ungekürzter Form wiedergegeben:

Bundespräsident Gustav Heinemann

"Vor elf Tagen habe ich hier in dieser Arena die Olympischen Spiele München 1972 eröffnet. Sie begannen als wahrhaft heitere Spiele im Sinne der Olympischen Idee. Ein großartiges Echo in der weiten Welt begleiteten sie, bis sich vor zwei Tagen der Schatten einer Mordtat auf sie legte.

In der vergangenen Nacht haben sich Schrecken und Entsetzen ausgeweitet. Der Versuch zur Rettung der israelischen Geiseln schlug fehl. Wo vor kurzem noch frohe Gelöstheit herrschte, zeichnen jetzt Ohnmacht und Erschütterung die Gesichter der Menschen. Fassungslos stehen wir vor einem wahrhaft ruchlosen Verbrechen. In tiefer Trauer verneigen wir uns vor den Opfern des Anschlages. Unser Mitgefühl gilt ihren Angehörigen und dem ganzen Volk Israel. Dieser Anschlag hat uns alle getroffen.

Waren der Anschlag und sein Ausgang abzuwenden? Niemand wird darauf im Augenblick eine abschließende Antwort geben können. Wer sind die Schuldigen an dieser Untat? Im Vordergrund ist es eine verbrecherische Organisation, die glaubt, daß Haß und Mord Mittel des politischen Kampfes sein können. Verantwortung tragen aber auch jene Länder, die diese Menschen nicht an ihrem Tun hindern. Allen Menschen in allen Teilen der Welt, ist in den letzten Stunden vollends klar geworden, daß Haß nur zerstört. Die Opfer auch dieses Anschlages rufen uns abermals auf, unsere ganze Kraft für die Überwindung des Hasses einzusetzen. Gerade angesichts der neuen Opfer gilt es jetzt, dem Fanatismus, der die Welt aufgeschreckt hat, den Willen zur Verständigung entgegenzusetzen.

Die olympische Idee ist nicht widerlegt. Wir sind ihr stärker verpflichtet als zuvor. Bei dem, was wir erleben mußten, besteht keine Trennungslinie zwischen Nord und Süd, keine zwischen Ost und West. Hier besteht eine Trennungslinie zwischen der Solidarität aller Menschen, die den Frieden wollen und jenen anderen, die in tödliche Gefahr bringen, was das Leben lebenswert macht. Das Leben braucht Versöhnung. Versöhnung darf nicht dem Terror zum Opfer fallen. Im Namen der Bundesrepublik appelliere ich an alle Völker dieser Welt: Helft mit, den Haß zu überwinden. Helft mit, der Versöhnung den Weg zu bereiten."


OK-Präsident Willi Daume

"Trauergemeinde! Für uns, die wir mit festem Vertrauen auf den guten Willen aller Menschen die Spiele der XX. Olympiade vorbereitet haben, ist dieser Tag ein Tag unendlicher Trauer. Alles, was sich so schön zu erfüllen schien, ein Fest, das bis gestern so sichtbar die Sehnsucht der Menschen nach Verstehen, Freude und Frieden zum Ausdruck brachte, ist durch menschliche Schuld ohnegleichen in Frage gestellt worden.

Selbst in der Welt des Verbrechens gibt es noch Tabus, gibt es eine letzte Schranke der Entmenschlichung, vor der man zurückschreckt. Diese Schranke haben die Schuldigen im Olympischen Dorf durchbrochen. Sie sind mit Mord in das schöne, große Fest der Völker der Erde eingebrochen, in ein Fest, das dem Frieden gilt. Die Härten und Gefahren des Irdischen werden nicht immer nach eigener Gunst der Erwartung verteilt. Möge aber wenigstens dieses Durchbrechen der letzten Schranken menschlicher Gesittung die Welt aufrütteln, endlich der Gewalttätigkeit zu entsagen, sie als menschenfeindlich und abscheulich zu verurteilen und zu verachten, wo immer und zu welchem Zweck sie auch angewendet wird. Wir vereinen uns in der Trauer mit den Familien, der Mannschaft, den Ländern, indem wir den Tag mit seinen unreifen Rasereien hinter uns lassen. Und es gibt nur den Trost, daß wir nicht selbst unser Schicksal formen, sondern daß unsere Gegenwart und unsere Zukunft liegt in eines Höheren Hand."


IOC Präsident Avery Brundage

"Jeder zivilisierte Mensch ist erschreckt und bestürzt über diesen barbarischen und verbrecherischen Überfall von Terroristen im friedlichen olympischen Bereich. Wir beklagen unsere israelischen Freunde, die Opfer dieses brutalen Angriffs.

Es ist eine traurige Tatsache in unserer unvollkommenen Welt, daß, je größer und bedeutender die Olympischen Spiele werden, sie um so mehr ein Opfer wirtschaftlichen, politischen und jetzt auch kriminellen Drucks werden. Die Spiele der XX. Olympiade sind das Ziel von zwei grausamen Angriffen gewesen. Wir haben im Falle Rhodesien den Kampf gegen politische Erpressung verloren. Wir verfügen nur über die Kraft eines großen Ideals.

Ich bin überzeugt, daß die Weltöffentlichkeit mit mir einer Meinung ist, daß wir es nicht zulassen können, daß eine Handvoll von Terroristen diesen Kern internationaler Zusammenarbeit und des guten Willens zerstört. Die Spiele müssen fortgesetzt werden; wir müssen in unseren Bemühungen fortfahren, sie rein und ehrlich zu halten und versuchen, die sportliche Haltung der Athleten in andere Bereiche zu tragen. Wir erklären den heutigen Tag zum Trauertag und führen alle Veranstaltungen einen Tag später fort."


Chef de Mission Shmuel Lalkin

"Die Sportler Israels kamen nach München zu den Spielen der XX. Olympiade im Geiste der olympischen Brüderlichkeit, der Freundschaft, der Fairneß und des Friedens, gemeinsam mit allen Sportlern der Welt. Zutiefst erschüttert trauern wir über die barbarische Schändung des olympischen Geistes, verursacht durch den heimtückischen Überfall von Terroristen, bei welchem elf unserer Sportler in verbrecherischer Weise ermordet wurden.

Hier ihre Namen: Berger, Bavin; Halfin, Eliäser; Friedmann, Sees; Gutfreund, Josef; Kahat, Show; Romano, Josef; Shapira, Amitsu; Slawin, Marx; Spitzer, Andrew; Springer, Jakob; Weinberg, Mosche. Sie waren wahre und tapfere Sportkameraden und starben in der Blüte ihres Lebens.

Solch ungeheuerliches Verbrechen steht in der Geschichte der Olympischen Spiele beispiellos da und wird von allen zivilisierten Menschen auf das schärfste verurteilt. Wir betrauern zutiefst unsere Toten und drücken ihren Familien unser tiefstes Beileid aus. Wir bedauern die Opfer der Menschen, die in Erfüllung ihres Dienstes beim Einsatz gegen die verbrecherischen Banditen ihr Leben geben mußten oder verwundet wurden und empfinden mit ihren Angehörigen.

Im Namen der israelischen Delegation, im Namen aller Sportler unseres Landes und im Namen aller Bürger des Staates Israel möchte ich dem Internationalen Olympischen Komitee und dem Organisationskomitee der XX. Olympiade meine Anerkennung aussprechen, daß sie die Spiele als Zeichen der Solidarität mit den israelischen Sportlern unterbrochen haben. Wir schätzen die scharfe Verurteilung des Verbrechens und die Worte des Beileids, die uns von Staatsoberhäuptern, Regierungschefs, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Journalisten und von der Bevölkerung dieses Landes sowie von Sportlern aus aller Welt ausgesprochen wurden.

Ich darf Ihnen hier versichern, daß die Sportler Israels trotz dieses niederträchtigen Verbrechens auch weiterhin an olympischen Wettkämpfen im Geiste der Brüderlichkeit und der Fairneß teilnehmen werden. In tiefer Erschütterung verläßt die israelische Delegation diesen Ort. Wir danken allen für die uns erwiesene Solidarität."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 36 / 7. September 2010, S. 26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2010