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GESCHICHTE/093: Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte - 3 (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 38 / 16. September 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

1947: In Frankfurt wird ein "vorläufiges" Olympisches Komitee gebildet
Sportpolitische Dokumente aus sieben Jahrzehnten Nachkriegsgeschichte (Teil 3)

Eine Serie von Friedrich Mevert


Vor allem auf Initiative von Dr. Carl Diem, dem Generalsekretär der Olympischen Spiele 1936 in Berlin und ab 1938 Direktor des Internationalen Olympischen Instituts in Berlin, setzten bereits im Sommer 1945 - wenige Monate nach der Kapitulation Deutschlands - Bemühungen unter Beteiligung insbesondere des deutschen IOC-Mitglieds Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg und des späteren DFB-Präsidenten Dr. Peco Bauwens ein, wieder ein Olympisches Komitee zu begründen und dadurch auch die Teilnahme deutscher Sportler an den Olympischen Spielen 1948, den ersten Nachkriegsspielen, in St. Moritz (Winter) und London (Sommer) zu ermöglichen. Grundlage dafür sollte eine erste interzonale Sportkonferenz vom 26. bis 28. November 1946 in Frankfurt sein, bei der es allerdings zu Auseinandersetzungen kam, an denen letztlich die geplante Komitee-Bildung scheiterte. Die Gründung eines "vorläufigen" Deutschen Olympischen Ausschusses sollte nunmehr bei einer zweiten deutschen Sportkonferenz am 7. und 8. Juni 1947 in Frankfurt erfolgen, zu der Heinz Lindner als Vorsitzender des Landessportverbandes Hessen eingeladen hatte. In einem Vorgespräch unter der Leitung von Herzog zu Mecklenburg am 28. Mai 1947 in Köln waren die Weichen für dieses Vorgehen gestellt worden.


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Über diese Gründung berichtete die Frankfurter Neue Presse in ihrer Ausgabe vom 9. Juni 1947:

"Offene Tore für die Sportjugend Vorläufiges deutsches Olympisches Komitee gebildet

Auf der Sportkonferenz, die am Wochenende im Grünen Saal der "Frankfurter Neuen Presse" stattfand und eine große Zahl führender Persönlichkeiten des deutschen Sports am runden Tisch vereinigte, wurde ein Antrag auf Bildung eines vorläufigen Arbeitsausschusses zur Behandlung aller mit den Olympischen Spielen zusammenhängenden Fragen (Olympisches Komitee) gebildet. Da die Gründung eines solchen Komitees über den Ländermaßstab hinaus nicht statthaft ist, statuierte sich dieses Komitee innerhalb der britischen Zone. Präsident des Komitees ist Herzog Adolf Friedrich von Mecklenburg-Eutin, das einzige deutsche lebende Mitglied des IOK, als Anthropologe und Afrikaforscher auch in der wissenschaftlichen Welt bekannt. In das Komitee wurden ferner Dr. Peco Bauwens-Köln, der international angesehene Schiedsrichter, Walter von Adelson-Hamburg, Hünnecke-Hannover, Drees-Bremen und Hugo Grömmer-Arnsberg gewählt. Dr. Carl Diem, der Leiter der neuen Sporthochschule in Köln, hat auf seine Wahl verzichtet.

Das Komitee, das keine Organisation darstellt und sich auch keine Exekutivgewalt anmaßt, sieht seine Aufgabe darin, Deutschland wieder die Teilnahme am internationalen Sportverkehr, insbesondere an den olympischen Spielen, zu ermöglichen, und der deutschen Sportjugend die Grenzen zu öffnen. Dieses vorläufige Komitee soll für Deutschland als Büro für die Olympischen Spiele fungieren, sozusagen die "Visitenkarte" des deutschen Sports darstellen, die bereits auch am Sonntag telegraphisch bei IOK in Stockholm abgegeben wurde. Mitbestimmend für den Entschluß der Frankfurter Konferenz war auch die bevorstehende Tagung des IOK am 16. Juli in Stockholm, das bekanntlich die Mitarbeit und Beteiligung Deutschlands an den Spielen von dem Bestehen eines deutschen Komitee abhängig macht.

Während der Konferenz wurde mehrfach mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Frage der Teilnahme Deutschlands an den nächsten Spielen von sekundärer Bedeutung ist, ja, aus mancherlei triftigen Erwägungen eine Beteiligung in London besser unterbleibt. Die Hauptaufmerksamkeit bleibe darauf gerichtet, Deutschland von der Mitarbeit an der olympischen Idee nicht ausgeschlossen zu sehen...

Im Anschluß an die Bildung eines vorläufigen deutschen Olympischen Komitees befaßte sich die Konferenz noch mit einer Reihe von anderen den Aufbau und die Sauberkeit des deutschen Sports betreffenden Fragen. Dr. Carl Diem referierte über die Ausbildungsarbeit in seiner Hochschule. Prälat Wolker machte grundsätzliche Ausführungen zum Sportethos. Mit Interesse folgte man auch einer "philologischen" Auseinandersetzung über die Begriffe Sport und Leibesübungen, wobei die Mehrzahl der Tagungsteilnehmer dem Begriff "Sport" den Vorzug vor dem Begriff "Leibesübungen" gab."


Noch von Frankfurt aus teilte Herzog zu Mecklenburg mit Schreiben vom 7. Juni 1947 IOC-Präsident Sigfrid Edström in Stockholm mit, dass bei der von Heinz Lindner einberufenen Sportkonferenz ein Deutscher Olympischer Ausschuss gegründet worden sei, dem "bis zu seiner endgültigen Vervollständigung" unter seinem Vorsitz folgende "einstimmig gewählten Persönlichkeiten" Dr. Peco Bauwens (Köln), Walter von Adelson (Hamburg), Heinrich Hünecke (Hannover), Hugo Grömmer (Arneberg) und Oscar Drees (Bremen) angehörten. Einen Monat später erhielt Herzog Adolf Friedrich in Eutin die Antwort des IOC-Präsidenten in dessen Brief vom 7. Juli 1947:

"Mein lieber Freund, vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 7. Juni. Das Olympische Komitee ist der Meinung, dass die Anerkennung eines Deutschen Olympischen Komitees erst nachdem ein neues Deutschland von den Weststaaten gebildet worden ist, erfolgen kann. Deutsche Teilnahme in London 1948 dürfte deshalb nicht möglich sein. Mit freundlichem Gruß bin ich Ihr sehr ergebener gez. I. S. Edström."


Die Sportverantwortlichen in Deutschland waren von dem durch die 40. IOC-Session vom 19. bis 21. Juni 1947 in Stockholm gefassten und bereits durch die Presse bekanntgewordenen Ablehnungsbeschluss sehr enttäuscht. Herzog zu Mecklenburg brachte dies in einem als privat bezeichneten Schreiben vom 4. August 1947 an den IOC-Präsidenten dann auch deutlich zum Ausdruck:

"Lieber Edström! Ihre Zuschrift vom 7. Juli ds. Jrs., in der Sie mich davon benachrichtigen, dass das IOC die Gültigkeit eines Deutschen Olymp. Ausschusses bestreitet, habe ich erhalten.

Von einer offiziellen Antwort hierauf möchte ich absehen. Meine private Meinung aber, die auch von meinen Sportkameraden geteilt wird, geht dahin, dass das IOC sich durchaus im Irrtum befindet bei der Meinung, dass ein Land Deutschland heute nicht mehr existiert. Wenn auch Deutschland zurzeit von Feindmächten besetzt ist, so ist sein Name niemals angetastet oder gelöscht worden. Alle Sitzungen der Alliierten Aussenminister beschäftigen sich mit "Deutschland". Die Zonen oder neugebildeten Länder sind nur Einzelteile Deutschlands. Die Meinung, dass zur Gründung eines Deutschen Olymp. Ausschusses erst eine Neubildung Deutschlands durch die Weststaaten notwendig sei, wie sie das IOC vertritt, begegnet hier allgemeiner Ablehnung. Das IOC verläßt mit dieser Entscheidung ausserdem den Rahmen des sportlichen und begibt sich auf politisches Gebiet. Es mischt sich in die innere politische Struktur eines Landes ein und überschreitet somit den Rahmen seiner Befugnisse. Die Trennung von Politik und Sport ist ein Grundsatz des IOC.

Die Bildung eines Deutschen Olymp. Ausschusses ist von den Zonenbesatzungen nicht beanstandet, sie besteht daher zu Recht. Von einer weiteren Diskussion über diesen Gegenstand möchte ich absehen und bin mit vielen Grüssen immer Ihr alter Kollege gez. zu Mecklenburg"


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 38 / 16. September 2008, S. 21
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2008