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GESCHICHTE/124: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte Teil 28 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 15 / 7. April 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1958/II: Sport als humanitäre Aufgabe
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 28)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Zu einem eindrucksvollen und stolzen Bild von der Entwicklung, die der Deutsche Sportbund seit seiner Gründung im Jahre 1950 genommen hat, und von dem Aufgabenfeld, das er zu erfüllen hat, wurde der Rechenschaftsbericht von Willi Daume, den er auf dem Bundestag des Deutschen Sportbundes im Oktober 1958 in Hamburg gab. Willi Daume ging einleitend auf den selbst in den eigenen Reihen manchmal festzustellenden Sportpessimismus ein und erklärte, ohne die Fehler und Schäden bagatellisieren zu wollen: "In diesen Erscheinungen des modernen Sports spiegelt sich nicht das Wesen des Sports, sondern der Geist unserer Zeit." Er stellte sich vor die heutige Jugend und rundete das Bild von der Lebenskraft des deutschen Sports mit der Feststellung ab: "Wir sind der Überzeugung, daß der deutsche Sport von der Wurzel her kerngesund ist. Der rechtverstandene Sport ist eine humanitäre Aufgabe, für die in unserer Zeit verzerrter Maßstäbe nur wenig Raum gegeben ist. Wenn er sich dennoch in den letzten, so stark von Krisen erschütterten Jahren aufwärts entwickelte, so ist das ein Beweis der unzerstörbaren Arbeitskraft des Sports. Seine negativen Seiten sind Zeichen der Zeit und entsprechen nicht dem wahren Wesen des Sports, um dessen weitere gute Entwicklung in der Zukunft man also nicht bange zu sein braucht."

Ein besonderes Anliegen von Willi Daume war seit langem sein Bemühen um Verständnis und Anerkennung der sittlichen Werte des Sports durch die Kräfte deutschen Geisteslebens. "Heute darf ich", so führte er weiter aus, "mit einem Gefühl des Glücks und der Dankbarkeit sagen, daß in der Führungsspitze des Deutschen Sportbundes inzwischen zwölf ordentliche Universitätsprofessoren und fünf Professoren Pädagogischer Hochschulen mitwirken. Wir haben uns nicht nur etwa aus Gründen der Dekoration ihre Namen geliehen, sie haben uns vielmehr ihre Arbeitskraft und ihr Herz zur Verfügung gestellt." Ein untrügliches Zeichen für diese Bresche in die akademische Front sei weiterhin der Zustrom der Jugend zum Studium der Leibeserziehung, das sich verdrei- und vervierfacht hat.

"Die öffentliche Meinung hat verstanden, worum es ging, wenn wir von Übungsstättenbau, von Spiel- und Sportplätzen um die Ecke, von der täglichen Turnstunde und vom Sport ganz allgemein gesprochen haben. Der größte Engpaß", so versicherte Daume, "ist vor allem der Übungsstättenbau." Er nannte Zahlen: 34.000 allgemeinbildende Schulen, aber nur 7.500 vorhandene Turnhallen bei 18.500 vollklassigen (Schulen, d. h. ein Fehlbedarf von rund 11.000 Hallen oder 2,6 Milliarden/zur Verwirklichung der auch von den Kultusministern geforderten Leibeserziehung nur in den allgemeinbildenden Schulen! "Ich halte es für erforderlich, daß auch wir einmal Mindestbedarfszahlen nennen, nachdem z. B. der Verkehr mit einer Forderung von 82 Milliarden DM die Öffentlichkeit getreten ist."

Mit besonderem Dank gedachte Daume der großen Unterstützung, die er in seinen Bemühungen auf Grund des ständig steigenden Interesses der Bundestagsabgeordneten, vor allem beim "Kreis der Freunde des Sports im Bundestag", gefunden habe. "Ihm im besonderen verdanken wir den 5-Millionen-Fonds für den Sportstättenbau und die Erhöhung des Sportfonds von einer auf 1,8 Millionen. Diese fünf Millionen, die der Bundestag bewilligt hat, stehen als großes Ausrufungszeichen vor der Öffentlichkeit. Sie bestätigen das Vorhandensein eines Notstandes. Und was den eigentlichen Bundessportfonds angeht, so erkläre ich mit dem Mut zur Unpopularität, daß er meines Erachtens nach der Erhöhung auf 1,8 Millionen jetzt ausreicht, die dringendsten Bedürfnisse des Sports und der sportwissenschaftlichen Forschung sowie die Bedürfnisse des Nationalen Olympischen Komitees und der Spitzenverbände zu befriedigen."

Mit großem Ernst sprach Willi Daume dann von den unsagbar großen Schwierigkeiten im Verkehr mit den Aktiven und Vereinen in der Sowjetisch Besetzten Zone. Der Haß, eine Irrsinnshaltung der dortigen politischen Funktionäre und ihre Angst vor einer rein sportlichen Diskussion hätten zu einer Beschränkung des Ost-West-Verkehrs geführt, die nur durch den Willen der "Politruks" zu erklären sei, so wenig Kontakte wie möglich zwischen den beiden Teilen unseres Vaterlandes aufrechtzuerhalten. Auch hier nannte Daume Zahlen: 1.530 Sportveranstaltungen in der Bundesrepublik mit 35.480 ostzonalen Gästen allein 1957, nur 320 Ost-West-Begegnungen mit rund 5.700 Gästen aus der Zone im Jahre 1958!

"Mit beleidigenden Unterstellungen, gemeiner Lüge und böswilligen Verleumdungen werden deutsche Sportler und ihre Führung von keinem Sportverband der Welt gequält, und mag er noch so streng kommunistisch geführt werden. Es ist daher eine Schande, daß der deutsche Sport einzig und allein von den Sportfunktionären der SBZ - also von Deutschen! - verdächtigt, verleumdet und diffamiert wird. Diese Tatsache wird einmal im Buch der deutschen Würdelosigkeit aufgezeichnet werden. Und doch dürfen wir nicht müde werden, zu einem Übereinkommen zu gelangen. Denn nur über diese Funktionärsgruppen können wir Verbindung halten zu den deutschen Menschen in der Zone, zu unseren Kameraden."

Ein Festvortrag des Münchner Philosophen Prof. Dr. Philipp Lersch zum Thema "Der Sport als Aufgabe unserer Zeit" hatte den 5. Bundestag des DSB vom 17. bis 19. Oktober im Hamburger Rathaus eingeleitet. Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, der sein Erscheinen fest zugesagt hatte, musste wegen schlechten Flugwetters kurzfristig absagen und konnte nur per Fernschreiben die weitere Unterstützung der deutschen Sportbewegung durch die Bundesregierung zusagen, um "durch diese Förderung die Gefahren der technisierten Zeit zu überstehen".

Der Sport sei in Gefahr, durch den Apparat verschlungen zu werden, durch die Überorganisierung, durch die Überspezialisierung, die Überbetonung des Rekords und die Abkehr vom Idealismus zum Kommerzialismus. Die Feststellung traf der Münchner Philosoph im Rahmen der feierlichen Eröffnung des Bundestages vor den fast vollzählig versammelten Verantwortlichen des deutschen Sports und zahlreichen Ehrengästen.

Prof. Dr. Lersch umriss die Grundlagen des Sports aus biologischer und pädagogischer Sicht, betonte aber auch die große soziologische Bedeutung durch seine gemeinschaftsbildende Kraft. Im technisierten Zeitalter habe der Sport zugleich eine große medizinische Bedeutung im Kampf gegen die Zivilisationskrankheiten, die vor allem auf die Drosselung der Bewegungsmöglichkeiten zurückzuführen seien.

Soweit wäre am Sport alles gut, fuhr der Referent fort, doch dem Zug der Zeit folgend, habe sich schließlich das Geschäft dem Sport zugewandt. Immer mehr gelange er unter die Regie "selbstsüchtiger, habgieriger Arrangeure". Die Chance, Geld zu machen, locke die Geschäftstüchtigen an "wie das Aas die Geier". Die Kommerzialisierung verdränge den Idealismus, und der Apparat, gegen den der Sport einst Abwehr sein sollte, sei jetzt im Begriff, ihn zu verschlingen. Besondere Bedeutung, betonte Prof. Dr. Lersch, käme schließlich der Schule zu, den Sport auf dem richtigen Wege zu halten. Hier könne noch ein guter Samen gesät werden. Voraussetzung sei allerdings, dass der Sport in den Schulen auch mit der notwendigen Regelmäßigkeit und Ernsthaftigkeit betrieben werde.

Im parlamentarischen Teil beschloss der Bundestag auf Vorschlag von Schatzmeister Herbert Kunze einstimmig die Schaffung eines Selbsthilfefonds für einen Finanzausgleich innerhalb des deutschen Sports, der als Treuhand-Haushalt beim DSB geführt werden sollte. Der Deutsche Fußball-Bund und die Landessportbünde hatten sich zuvor bereit erklärt, je 325.000 DM in diesen Solidaritätsfonds zu Gunsten finanzschwacher Spitzenverbände einzuzahlen, der dann zwei Jahrzehnte als Gemeinschaftsleistung weiterbestand. Weitere Beschlüsse des Bundestages betrafen die Verlegung des BGB-Sitzes des DSB nach Berlin und die Verabschiedung einer zwei Wochen zuvor von der 10. Vollversammlung der Deutschen Sportjugend - ebenfalls in Hamburg - beschlossenen Empfehlung an den Bundestag, der Jugendarbeit im Sport künftig eine noch größere Bedeutung zuzumessen und eine stärkere Förderung unter Beachtung pädagogischer Grundsätze zukommen zu lassen. Einstimmig wurden Präsident Willi Daume, die Vizepräsidenten Oscar Drees, Dr. Heino Eckert und Heinz Lindner sowie Schatzmeister Herbert Kunze wiedergewählt und Dr. Wilhelm Sälter als neuer Vorsitzender der DSJ sowie Grete Nordhoff als Vorsitzende des Frauenausschusses bestätigt.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 15 / 7. April 2009, S. 29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2009