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GESCHICHTE/222: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 75 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 18 / 4. Mai 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1969/V: Deutsche Sportjugend tritt aus dem DBJR aus
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 75)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Aufgrund der mangelnden Kompromissbereitschaft der anderen Mitgliedsverbände des Deutschen Bundesjugendringes (DBJR) in der Auseinandersetzung um die notwendige Reform der DBJR-Satzung und die Verteilung der Mittel aus dem Bundesjugendplan erklärte die Deutsche Sportjugend (DSJ) am 23. Juni 1969 ihren Austritt aus dem DBJR. Er verlor damit mehr als die Hälfte der bisher von ihm vertretenen organisierten Jugendlichen in der Bundesrepublik. Der entsprechende Beschluss wurde von der Bundesregierung und den im Bundestag vertretenen Parteien seinerzeit mit Verständnis und Zustimmung zur Kenntnis genommen und wirkte sich auch positiv auf die künftige Förderung der sportlichen Jugendarbeit durch den Bund aus. In der Juli-Ausgabe 1969 der Zeitschrift "Olympische Jugend" veröffentlichte der DSJ-Vorstand die Gründe für diesen bedeutsamen Schritt:

"Der Arbeitsausschuss der Deutschen Sportjugend (DSJ) hat sich in seiner Sitzung am 23. Juni 1969 in Hamburg eingehend mit der Situation befaßt, die sich nach der Vollversammlung des Deutschen Bundesjugendringes (DBJR) vom 29. Mai 1969 in Düsseldorf ergeben hat. Mit Bedauern und Enttäuschung haben die Mitgliedsverbände und der Arbeitsausschuß der DSJ davon Kenntnis nehmen müssen, daß die Vorschläge der DSJ für eine notwendige Reform des DBJR von den übrigen Jugendverbänden weitgehend abgelehnt worden sind. Die Deutsche Sportjugend hatte von der Tatsache dieser Entscheidung bei ihren weiteren Beschlüssen auszugehen.

Aufgrund der Beschlüsse ihrer außerordentlichen Vollversammlung vom 27. April 1969 in Berlin und in Übereinstimmung mit den Mitgliedsverbänden der DSJ und dem Präsidium des Deutschen Sportbundes erklärt die Deutsche Sportjugend als konsequente Folge der ablehnenden Haltung der übrigen Mitgliedsverbände des DBJR zur Satzungsreform ihren Austritt aus dem Deutschen Bundesjugendring.

Die Deutsche Sportjugend ist sich über die Tragweite ihres Entschlusses im Klaren. Sie stellt fest, daß durch den Austritt von mehr als 50 Prozent aller Mitglieder der Anspruch des Deutschen Bundesjugendringes, Sprecher der organisierten Jugend in der Bundesrepublik zu sein, nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Die Deutsche Sportjugend wird fortan zu jugendpolitischen Fragen für sich selbst sprechen.

Die durch die ablehnende Haltung der anderen Jugendverbände unvermeidlich gewordene Spaltung des Deutschen BundesJugendringes haben die Kräfte zu verantworten, die die Forderungen der DSJ voll ablehnten und nicht einmal bereit waren, von verantwortungsbewußten Verbänden angeregte Kompromisse einzugehen, durch die für die Deutsche Sportjugend eine neue Situation entstanden wäre. Die DSJ dankt in diesem Zusammenhang diesen Verbänden, die sich ernsthaft bemühten, durch Kompromißvorschläge eine Spaltung des DBJR zu vermeiden. Sie denkt dabei insbesondere an die Vorschläge des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ), die geeignet gewesen wären, innerhalb der DSJ neue Überlegungen anzustellen.

Diese Möglichkeit der Diskussion ist wegen einiger einseitig auf Ablehnung der DSJ-Vorschläge festgelegter Verbände zur Zeit nicht mehr gegeben.

Die Deutsche Sportjugend faßt noch einmal ihre Vorschläge zusammen, durch die sie den DBJR zu einer wirkungsvollen und auf gerechter Grundlage stehenden Institution der deutschen Jugendpolitik machen wollte:


1. Zusammensetzung der Vollversammlung

Die DSJ hätte sich nach ihrem Satzungsvorschlag bei etwa 55 Prozent aller DBJR-Mitglieder auf 38 von 127 Stimmen (etwa 30 Prozent aller Delegierten) beschränkt. Sie hatte zusätzlich erklärt, daß auch in Zukunft bei einer entsprechenden Entwicklung kein Jugendverband mehr als 35 Prozent aller Stimmen auf sich vereinen sollte. Die gegenwärtige Stimmenzahl der DSJ in der DBJR-Vollversammlung lag bei 6 von 67 (reichlich 9 Prozent) und ist auf 12 von 73 (17 Prozent aller Stimmen) erhöht worden. Das war kein ausreichender Kompromiß.


2. Hauptausschuß

Nach dem Vorschlag der DSJ sollten die Verbände im Hauptausschuß die gleiche Stimmenzahl wie in der Vollversammlung haben, da der Hauptausschuß in der Praxis eine große Zahl wichtiger Entscheidungen zu treffen hat, u. a. Erklärungen zu politischen Ereignissen, jugendpolitische Stellungnahmen und die Verteilung von öffentlichen Mitteln.

Der Vorschlag der DSJ wurde abgelehnt und es blieb bei der alten Regelung (je Verband nur 1 Stimme). Man bot lediglich während der Diskussion der DSJ statt einer nunmehr zwei Stimmen im Hauptausschuß an, was im DBJR-Pressedienst großzügig als eine Verdoppelung der Stimmenzahl hingestellt worden ist. Damit sollen weiterhin wichtigste Entscheidungen von einem Gremium getroffen werden, das die Wirklichkeit der Kräfte in der Jugendarbeit auch nicht im entferntesten widerspiegelt.


3. Einstimmigkeitsprinzip

Im Interesse der Aktionsfähigkeit des DBJR hatte sich die DSJ für eine Abschaffung des Einstimmigkeitsprinzips ausgesprochen. Ihre Forderung wurde abgelehnt. Dafür kam es zu einer modifizierten Regelung, die zwar besser ist als die bisherige, aber die Aktionsfähigkeit des DBJR nicht entscheidend günstiger gestaltet.


4. Förderung der Leibeserziehung

Die DSJ begrüßt es, daß sich die Mehrheit der Vollversammlung für die Aufnahme der Förderung der Leibeserziehung in den Aufgabenkatalog der DBJR-Satzung ausgesprochen hat. Sie ist jedoch über die Diskussionsbeiträge einiger Vertreter auf der Vollversammlung (u. a. der Begriff der Leibeserziehung sei nationalsozialistisch belastet) bestürzt. Diese Auffassung zeigt erneut, daß die Bedeutung der Leibesübungen in manchen Verbänden nicht erkannt wird oder nicht erkannt werden soll.

Sie hat der DSJ darüber hinaus bewiesen, wie wenig es um Toleranz und Verständigung ging und wie stark der Verbandsegoismus ausgeprägt ist, den man andererseits der DSJ bei ihren Vorstellungen für einen aktionsfähigen DBJR vorwarf. Die in der Vollversammlung erneut zum Ausdruck gekommene Abqualifizierung der sportlichen Jugendarbeit weist die DSJ nachdrücklich zurück. Sie widerspricht der pragmatisch gewonnenen und wissenschaftlich fundierten Erkenntnis und ruft Erinnerungen an längst überholte Auffassungen wach.


5. Verteilung der Mittel aus dem Bundesjugendplan

Die DSJ bedauert die ablehnende Haltung der übrigen Verbände hinsichtlich ihrer Forderung, bei 55 Prozent aller Mitglieder einen Anteil von 35 Prozent der Mittel für internationale Jugendbegegnungen und von 30 Prozent für zentrale Planungsaufgaben und Lehrgangsmittel zu erhalten und für 1970 eine angemessene Übergangslösung zu finden. Sie bedauert dies um so mehr, als trotz mehrfacher mündlicher Versicherungen in den zuständigen DBJR-Gremien keine ernsthaften Versuche unternommen wurden, als gemeinsamen Vorschlag aller Verbände mehr Mittel speziell für die DSJ zu erreichen.


6. Unabhängige Kommission zur Überprüfung; der Mitgliederzahlen

Die DSJ bedauert, daß die Aufnahme einer Satzungsbestimmung, wonach eine unabhängige Kommission alle 3 Jahre die Mitgliederzahlen der Jugendverbände überprüfen und danach die Stimmenzahl festlegen soll, von der Mehrheit der Verbände abgelehnt worden ist. Die unverbindliche Form, den Antrag dem Hauptausschuß zu überweisen, hat nicht die zwingende Bedeutung einer Satzungsbestimmung und bietet nicht die Garantie dafür, daß auch entsprechend verfahren wird. Nach einer Seihe von Erhebungen und Untersuchungen von Meinungsforschungsinstituten, amtlichen Stellen und Universitätsinstituten einerseits und den Jugendverbänden andererseits erscheint eine solche Überprüfung dringend geboten, wenn die Jugendverbände in ihrer Gesamtheit glaubwürdig bleiben wollen.


7. Politisierung der Arbeit des DBJR

Die DSJ sieht sich auch aufgrund der Diskussion in Düsseldorf und entstellender Veröffentlichungen, auch von DBJR-Verbänden, vor und nach Düsseldorf veranlaßt noch einmal ihren Standpunkt zum politischen Mandat des DBJR klarzustellen:

a) Die DSJ hat bis zur DBJR-Vollversammlung 1968 in Ludwigshafen den Standpunkt vertreten, der DBJR solle sich schwerpunktmäßig mit Fragen der Jugendpolitik befassen.

b) Nach dem eindeutigen Votum von Ludwigshafen hat sich die DSJ nach ausführlicher Diskussion in ihren zuständigen Gremien insbesondere im Hinblick auf das allgemeine politische Interesse der Jugend und die Unruhe in der jungen Generation zu einer Politisierung des DBJR bekannt. Die Beschlüsse von Ludwigshafen bewirkten aber eine Änderung des bisherigen Charakters des DBJR als Arbeitsgemeinschaft in eine Organisation zur Artikulierung politischer Aussagen im Namen der jungen Generation.

c) Legitim kann der DBJR solche Aussagen nur machen, wenn seine Beschlußgremien nach einem demokratisch-repräsentativen Prinzip dazu ermächtigt sind. Daß dieses nicht herbeigeführt wurde, birgt die Gefahr in sich, daß Aussagen im Namen der gesamten organisierten Jugend herbeigeführt werden, die in Wirklichkeit nur von Minderheiten getragen werden.

Nach der eindeutigen Ablehnung ihrer Vorschläge und der mangelnden Kompromißbereitschaft der anderen Jugendverbände sieht die DSJ keine Möglichkeit zu einem weiteren Verbleib innerhalb des DBJR. Sie macht für diese Entscheidung jene Kräfte verantwortlich, die nicht bereit waren, sich den Forderungen nach einem aktionsfähigen und modernen DBJR zu öffnen. Die Absage der DSJ zu einer weiteren Mitwirkung im DBJR in seiner jetzigen Form bedeutet nicht, daß die DSJ grundsätzlich gegen eine Zusammenarbeit von Jugendverbänden und ihren Zusammenschluß in Form von Gemeinschaften ist.

Sollten sich in der Zukunft Formen ermöglichen, die den berechtigten Forderungen der DSJ entgegenkommen, so wäre die Deutsche Sportjugend bereit, wieder in einer solchen Gemeinschaft mitzuwirken. Die DSJ ist auch jederzeit für Gespräche über eine mögliche Form solcher Gemeinschaften sowie auch zu einer Zusammenarbeit in Sachfragen der Jugendarbeit bereit."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 18 / 4. Mai 2010, S. 30
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2010