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GESCHICHTE/094: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte - 4 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 39 / 23. September 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 4)

Eine Serie von Friedrich Mevert


In dem Ringen darum, in den ersten Nachkriegsjahren im zerstörten Deutschland neue Strukturen für den Sport in den westlichen Besatzungszonen aufzubauen, liefen parallel die Bemühungen, wieder in das schrittweise anlaufende internationale Sportgeschehen einbezogen zu werden und insbesondere die Anerkennung eines - wenn, auch zunächst vorläufigen - Olympischen Komitees zu erreichen. Dabei entstanden Spannungen insbesondere auch dadurch, dass einerseits Persönlichkeiten Ansprüche auf eine führende Mitwirkung einforderten, die bereits während des NS-Regimes die olympische Bewegung im "Dritten Reich" wesentlich mitgetragen hatten. Andererseits standen aber - abgesehen von persönlichen Spannungen - deren Vorstellungen von einem Neuaufbau oft diametral denen der politisch unbelasteten Sportführer gegenüber, die in der NS-Zeit aus ihren Ämtern gedrängt worden, politisch verfolgt oder zum Teil ins Ausland emigriert waren. Dies führte natürlich neben den unzureichenden organisatorischen Rahmenbedingungen und den unterschiedlichen Vorbehalten der alliierten Kontrolloffiziere zu erheblichen Verzögerungen.

Zwei Monate nachdem am 23. Oktober 1948 in Bad Homburg die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport (ADS) als eine Zwischenstufe zu den folgenden NOK- und DSB-Gründungen (1949 und 1950) ins Leben gerufen worden war unternahm deren Präsident, der Darmstädter Regierungsrat Heinz Lindner, einen weiteren Versuch, eine olympische Wieder-Anerkennung zu erreichen. Das geht aus dem im IOC-Archiv in Lausanne befindlichen Schreiben vom 27. Dezember 1948 mit dem Briefkopf "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport - Präsidium" an IOC-Präsident Sigfrid Edström in Stockholm mit folgendem Wortlaut hervor:

"Sehr geehrter Herr Präsident Edström!

Durch die Presse werden Sie wohl bereits erfahren haben, dass sich die "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport" gebildet hat. Als Präsident habe ich die Ehre, Ihnen auf diesem Wege diese Gründung in aller Form zu bestätigen.

Die "Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport" ist die Vereinigung aller Fachverbände (Fußball, Handball, Leichtathletik, Turnen usw.) und aller überfachlichen Landessportbünde zu einer Arbeitsgemeinschaft. Sie hat die Aufgabe, überverbandliche (überfachliche) Fragen des deutschen Sportes zu klären. Fachliche Angelegenheiten einschl. des fachlichen Auslandsverkehrs werden ausschliesslich von den Fachverbänden bearbeitet. Das Plenum der "ADS" hat u. a. auch die Funktion des nationalen Olympischen Komitees. Auf Wunsch bin ich gerne bereit, Sie über diese interessierenden Fragen zu informieren.

Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine Bitte: ich bitte mir durch Ihr Sekretariat die genauen Anschriften aller dem IOC angeschlossenen Sportverbände mitteilen zu lassen. Für die Erfüllung dieser Bitte wäre ich Ihnen sehr verbunden.

Während der Tage der Olympischen Spiele in Berlin hatte ich die Ehre, Ihnen durch Karl Ritter von Halt vorgestellt worden zu sein. Ich war seinerzeit mit Prof. Misangij - Budapest und Mr. Dieges - New York im Zeitnehmergericht der XI. Olympiade tätig. Es wäre jedoch vermessen anzunehmen, dass Sie sich noch meiner erinnern könnten. Dennoch darf ich mir erlauben, aus Anlass des Jahreswechsels, Ihnen sowohl persönlich als auch in Ihrer Eigenschaft als Präsident des IOC meine aufrichtigen Glückwünsche zu entbieten. Diese Glückwünsche entsprechen übrigens durchaus auch der Auffassung unserer deutschen Sportjugend die sich von Ihrem weiteren Einsatz zum Wohle des Sports nicht zuletzt auch das baldige öffnen der Tore zur Sportjugend der Welt verspricht. - Ich darf Sie noch bitten, mir zu gegebener Zeit, die Informationen zugehen zu lassen, die Sie dem deutschen Sport zuteil werden lassen wollen.

Mit dem Ausdruck besonderer Hochachtung
Ihr ergebener gez. Heinz Lindner"


IOC-Präsident Edström antwortete postwendend mit Schreiben vom 5. Januar 1949 an Heinz Lindner, dass er "davon Notiz genommen (habe), dass in Westdeutschland die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sport gegründet worden ist. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Bei dieser Gelegenheit möchte ich Ihnen mitteilen, dass das Internationale Olympische Komitè nur mit einem Olympischen Ausschuss arbeiten kann. Dieser Ausschuss muss von sämtlichen Olympischen Sportzweigen gegründet sein. Soweit ich weiss besteht schon in Deutschland solch ein Ausschuss unter der Leitung von Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg und Professor Carl Diem in Köln. Hochachtungsvoll S. Edström."


Carl Diem, der von diesem Edström-Schreiben eine Abschrift zur Kenntnis erhalten hatte, reagierte sofort mit einem Rundschreiben vom 10. Januar 1949 unter dem Briefkopf der Sporthochschule Köln an Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg, Dr. Peco Bauwens, Heinz Lindner und Willi Daume, in dem er - auszugsweise - feststellt:

"Liebe Sportfreunde! (..)

Ich möchte dazu bemerken, daß ich mich niemals, weder mündlich noch schriftlich als Mitglied des am 7./8. Juni 1947 neu gegrünten Deutsch-Olympischen Ausschusses bezeichnet habe. Edström hält dies für selbstverständlich, zumal er mit mir den Briefwechsel über die Neugründung dieses Ausschusses aufgenommen und geführt hat. Ich habe seinerzeit auf der Sitzung in Frankfurt wahrheitsgemäß geantwortet, daß meine Nichtzugehörigkeit zu dem Ausschuß dessen Anerkennung solange nicht erschweren würde, als der Herzog Adolf Friedrich an seiner Spitze steht.

Wenn jetzt aber ein neuer Olympischer Ausschuß gemeldet wird, dem der Herzog und ich nicht angehören, so fürchte ich, daß die von Edström beabsichtigte Anerkennung des im Jahre 1947 durch den Herzog gemeldeten Ausschusses durch das Intern. Olympische Komitee auf der Sitzung April in Rom gefährdet ist.

Ich habe natürlich bisher mit keiner Silbe erwähnt, daß ich diesem Ausschuß nicht angehöre, denn ich vermute, daß dies doch im Auslande Befremden erregen würde. Die gegen mich gerichteten Angriffe sind auch im Ausland bekannt geworden und haben zu der Annahme geführt, daß wieder wie 1933 politisch gerichtete Kreise in den deutschen Sport eingedrungen sind. Soweit ich beobachten konnte, haben jedenfalls die Angriffe nicht das Vertrauen in mich, sondern in die Leitung des deutschen Sports erschüttert. Ich empfehle also recht vorsichtig vorzugehen. Der in Homburg neu gegründete Sportausschuß hat den im Jahre 1947 gegründeten Olympischen Ausschuß nicht ersetzt, sondern nur die Absicht ausgesprochen, daß er dessen Aufgaben in Zukunft übernehmen wolle. Mit einer einfachen Anmeldung ohne Vermittlung des Herzogs bei Edström ist das nicht möglich. Im Gegenteil, dadurch wird die Anerkennung im Jahre 1949 unwahrscheinlich.

Ich hatte gehofft, daß die olympische Sache ruhen bliebe, bis die Anerkennung durch das IOC erfolgt wäre. Dann hätte man sich erneut zusammensetzen müssen. Ich empfehle dringend, daß Herr Dr. Lindner die unmittelbare Korrespondenz mit Herrn Edström einstellt und der Herzog von Mecklenburg einen aufklärenden Brief schreibt.

Ich selbst warte noch die Stellungnahme zu meinem Schreiben ab, bevor ich Edström mitteile, daß ich beiden Ausschüssen nicht angehöre.

gez.
Diem"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 39 / 23. September 2008, S. 13
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2008