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GESCHICHTE/103: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte - Teil 10 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 45 / 4. November 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1951: Keine Gesamtdeutsche Mannschaft für Oslo und Helsinki 1952
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 10)

Eine Serie von Friedrich Mevert


In der 45. IOC-Session vom 7. bis 9. Mai 1951 in Wien beschloss die Versammlung der Olympier auf Empfehlung des IOC-Exekutivkomitees die endgültige Anerkennung des westdeutschen NOK und empfahl in Kenntnis der Existenz auch des ostdeutschen Komitees eine Einigung der Sportführer beider deutschen Teilstaaten mit dem Ziel, eine gesamtdeutsche Mannschaft für die Olympischen Sommerspiele in Helsinki 1952 zu bilden. Unmittelbar nach dieser Wiener Entscheidung traten am 17. Mai Vertreter beider deutschen Komitees in Hannover zu ersten Verhandlungen zusammen, die jedoch keinen Erfolg brachten. Das IOC-Exekutivkomitee konkretisierte in seiner Sitzung am 21. Mai 1951 in Lausanne mit west- und ostdeutschen Vertretern die vorangegangeneren Wiener Empfehlungen und gab darüber folgendes Kommuniqué heraus:

"In Übereinstimmung mit der Entscheidung des IOC bei seiner Sitzung in Wien im Mai dieses Jahres empfing das Exekutivkomitee des IOC in Lausanne Vertreter des Westdeutschen und Ostdeutschen Sports, um Kenntnis zu nehmen von dem Ergebnis ihrer Verhandlungen über die deutsche Teilnahme bei den Olympischen Spielen 1952. Es wurde dargelegt, dass nach den Bestimmungen nur ein Komitee für jedes Land durch das IOC anerkannt werden kann. Da das Deutsche Olympische Komitee als solches bereits anerkannt ist, bleibt es allein verantwortlich für die Anwendung der Bestimmungen, die sich aus dem Artikel 25 der olympischen Regeln ergeben. Es wurde ferner im Augenblick der Anerkennung des Komitees klargelegt, dass alle deutschen Amateursportler an den Spielen teilnehmen können. Die Vertreter beider Zonen bestätigen, dass trotz einer freundlichen Athmosphäre, die während ihrer Besprechung geherrscht hat, es nicht möglich war, eine Übereinstimmung in allen Punkten zu erzielen. Trotzdem wurde einstimmig festgelegt, dass für die Olympischen Spiele 1952 die besten deutschen Amateursportler ausgewählt würden, ohne Rücksicht auf ihren Wohnsitz und nur in Übereinstimmung mit den olympischen Regeln. Das Exekutivkomitee des IOC hat von dieser Erklärung mit Befriedigung Kenntnis genommen und hofft, dass in naher Zukunft eine volle Übereinstimmung erzielt wird. Es rechnet mit einem Bericht für seine Sitzung im Juli 1952 in Helsinki, was seine Empfehlungen anbetrifft, ein Olympisches Komitee für ganz Deutschland zu bilden."

Für das IOC hatten damals unterzeichnet: Avery Brundage, Lord Burghley, Albert Mayer, Armand Massard und Alberto Bonacoasa. Obwohl die Aufstellung einer gemeinsamen Mannschaft unter sportlichen Gesichtspunkten kein Problem gewesen wäre, brachten die folgenden gesamtdeutschen Beratungen - insbesondere im November 1951 in Kassel und Hamburg - keine Lösung. Die politische Zielsetzung der ostdeutschen Verhandlungsführer spiegelt sich deutlich in einer Erklärung von ADN, der offiziellen Nachrichtenagentur der DDR, wider: Darin hieß es: "Während wir uns bemühen, auf paritätischer Grundlage die Beziehungen im deutschen Sportverkehr zu erhalten und gemäß dem olympischen Gedanken eine Sportfreundschaft zu entwickeln und aus diesem Grunde ein Nationales Olympisches Komitee bildeten, welches die Voraussetzung für ein gesamtdeutsches Nationales Olympisches Komitee gibt, versuchen von den Amerikanern beeinflusste und gelenkte Kreise im Westen, die leider auch auf das Sportleben ihren verderbenbringenden Einfluß ausüben, Totalitätsansprüche zu stellen. Unter freiem Sport verstehen sie die Unterwerfung der Sportlerinnen und Sportler in unserer Deutschen Demokratischen Republik unter die Anweisungen der Westdeutschen Fachverbände, Unterwerfung unter das Westdeutsche NOK, welches man unter amerikanischem Druck zum gesamtdeutschen NOK erklären will. Solche Dinge entbehren jeglicher rechtlicher Grundlage, allerdings nicht der Lächerlichkeit. Die DDR, die eine eigene selbständige Regierung und diplomatische Vertretrungen hat, die von vielen Ländern anerkannt sind, die eine selbständige demokratische Sportbewegung entwickelte, hat zweifellos das gleiche Recht wie die Bundesrepublik; und mit welchem Recht nimmt man das Saargebiet in das Internationale Olympische Komitee auf, da es genau so ein Teil Deutschlands ist, nur ein viel kleinerer als die DDR. Die vorgebrachten Gründe sind zu fadenscheinig, als dass sie nicht jeder Sportler und jede Sportlerin durchschauen könnte. Deswegen ist und bleibt die Forderung: Bildung eines gesamtdeutschen Nationalen Olympischen Komitees, an dem und in dem die Mitglieder des Nationalen Olympischen Komitees der DDR gleichberechtigt teilnehmen."

Auch ein letzter Vermittlungsversuch des finnischen Barons Erik von Frenckell, Mitglied des IOC und Präsident des Organisationskomitees von Helsinki, am 8. Februar 1952 in Kopenhagen brachte kein Ergebnis. Die Gründe schilderte der in Düsseldorf erscheinende Sport-Informations-Dienst (sid) in einer Meldung vom gleichen Tage detailliert in folgender Form: "Die vom Internationalen Olympischen Komitee nach Kopenhagen einberufene Besprechung mit Vertretern der beiden deutschen NOKs kam nicht zustande. Die Ostzonen-Delegation unter Führung von Kurt Edel traf wegen Paßschwierigkeit mit dem Flugzeug aus Prag erst um 14.20 Uhr in Kopenhagen ein, weigerte sich aber an der von 10 auf 15 Uhr verlegten Besprechung teilzunehmen, da sie "von der Reise ermüdet und hungrig" sei. Obwohl der greise IOC-Präsident Sigfrid Edström (Schweden), der eigens über Kopenhagen nach Oslo fahrende IOC-Vizepräsident Avery Brundage (USA), Kanzler Otto Mayer (Schweiz) und die aus Ritter von Halt, Dr. Bauwens, Dr. Danz und Willi Daume bestehende westdeutsche Delegation bis 17.30 Uhr im Hause des dänischen Sportverbandes warteten, erschienen die Ostzonen-Delegierten, die in einem nur 300m entfernten Hotel untergebracht waren, nicht zur Besprechung. Kurz bevor die westdeutsche Delegation Kopenhagen mit dem Abendzug wieder verließ, erklärte IOC-Präsident Sigfrid Edström vor der Abfahrt nach Oslo: Der Teilnahme der deutschen Mannschaft bei den Winterspielen in Oslo wird nichts im Wege stehen. Über die Bildung einer gesamtdeutschen Mannschaft für Helsinki aber wird auf der IOC-Tagung in Oslo beraten..."

Diese Provokation des IOC und des bundesdeutschen NOK verhinderte damit nicht nur die Olympia-Teilnahme ostdeutscher Sportlerinnen und Sportler in Oslo und Helsinki 1952, sondern kostete dem dafür verantwortlichen Kurt Edel auch die weitere Präsidentschaft im NOK der DDR.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 45 / 4. November 2008, S. 36
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2008