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GESCHICHTE/167: November 1989 - Auf dem Weg auch zur sportlichen Einheit Deutschlands (Teil 1) (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 42 / 13. Oktober 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

November 1989: Auf dem Weg auch zur sportlichen Einheit Deutschlands (1)
Schon acht Tage nach dem Mauerfall: Freier Sportverkehr verkündet

Von Friedrich Mevert


Die machtvolle friedliche Revolution der jahrzehntelang von der kommunistischen Diktatur unterdrückten Bevölkerung in der DDR, die vor zwanzig Jahren in der zweiten Jahreshälfte immer stärker anschwoll und schließlich am 9. November zur Öffnung der innerdeutschen Mauer und am 3. Oktober 1990 zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Teilstaaten führte, hatte für die Sportorganisationen als größte Bürgerbewegungen in beiden Staaten eine ganz besondere Bedeutung. In einer vierteiligen Serie schildert DOSB-Autor Friedrich Mevert - auch als Zeitzeuge - die nach der Maueröffnung unverzüglich aufgenommenen Verhandlungen der beiden Dachorganisationen DSB und DTSB, die schnell beginnende Zusammenarbeit an der Basis über die nun geöffnete Grenze hinweg, den Aufbau neuer Vereins- und Verbandsstrukturen im letzten Lebensjahr der im Umbruch befindlichen DDR und schließlich die Vereinigung im Sport im Herbst 1990 parallel zur staatlichen Wiedervereinigung Deutschlands.

Die Führungen des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) der DDR reagierten damals sehr schnell. Bereits wenige Tage nach der Maueröffnung in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 in Berlin kam es am 17. November im noblen West-Berliner Hotel Kempinski zur ersten Begegnung von DSB-Präsident Hans Hansen und DTSB-Präsident Klaus Eichler. Das wichtigste Ergebnis dieses Vier-Augen-Gesprächs war, dass die zuvor alljährlich mühsam ausgehandelten "Deutsch-deutschen Sportkalender" - der für 1989 hatte gerade 112 Begegnungen umfasst - ab sofort vom Tisch sein sollten. Vielmehr sollte sich der Sportverkehr zwischen beiden deutschen Staaten nunmehr frei und unreglementiert entwickeln können. DTSB-Präsident Klaus Eichler erklärte dazu gegenüber der "Frankfurter Rundschau": "Die jüngsten Entwicklungen in der DDR zur Erneuerung der sozialistischen Gesellschaft haben auch neue Bedingungen für Sportkontakte ermöglicht. Die Kontakte sind ein Beitrag gutnachbarlicher Beziehungen. Ich sage ausdrücklich, dass der Sport in diese Beziehungen etwas einzubringen hat."

Dem Gespräch vorangegangen war vom 6. bis 8. November eine dreitägige Konferenz des DTSB-Bundesvorstandes mit den Bezirks- und Kreisvorsitzenden des DTSB sowie den Generalsekretären der Sportverbände der DDR in Kleinmachnow mit dem Beratungsergebnis, dass der DTSB einen eigenständigen Beitrag für einen "besseren Sozialismus in der DDR" leisten wolle. Drei Wochen später übte Eichler am 27. November im "Sportgespräch" des Deutschlandfunks Selbstkritik an der bisherigen Sportpolitik der DDR, z.B. dass Ostdeutschland nur unzureichende Sportstätten und "mäßige Infrastrukturen" besitze und dass sein Vorgänger Manfred Ewald seit Ende der 60er-Jahre die Ausselektierung zahlreicher Sportarten aus der internationalen Förderung zu verantworten habe.

Zwei Tage später wurde Eichler dann bei der 15. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes am 29./30. November in Kienbaum ohne Gegenstimme als DTSB-Präsident bestätigt, die Zahl der Vizepräsidenten allerdings von elf auf fünf reduziert. Im Rahmen eines "Erneuerungspapiers" wurden die Aufgaben des DTSB als einer "selbständigen, von Parteien unabhängigen, demokratischen Massenorganisation in einer sich erneuernden DDR" beraten.

In der Bundesrepublik hatte Bundeskanzler Helmut Kohl am 28. November seinen Zehn-Punkte-Plan zur Überwindung der deutschen Teilung verkündet. Zuvor hatte der Bundeskanzler in einem kurzfristig anberaumten Gespräch mit DSB-Präsident Hans Hansen die Bereitschaft der Bundesregierung erklärt, zusätzliche Gelder für die Förderung des deutsch-deutschen Sportverkehrs zur Verfügung au stellen. "Da kommt einiges auf uns zu", hatte Hansen zu Recht auf die schon kurzfristig anschwellenden Zahlen von innerdeutschen Vereinsbegegnungen hingewiesen, nachdem das starre "Kalenderverfahren" abgeschafft und direkte Vereinskontakte möglich geworden waren.

Und so sah die Förderung für Sportbegegnungen aus: In der Bundesrepublik und Berlin (West) wurden für Gäste aus der DDR bis zu 65 DM pro Tag und Teilnehmer als Zuschuss für die Aufenthaltskosten gezahlt. Hinzu kam ein Taschengeld von 25 DM pro Tag und (ostdeutschen) Teilnehmer. Für sportliche Begegnungen in der DDR wurden die Fahrtkosten erstattet und für die Reisetage ein Zuschuss von 20 DM für die (westdeutschen) Teilnehmer gezahlt. In der DDR war bereits am 12. Dezember 1989 nach massiven Protesten aus dem ganzen Land DTSB-Präsident Eichler von seinem Amt zurückgetreten. Am 5. Januar 1990 hatte ein "Runder Tisch des DDR-Sports" seine Arbeit aufgenommen und über neue Wege für die Sportförderung beraten. In der Mitgliederversammlung des NOK der DDR einen Tag später trat auch Manfred Ewald als NOK-Präsident und als NOK-Mitglied zurück und verlor damit sein letztes Spitzenamt. Am 27. Januar schloss der DDR-Sport dann bei der 17. Tagung des DTSB-Bundesvorstandes in Kienbaum ein Kapitel seines Wirkens endgültig insoweit ab:

Die früheren DTSB-Prasidenten Manfred Ewald und Klaus Eichler wurden aus dem Bundesvorstand ausgeschlossen. Beiden wurde u. a. eine dirigistische Amtsführung im Sinne der bisherigen SED-Führung vorgeworfen. Mit ihnen wurden eine ganze Reihe von führenden Funktionären von ihren Ämtern entbunden, darunter mehrere DTSB-Vizepräsidenten. "Wir müssen mehr für den Breitensport tun", betonte Jochen Grünwald, der seit Mitte Dezember als Vorsitzender des DTSB-Arbeitssekretariats die Geschäfte führte. In einer Resolution erklärte der DTSB in Kienbaum, dass der DDR-Sport das Projekt gemeinsamer Olympischer Spiele in beiden Teilen Berlins intensiv unterstützen werde.

Ein Außerordentlicher Turn- und Sporttag des DTSB mit 1.100 Delegierten in Berlin wählte den ehemaligen Bobsportpräsidenten der DDR, Martin Kilian, zum neuen - ehrenamtlichen - Präsidenten, Dr. Margitta Gummel und Rolf Beilschmidt zu Vizepräsidenten und Jochen Grünwald zum Generalsekretär. Die Konferenz nahm ein neues Statut an und beschloss eine neue "Leitlinie für den DTSB". Am gleichen Wochenende gab es ein erstes Treffen zwischen dem bundesdeutschen NOK-Präsidenten Willi Daume und dem späteren ostdeutschen NOKPräsidenten Dr. Joachim Weiskopf (ab 16. Juni 1990).

Die Öffnung im November 1989 und dann der Abriss der innerdeutschen Mauer brachte nach langjährigen mühseligen Verhandlungen zwischen den Sportorganisationen im Westen und Osten Deutschlands nun die Möglichkeit und auch die große Herausforderung, eine einheitliche deutsche Sportorganisation auf den Prinzipien staatlicher Unabhängigkeit, ehrenamtlicher Führung, föderativer Struktur und selbständiger Vereine zu entwickeln.

Mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen wurden allein im ersten Halbjahr bereits rund 10.000 Begegnungen zwischen Vereinen aus der Bundesrepublik und der DDR durchgeführt. Fast alle Landessportbünde des DSB vereinbarten Partnerschaften zu den Bezirken des DTSB und halfen beim Aufbau der Landessportbünde in den entstehenden "neuen" Ländern, die im Verlauf des Jahres 1990 dann in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachgen-Anhalt und Thüringen gegründet wurden.

Parallel dazu führten die Spitzenverbände von DSB und DTSB Vereinigungsgespräche und schlossen sich nach und nach zu gesamtdeutschen Verbänden zusammen. Mit einer Vielzahl von Begegnungen und Tagungen der beiderseitigen Präsidenten Hans Hansen und Martin Kilian sowie von Expertenkommissionen beider Seiten wurden zügig die Grundlagen für die Vereinigung geschaffen und am 28. Juni als Konzeption mit folgendem Programm vereinbart: "Als realistischer Weg zur Vereinigung im Sport - basierend auf der gegenwärtigen gesamtdeutschen politischen Entwicklung und den Vorschlägen der Fachkommission - wird das folgende Programm angesehen:

1. Im Zeitraum der Länderbildung in der DDR (Herbst 1990) werden dort entsprechende Landessportbünde entstehen. Die Vereinigung des Sports in Berlin vollzieht sich durch den Beitritt des TSB Berlin (Ost) zum Landessportbund Berlin.

2. Die Landessportbünde in der DDR beantragen im Benehmen mit dem DTSB ihren Beitritt zum Deutschen Sportbund. Die Aufnahme würde nach der staatlichen Vereinigung wirksam, Abschnitt 4 ist dabei zu berücksichtigen.

3. Der DTSB nimmt bis zur staatlichen Vereinigung seine Funktion wahr und beschließt dann entsprechend den Statuten seine Auflösung.

4. Als Voraussetzung für die Aufnahme der Landessportbünde in der DDR in den Deutschen Sportbund müsste dessen Satzung geändert werden. Eine Strukturkommission des DSB bereitet diese Änderung unter Berücksichtigung der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der neuen Mitglieder vor.

5. Die Spitzenverbände und die übrigen Mitgliedsverbände des DSB vereinigen sich mit den Verbänden in der DDR zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlicher Form, aber so zügig wie möglich - im Hinblick auf ihre internationalen Bestimmungen und Verpflichtungen.

6. Nach dem Spitzengespräch am 28. Juni 1990 zwischen DSB und DTSB wird eine gemeinsame Koordinierungskommission (mit je einer Leiterin/einem Leiter und je einer Vertreterin/einem Vertreter jeder Fachkommission - jeweils beider Seiten) - soweit erforderlich - zusammentreten."

Ergänzend wurden in vier Abschnitten die Arbeitsergebnisse der vier Fachkommissionen
- Strukturen/Verwaltung/Finanzen,
- Breitensport,
- Leistungssport,
- Bildung/Ausbildung/Wissenschaft/Gesundheit
zusammengefasst.

Am 26./27. Oktober 1990 nahmen erstmalig die Präsidenten der fünf neuen ostdeutschen Landessportbünde an der Herbsttagung der Ständigen Konferenz der Landessportbünde in Hannover teil und übergaben bei dieser Gelegenheit symbolisch ihre Aufnahmeanträge in den Deutschen Sportbund an DSB-Präsident Hans Hansen. Diese Aufnahme wurde dann einstimmig durch den Hauptausschuss am 14. Dezember unmittelbar vor dem 21. Bundestag aus Anlass des 40-jährigen DSB-Jubiläums am 15. Dezember 1990 im Kuppelsaal der Stadthalle von Hannover vollzogen. Zuvor hatte sich der DTSB der ehemaligen DDR am 5. Dezember in Berlin aufgelöst.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 42 / 13. Oktober 2009, S. 17
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009