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GESCHICHTE/176: Am 9. November vor 20 Jahren im Bonner Bundestag (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 45 / 3. November 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Am 9. November vor 20 Jahren im Bonner Bundestag
Die Nachricht vom Berliner Mauerfall unterbrach die Beratungen des Vereinsförderungsgesetzes

Von Friedrich Mevert


Es war am frühen Abend des 9. November 1989 im Wasserwerk in Bonn, dem zeitweiligen Ausweichquartier des Bonner Bundestages. Im Plenum hatte unter dem Vorsitz von Bundestagsvizepräsident Dieter Julius Gronenberg (FDP) gerade die 2. Lesung des von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurfes für ein - vom Deutschen Sportbund (DSB) schon seit langem gefordertes - Vereinsförderungsgesetz begonnen, zu dem die SPD-Bundestagsfraktion einen Änderungsantrag eingebracht hatte. Erster Redner war für die Regierungsfraktionen der CSU-Abgeordnete Karl-Heinz Spilker, der seinen Diskussionsbeitrag mit folgenden Worten begann:

"Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich zu meinem Thema komme, möchte ich Ihnen eine Meldung vorlesen, die ich im Moment erhalten habe. Ab sofort können DDR-Bürger direkt über alle Grenzstellen zwischen der DDR und der Bundesrepublik ausreisen. Ich dachte, dass es mir ausnahmsweise gestattet ist, das fernab vom Thema mitzuteilen.

Meine verehrten Damen und Herren, zum Thema. Der bisherige Verlauf der Debatte veranlasst mich, noch einmal die Entwicklung zu beleuchten, die diese Gesetzentwürfe im Laufe von zehn Jahren genommen haben. Wir haben zehn Jahre benötigt, um ein so wichtiges Gesetz heute zum Abschluss zu bringen. Es begann 1979, als die CDU/CSU-Fraktion zum ersten Mal einen Antrag zur steuerlichen Behandlung gemeinnütziger Vereine einbrachte. Es setzte sich 1985 fort, als die sozial-demokratische Fraktion nahezu den gleichen Antrag vorlegte. Es gibt aber doch einen Unterschied: Unser Antrag wurde in Ihrer Regierungszeit leider nicht behandelt. Der Finanzminister hatte etwas dagegen, andere sicherlich auch. Tatsache ist: Wir kamen mit unserem Antrag nicht durch. Wir waren in der Opposition.

Nun konnte Ihr Gesetzentwurf ja auch nicht gerade in den nächsten 14 Tagen behandelt und beschlossen werden. Aber er wurde behandelt. Die Bundesregierung hat einen Entwurf vorgelegt, und wir stehen heute gemeinsam vor der Entscheidung über diesen Entwurf und Ihre Entwürfe ebenfalls"...

Für die Opposition machte Wilhelm Schmidt (SPD) anfangs zunächst darauf aufmerksam, "dass die Initiative für dieses Vereinsförderungsgesetz im wesentlichen aus der Sportorganisation herrührt und sie von den Parteien jeweils im Wechsel - je nachdem, ob sie in der Opposition oder der Regierungskoalition gewesen sind - aufgegriffen worden ist"... und fuhr fort: "Ich erinnere ganz deutlich daran - das will ich noch einmal mit Nachdruck sagen -, dass es der Sport selbst gewesen ist, der es geschafft hat, uns, die Politiker, auf Trab zu bringen und uns Politikern zu sagen, was denn dringendst notwendig ist. Ich denke, dahinter brauchen wir uns auch nicht zu verstecken, meine Damen und Herren von den Grünen, denn es ist doch nichts Schändliches, sich als Unternehmen hinter die größte Menschenorganisation in unserem Lande zu stellen und mit ihnen gemeinsam zu handeln. 22 Millionen Menschen in 70.000 Vereinen - dies ist durchaus auch unsere Initiative wert. Wir stehen dazu und sind stolz darauf, dass wir das gemeinsam geschafft haben.

Ich will auch mit Deutlichkeit an die Grundlagen des DSB erinnern, die dieser erarbeitet hat: insbesondere das Steuermemorandum von 1983 und den Forderungskatalog von 1987. Zahlreiche Sportkonferenzen der Parteien, die sich immer gerade dem Sport verbunden gefühlt haben - FDP, CDU/CSU und SPD - haben bestätigt, dass es dringend notwendig war, hier etwas zu tun. Es ist so, dass wir auch bei den Finanzpolitikern mehr und mehr den Rückhalt für diese Aufgabe finden konnten. Übrigens nicht zuletzt deswegen waren wir in der SPD-Fraktion ganz besonders stolz darauf, dass auch die SPD-Finanzpolitiker zu Anfang dieser Legislaturperiode unsere Initiative unterstützt haben."

Für die CDU/OSU-Fraktion sprach Ferdi Tillmann zuerst auch die überraschende Nachricht von der Maueröffnung in Berlin an:

"Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angesichts der sensationellen, wichtigen Meldung, die uns Herr Kollege Spilker soeben hier bekanntgemacht hat, mag es dem einen oder anderen Zuhörer dieser Debatte als kleinkarriert erscheinen, dass wir uns hier weiter, als ob nichts geschehen sei, über Pauschalen in einer Größenordnung von 2.400 oder 3.600 DM streiten und weiter über die Förderung des Sports reden.

Aber erstens ist dies eine sehr wichtige und erfreuliche Nachricht auch für alle Bürgerinnen und Bürger in beiden Teilen Deutschlands, die sich dem Sport verbunden fühlen und die miteinander Sport treiben wollen. Diese Nachricht gibt uns die Hoffnung, dass dies in Zukunft ohne größere Komplikationen möglich sein wird und wir dieser unsäglichen Gespräche über den Sportkalender in Zukunft nicht mehr bedürfen."

Ferdi Tillmann betonte sodann, dass mit dem Vereinsförderungsgesetz jetzt das umgesetzt werde, was Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regierungserklärung 1987 angekündigt habe: "Ehrenamtliche Funktionäre in rund 250.000 Vereinen, die mit sehr, sehr viel Idealismus arbeiten, können aufatmen. Nach dem 1. Januar 1990 wird ihre Diskriminierung, die durch Überforderungen wegen Bürokratisierung, wegen unzumutbarer Besteuerungsvorschriften hervorgerufen wurde, nicht mehr vorhanden sein; sie wird dann der Vergangenheit angehören. Der unentbehrliche Dienst dieser ehrenamtlichen Mitarbeiter der Vereine wird dann entscheidend erleichtert werden." ...

Bundestagsvizepräsidentin Annemarie Renger (SPD), die zwischenzeitlich den Vorsitz übernommen hatte, ließ über den Änderungsantrag der SPD-Fraktion abstimmen, der in namentlicher Abstimmung bei 134 Ja-Stimmen gegen 173 Nein-Stimmen abgelehnt wurde, und unterbrach dann die Sitzung von 20.22 Uhr bis 20.46 Uhr wegen der mit der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze verbundenen Ereignisse.

Nach der Wiedereröffnung der Sitzung gab zunächst Bundesminister Rudolf Seiters, der Chef des Bundeskanzleramtes, in Vertretung des sich in Warschau befindlichen Bundeskanzlers eine Erklärung der Bundesregierung ab, und anschließend sprachen Dr. Vogel für die SPD, Dr. Dregger für die CDU/CSU, Dr. Lippelt für die Grünen und Wolfgang Mischnick für die FDP. Der FDP-Fraktionsvorsitzende, selbst aus der ehemaligen Sowjetischen Besatzungszone stammend, schloss mit den Worten:

"Freie Wahlen bleiben das Ziel. Sie werden die Voraussetzung schaffen, dass die Bereitschaft, zu Hause zu bleiben - ich darf das so sagen - größer werden wird. Sie so bald als möglich durchzuführen, ob mit der Volkskammerwahl oder mit einer Wiederholung der beanstandeten Kommunalwahl beginnend - dies ist die Entscheidung, die die DDR zu fällen hat. Aber die freien Wahlen sind der Beweis für diejenigen, die heute noch im Zweifel sind, dass sie wirklich zu Hause bleiben können, weil es sich lohnt, zu Hause zu bleiben. Alle diejenigen, die jetzt noch schwanken, bitte ich herzlich: Bleibt daheim!"

Dass die Abgeordneten aller Fraktionen sich dann spontan erhoben und die deutsche Nationalhymne anstimmten, war und blieb ein einmaliges historisches Ereignis in der Geschichte des Deutschen Bundestages.

Auf Antrag des Marburger SPD-Abgeordneten Jahn - "Ich glaube, nach diesem Teil unserer heutigen Sitzung ist die Rückkehr zur Tagesordnung, wie wir sie ursprünglich vorgesehen hatten, nicht gut vorstellbar. Ich beantrage, die nicht behandelten Punkte abzusetzen und die heutige Sitzung zu schließen" - schloss Vizepräsidentin Annemarie Renger mit Zustimmung des Hauses die Sitzung um 21.10 Uhr.

Das Vereinsförderungsgesetz, um das die deutschen Sportorganisationen sich seit 1974 hartnäckig bemüht hatten, wurde sodann vom Deutschen Bundestag in 3. Lesung am 18. Dezember 1989 verabschiedet. Es trat zum 1. Januar 1990 in Kraft und war, so DSB-Präsident Hans Hansen damals, "ein Markstein zur Stärkung des Ehrenamtes im Sport. Es leistet einen wesentlichen Beitrag zur Entbürokratisierung und vereinfacht das Steuerrecht für gemeinnützige Sportvereine. Das Gesetz bringt wesentliche steuerliche Verbesserungen für den Sport. Sie sind wegweisend für das Jahr 2000. Dies alles wäre nicht erreicht worden, wenn der Bundesausschuss Recht, Soziales und Steuern des DSB und die damit befassten Ausschüsse der Mitgliedsorganisationen nicht so großartige Arbeit geleistet hätten. Ich danke den Mitgliedern und ihrem Vorsitzenden Karl Hemberger für ihren Einsatz", betonte der DSB-Präsident zu Recht zum Jahresausklang 1989.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 45 / 3. November 2009, S. 26-28
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2009