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GESCHICHTE/151: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 44 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 33 / 11. August 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1962/III: "Eine Million mehr" als Motto des DSB-Bundestages
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 44)

Eine Serie von Friedrich Mevert


"Eine Million Aktive mehr! - das soll für uns alle ein ständiger Mahnruf an unser Gewissen und eine ständige Herausforderung an unsere Tatkraft sein! Wir wollen alle emotionelle Kraft, die dem Geist des Sports zu eigen ist, an diese Aufgabe setzen, ein jeder von uns an seinem Platz und jeder Verband in seinem Bereich! Dann werden wir ihr gewachsen sein!" Als Willi Daume am 24. November 1962 mit diesem beschwörenden Appell sein programmatisches Referat über das Tagungsthema "Der Verein als Träger der deutschen Turn- und Sportbewegung" abschloss, konnte wohl kaum jemand von den 154 Delegierten des 7. Bundestages des DSB ahnen, welche Entwicklung für die freie Sportbewegung in unserem Lande damit eingeleitet werden sollte. Damals ging es nur um eine Million mehr - präziser gesagt: um einen Anstieg von 5,204 Millionen in der Bestandserhebung des DSB auf mehr als sechs Millionen aktiv sporttreibende Bundesbürger. 47 Jahre später - im Herbst 2009 - ist diese Zahl auf mehr als 27 Millionen angewachsen!

Willi Daume betonte, dass die Vereine - von denen damals 31.500 im DSB zusammengeschlossen waren - das "lebendige Zellgewebe" der deutschen Turn- und Sportbewegung seien, die für die Zukunft um ein Vielfaches erweiterte Aufgaben übernehmen, dafür aber auch Hilfestellung beim Bau und der Erhaltung von Sportstätten sowie bei der Ausbildung von Übungsleitern erhalten müssten. Dann würden sie auch "jede erdenkliche Anstrengung machen, die ihnen von der zivilisatorischen Entwicklung gestellte Aufgabe zu erfüllen". Willi Daume sollte Recht behalten!

Es war ein neblig-trüber Novembertag damals vor siebenundvierzig Jahren, so dass Ludwig Erhard, der als Vizekanzler die Grüße der Bundesregierung überbrachte, erst mit Verspätung mit einer amerikanischen Militärmaschine auf dem Tempelhofer Flughafen landen konnte. Vor ihm hatte im Ernst-Reuter-Haus an der "Straße des 17. Juni" Willy Brandt als Regierender Bürgermeister von Berlin das Parlament des deutschen Sports begrüßt und betont, dass das freiheitliche Berlin dem DSB zu besonderem Dank verpflichtet sei. "Der Deutsche Sportbund ist den Versuchen der Zonenmachthaber, uns auf sportlichem Gebiet auszuhungern, mit Nachdruck und mit Erfolg entgegengetreten. Die Luftbrücke, die Sie geschlagen haben, hat für das sportliche Leben in unserer Stadt viel bedeutet!"

In einer einstimmig angenommenen Resolution betonten die Delegierten des Bundestages den entscheidenden Beitrag, den die deutsche Turn- und Sportbewegung zur Gesunderhaltung des deutschen Volkes und zur Stärkung des Gemeinschaftsbewusstseins leiste, und unterstrichen als Vorsatz und Ziel, "eine Million Aktive mehr" für den Sport zu gewinnen.


Diese Resolution hatte folgenden Wortlaut:

"Der Bundestag des Deutschen Sportbundes erklärt im Namen der von ihm repräsentierten deutschen Turn- und Sportbewegung:

1. Die deutsche Turn- und Sportbewegung leistet mit Abstand vor den übrigen Organisationen und Institutionen den entscheidenden Beitrag zur Gesunderhaltung des deutschen Volkes und erfüllt mit der Stärkung des Gemeinschaftsbewußtseins eine wichtige soziale Funktion und volkspädagogische Aufgabe.

Sie ist sich dieser Tatsache und damit auch der Pflicht bewußt, einen immer größeren Teil der Bevölkerung für die Teilnahme an den Leibesübungen zu gewinnen. In diesem Sinne ist der Vorsatz "eine Million Aktive mehr!" für sie Aufgabe und nächstes Ziel. Sie wird sich bemühen, dieses Ziel durch die Fortsetzung ihrer herkömmlichen Arbeit, aber auch durch die Entwicklung neuer, zeitgemäßer Formen des Sports zu erreichen.

2. Die deutsche Turn- und Sportbewegung ist der Auffassung, daß sie wegen der von ihr geleisteten, in hohem Maße gemeinnützigen und volkspolitisch wichtigen Arbeit die Unterstützung der öffentlichen Hand verdient. Sie fordert deshalb den vermehrten Bau von Übungsstätten nach dem Goldenen Plan, darüber hinaus die kostenlose Überlassung dieser Übungsstätten an die Vereine und die erhöhte Unterstützung der Vereine bei der Errichtung und Unterhaltung ihrer Sportanlagen.

Sie ist entschieden der Auffassung, daß die Belebung der Übungsstätten im weitestmöglichen Ausmaß eine Sache der Initiative freier Bürger bleiben muß. Sie fordert demzufolge, daß zu diesem Zweck Öffentliche Mittel bereitgestellt und schwerpunktmäßig den Turn- und Sportvereinen zur Beschäftigung haupt- und nebenamtlicher Übungsleiter zugeleitet werden.

3. Der Bundestag des DSB richtet an die Mitglieder aller Turn- und Sportvereine den eindringlichen Appell, ihre Vereine durch Entrichtung eines zeitgemäßen Mitgliedsbeitrages in die Lage zu versetzen, ihre alten und neuen Aufgaben wirksam erfüllen zu können. Das Beispiel der 380.000 ehrenamtlichen Übungsleiter und Helfer sollte dazu ein Ansporn sein.

Die Freiheit der Gesellschaft beruht nicht zuletzt auf der Opferbereitschaft ihrer Bürger, und nur die eigene Opferbereitschaft berechtigt, Forderungen an die öffentliche Hand zu stellen.

Berlin, am 24. November 1962 "



Gesamtdeutsche Mannschaften für 1964

Im November gab Willi Daume als NOK-Präsident über das Besprechungsergebnis des IOC mit dem NOK der DDR folgende Erklärung ab: "Im Anschluß an den geführten Schriftwechsel und nach heutiger Rücksprache mit den Herren des sowjetzonalen NOK verständigte mich IOC-Kanzler Otto Mayer telefonisch, daß die andere Seite sich weitgehend mit den von uns genannten Voraussetzungen zur Bildung einer gesamtdeutschen Olympiamannschaft 1964 auf rein sportlicher Grundlage einverstanden erklärt hätte. Nach Meinung des IOC sei nunmehr, wie auch schriftlich mitgeteilt, eine erste Verhandlung erforderlich. Der IOC-Kanzler Mayer bat mich, Zeit und Ort dafür festzulegen. Zweiseitige Verhandlungen sind zum jetzigen Zeitpunkt, wie in unserem Brief vom 20. Oktober an das IOC dargelegt, weder nützlich noch möglich. Eine Delegation des NOK der Bundesrepublik würde aber Anfang Dezember zu einer gemeinsamen Besprechung in Lausanne unter Führung des IOC bereit sein. Das IOC hat dies akzeptiert."

Nach getrennten Verhandlungen des IOC mit den Vertretern der beiden deutschen NOKs am 8. Dezember 1962 in Lausanne entschied das IOC-Exekutivkomitee, dass Ausscheidungskämpfe zur Bildung der gesamtdeutschen Olympiamannschaft 1964 auch in West- und Ostberlin durchzuführen sind. IOC-Präsident Avery Brundage verkündete diese Entscheidung, nachdem die Vertreter des DDR-NOK abgelehnt hatten, einen entsprechenden Protokolltext über die vorangegangenen Beratungen zu unterschreiben. Festgelegt wurde ferner, dass die Mannschaft unter den gleichen Symbolen wie 1960 starten sollte.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 33 / 11. August 2009, S. 32-33
Der Artikel- und Informationsdienst des
Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2009