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GESCHICHTE/185: Dezember 1989 - Noch zwölf Monate bis zur sportlichen Einheit - Teil 6 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 49 / 1. Dezember 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Dezember 1989: Noch zwölf Monate bis zur sportlichen Einheit (6)
Nach dem Rücktritt von Egon Krenz verliert auch DTSB-Präsident Klaus Eichler seine Machtposition

Von Friedrich Mevert


Die Entwicklung in den politischen Strukturen des SED-Staates machte wenige Wochen nach den pompösen Feiern zum 40. Jahrestag der DDR auch vor dem Sport nicht halt. Bereits am 3. Dezember musste der erst am 18. Oktober als Honeckers Nachfolger installierte Egon Krenz alle seine Ämter wieder abgeben, und kurz darauf verlor DTSB-Präsident Klaus Eichler als Gefolgsmann von Krenz aus FDJ-Zeiten seine Funktionen in der Partei gesteuerten Sportspitze. Auf massiven Druck hin aus allen Bezirken der DDR erklärte das Sekretariat des DTSB-Bundesvorstandes während einer Außerordentlichen Tagung am 12. Dezember in Kienbaum seinen Rücktritt. Vorübergehendes Führungsgremien wurde ein Arbeitsausschuss unter dem Vorsitz von Prof. Hans-Georg Hermann und ein Arbeitssekretariat unter Jochen Grünwald. Der am 13. November von der Volkskammer gewählte neue DDR-Ministerpräsident Hans Modrow hatte am Vortag in einem Gespräch mit Sportvertretern die Versicherung abgegeben, dass Körperkultur und Sport auch weiterhin in der DDR besondere Förderung erfahren würden. Bei der Hauptausschuss-Sitzung des DSB dagegen am 2. Dezember im Frankfurter Römer hatte DSB-Präsident Hans Hansen aus seiner Freude keinen Hehl gemacht und den nun - im wahrsten Sinne des Wortes - unbegrenzten deutsch-deutschen Sportverkehr einen "Wirklichkeit gewordenen Traum" genannt. "Spontane Begegnungen beiderseits der Grenze wirkten in den letzten Tagen wie ein Gefühl der Befreiung", sagte er, riet aber auch gleichzeitig dazu, "ehrlich gemeinte Umarmungen nicht zu peinlichen Vereinnahmungsaktionen" werden zu lassen.

Dagegen hatte der "Noch"-Präsident des DDR-NOK, Manfred Ewald, Anfang Dezember in Ost-Berlin bekanntgegeben, dass er seinen Nachfolger als DTSB-Präsident, Klaus Eichler, vor Gericht zitieren wolle, hatte dieser doch Vorwürfe gegen seinen Vorgänger erhoben: Im Büro des hauptamtlichen DTSB-Vizepräsidenten für Wirtschaft und Finanzen, Franz Rydz, war eine "schwarze Kasse" mit 300.000 DM gefunden worden, was zu Kritik am Finanzgebaren zu Ewalds Zeiten führte. Der hohe DTSB-Funktionär hatte daraufhin Selbstmord begangen.

Auch folgendes ist bemerkenswert an der deutsch-deutschen Sportpolitik im Dezember 1989:

Bereits am 1. Dezember gab es in Frankfurt/Main ein erstes Treffen zwischen den Verantwortlichen des DFB und des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) der DDR, bei dem es vor allem um einen Erfahrungsaustausch, aber auch um Klärung von Transferbestimmungen ging.

In "Die Welt" bestätigte DFV-Generalsekretär Wolfgang Spitzner den Verdacht, dass es über zehn Spielzeiten (1978 - 1988) hinweg in der DDR-Fußball-Oberliga bei Spielen des Mielke-Clubs BFC Dynamo Berlin des Ministeriums für Staatssicherheit zu Schiedsrichter-Manipulationen gekommen sein soll.

Am 19. Dezember gab es zum ersten Mal - allerdings zunächst nur für Journalisten aus der DDR - in Leipzig im Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport "offene Türen" - mit einer anschließenden entsprechenden Berichterstattung.

Am 16, Dezember wurde aus Halle gemeldet, dass der Handball-Oberligist SC Dynamo Halle-Neustadt Konkurs anmelden musste. Der Grund: Der Club wurde vom Ministerium für Staatssicherheit aus Berlin nicht länger mehr finanziell gefördert.

Vorstandsmitglieder des Landessportbundes Niedersachsen waren auf Einladung des DTSB-Bezirks Schwerin in Mecklenburg zu Gast, um über eine Kooperation zu beraten. Die Partnerschaft zum späteren LSB Mecklenburg-Vorpommern übernahm dann allerdings der LSV Schleswig-Holstein, während Niedersachsens Partnerland Sachsen-Anhalt wurde.

DDR-Ministerpräsident Hans Modrow lehnte im Rahmen eines Interviews eine Entscheidung über die Frage ab, ob sich beide Teile Berlins um die Olympischen Sommerspiele 2004 bewerben sollten. Dies war vom West-Berliner Regierenden Bürgermeister Walter Momper angeregt und vom Leipziger "Neuen Forum" unterstützt worden. Modrow erklärte, dass sich Leipzig bereits seit 15 Jahren um die Ausrichtung der Spiele bemühe und man nicht einen zweiten Kandidaten vorschlagen könne, bevor über den ersten entschieden sei.

In einem Interview mit dem "Deutschen Sportecho" wurde von DDR-Seite ein weiteres Geheimnis bei der Förderung des DDR-Spitzensports gelüftet. Christian Oppel vom "Büro zur Förderung des Sports", einer Dienststelle des Amtes für Jugend und Sport, bestätigte, dass es vom Staat bei den Olympischen Spielen 1988 für einen Olympiasieg im Team 25.000 Mark pro Mitglied und für einen Einzelstarter bis zu 35.000 Mark gegeben habe. Für einen Olympiasieg in Seoul gab es noch einen Scheck über 6.000 Mark zum Einkauf in Devisenläden.

Nach Angaben von Dr. Oppel wurden von seiner Dienststelle seit etwa 15 Jahren rund 3.600 Kadermitglieder finanziell gefördert darunter 600 Studenten, 700 Sportler mit Fachausbildung, 700 Lehrlinge und Abiturienten sowie 1.000 Schüler bis zur 10. Klasse. Gezahlt wurden Stipendien und Ausgleichszahlungen beim Überschreiten der üblichen Studiendauer.

Bei der Verabschiedung des langjährigen DSB-Generalsekretärs Karlheinz Gieseler in den Ruhestand am 18. Dezember im Hotel Queens in Frankfurt war auch der Deutsche Turn- und Sportbund vertreten, bezeichnenderweise durch den Abteilungsleiter für internationale Beziehungen, Jürgen Hiller. Dieser zeichnete Gieseler unter großem Schmunzeln der anderen Gäste mit der "Verdienstplakette des DTSB" aus und überreichte Meißner Porzellan, Symbol für Zerbrechlichkeit und bleibenden Wert deutsch-deutscher Beziehungen im Sport.

"DDR-Sportler des Jahres" wurden bei der 37. und letzten Umfrage der Tageszeitung "Junge Welt" die Schwimmerin Kristin Otto, der Turner Andreas Wecker und das Weltmeisterteam im 100 km-Mannschafts-Straßenfahren im Radsport in der Besetzung Falk Boden, Mario Kummer, Maik Landsmann und Jan Schur,

Und die Eiskunstläuferin Katarine Witt erklärte wenige Tage vor Weihnachten in einem dpaund in einem Fernsehinterview, dass sie sich von der abgetretenen SED-Führung "total missbraucht fühle". Zudem bedauerte sie, "aus sozialistischen Gründen" bisher millionenschwere Werbeverträge nicht angenommen zu haben.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 49 / 1. Dezember 2009, S. 37
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009