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GESCHICHTE/215: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 72 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 15 / 13. April 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1969/III: Schmidt zur DSJ: Sport ist wichtiges demokratisches Übungsfeld
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 72)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Die Position in Politik und Jugendarbeit stand im Mittelpunkt der Beratungen der der Deutschen Sportjugend (DSJ) am 26. und 27. April 1969 in Berlin. Im Europa-Center wurde zunächst die turnusmäßige Jahrestagung unter dem Thema "Jugend in der Verantwortung" durchgeführt. Anschließend befasste sich eine außerordentliche Vollversammlung mit dem gespannten Verhältnis zu den anderen Mitgliedsorganisationen des Deutschen Bundesjugendringes (DBJR). Hauptreferent der Jahrestagung der DSJ war der spätere Bundeskanzler und damalige Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Helmut Schmidt. Er vermied zwar jede Stellungnahme zur aktuellen Auseinandersetzung, lobte aber die Arbeit der DSJ, insbesondere ihre Verdienste um die Olympiafahrten der deutschen Jugend und den deutsch-israelischen Jugendaustausch. Vor allem würdigte Schmidt die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports. Nachfolgend wesentliche Auszüge aus der Grundsatzrede des späteren Bundeskanzlers:

"In einer mündigen Gesellschaft muss der einzelne in dem Gefühl leben können, dass diese Gesellschaft hier seine Sache ist, dass es hier auch um ihn geht, dass er für das Wohlergehen dieser Gemeinschaft sich mitverantwortlich fühlt. Nun ist das Bewusstsein von der Mitverantwortung bei ganz jungen Leuten zunächst wenig entwickelt; es wird erst im Laufe des Erziehungsprozesses, an dem viele mitwirken - nicht zuletzt der Junge oder das Mädchen selber -, entfaltet. Und etwas später dann ist die heranwachsende Jugend, das sehen wir gerade heute, mit sehr viel größerem Engagement dabei, diese Mitverantwortung in die eigene Hand zu nehmen, zum Teil mit sehr viel Ungeduld - ganz unabhängig von der politischen Schattierung, zum Teil auch mit großer Radikalität, hier nicht im politischen Sinne gemeint. Es gibt andere, die bisher solche Aufgaben erledigt haben, denen es nun schwerfällt, damit fertig zu werden.

Wir haben in den politischen Parteien in den letzten zwei, drei, vier Jahren sicherlich manches falsch gemacht; wir haben sicherlich aus manchem gelernt, aber ich bin ebenso sicher, nach dieser Erfahrung, dass wir manches nicht anders machen dürfen, als wir es gemacht haben. Man kann auch nicht jedem Druck nachgeben, nur deswegen, weil er von jungen Leuten ausgeübt wird. Das wäre schierer Opportunismus. Auch Sie werden das in ihren Vereinen sicherlich ähnlich empfinden, wie wir es im Laufe der letzten Jahre gelernt haben. Vereinigungen aller Art, und ganz besonders der Sport, sind im Grunde ein hervorragendes Übungsfeld für Menschen, die in eine demokratische Gesellschaft hineinwachsen wollen. Man kann nämlich Demokratie nicht abstrakt lernen. Was aus dem abstrakten Demokratieunterricht unserer höheren Schulen herausgekommen ist, will ich hier nicht charakterisieren. Es ist sicherlich nicht ganz das, was sich diejenigen, die den Unterricht entworfen und angelegt und ausgeübt haben, davon erhofft haben. Man kann Demokratie kaum abstrakt lernen, braucht jedoch eine gewisse abstrakte Unterweisung und abstrakte Einsicht in die Funktionszusammenhänge, in die Spielregeln. Aber im Grunde lernt man Demokratie nur praktisch, nur konkret, nur in der Ausübung konkreter Mitverantwortung, gemeinsam mit anderen, in der Ausübung des Rechts, gemeinsam mit anderen mitzubestimmen, Entscheidungen zu treffen - auch strittige Entscheidungen zu treffen, Streitfragen mit Mehrheit zu entscheiden.

Der Sport ist als Vorbereitung zur Demokratie wirklich besonders geeignet, weil er mit einer gewissen Selbstverständlichkeit die Jugend zu dem sittlichen Gebot der Fairness erzieht. Was vielleicht nötig ist, ist dieses im Grunde selbstverständliche Erziehungsideal der Fairness auf alle Bereiche des Lebens zu übertragen. Fairness im Sport ist im Kern etwas Ähnliches wie die Tugend Toleranz, ohne die wir uns eine demokratische Gesellschaft nicht vorstellen können. Auch aus einem anderen Grunde ist eigentlich die Jugendarbeit im Sport besonders wertvoll, wenn man sich nämlich diese ständige Arbeit an sich selber, an der eigenen Leistungsfähigkeit, die ständige ziemlich harte Arbeit an der Erweiterung der eigenen Leistungsfähigkeit und dann im Wettkampf den Zwang, das Letzte an eigener Leistungsfähigkeit aus sich selbst herauszuholen, bewusst macht - und wenn man andererseits diese Erfahrung und die Erziehung in dieser Richtung bewusst auch auf das allgemeine gesellschaftliche und politische Feld überträgt.

Politik ist das beharrliche Bohren sehr dicker Bretter. Das stammt von Max Weber; diese Sentenz ist fünfzig Jahre alt, aber nach wie vor sehr richtig. Und so wie man im Sport manchmal über den eigenen Schatten springen muss, so ist das auch sonst im Leben, in der Gesellschaft. Was mir so am Herzen liegt, ist, dass manche spezifisch demokratischen, mitmenschlichen Verhaltensweisen, wie sie im Sport selbstverständlich sind, mit ganz großer Bewusstheit in der Jugendarbeit übertragen werden sollten - das ist auch eine Frage der Dosierung, des Maßes - auf das allgemeine gesellschaftliche Feld.

Dazu kommt dann noch drittens, dass das Erlebnis der Mannschaft oder das Erlebnis des Teamworks, das in vielen Sportarten eine große, unverzichtbare Rolle spielt, übertragen werden kann und übertragen werden sollte auf die allgemeine Einstellung des einzelnen zu dieser Gesellschaft, zur Veränderung dieser Gesellschaft - dies letztere eben auch nur im Teamwork, im Zusammenwirken verschiedener Menschen mit verschiedenem Ausbildungshintergrund. Je komplizierter die Erscheinungen der industriellen Massengesellschaft werden, um so mehr werden wir angewiesen sein auf Teams verschiedenartiger Menschen, um Schwierigkeiten auszuräumen und um neue Aufgaben zu formulieren und Aufgaben zu lösen," 1,5-Millionen-Grenze beim Deutschen Sportabzeichen überschritten.

Die LSB-Zeitschrift "Sport in Niedersachsen" informierte in ihrer April-Ausgabe über die Ergebnisse der Sportabzeichen-Auswertung des Vorjahres:

"Zum zweiten Male innerhalb von 56 Jahren sind 1968 mehr als 200.000 Sportabzeichenprüfungen erfolgreich abgelegt worden. Mit den 205.530 Abzeichen wurde die 1,5-Millionen-Grenze der Sportabzeichen-Verleihungen überschritten. Insgesamt sind es nun 1.575.242. An der Spitze der Landessportbünde steht wieder Nordrhein-Westfalen (65.570) vor Niedersachsen (50.094), Bayern (18.129), Rheinland-Pfalz (13.723), Schleswig-Holstein (12.387), Württemberg (12.303), Hessen (9.137), Bremen (6.262), Hamburg (3.932), Berlin (3.830), Baden-Nord (3.748), Baden-Süd (3.462), Saarland (2.953)."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 15 / 13. April 2010, S. 25
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2010