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GESCHICHTE/079: Ausschluß von Juden aus deutschen Sportverbänden (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Vor 75 Jahren begann der Ausschluss von Juden aus deutschen Sportverbänden
Deutsche Turnerschaft beschloss Arierparagraphen in seiner strengsten Form

Von Holger Schück


Vor 75 Jahren, wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, begann im deutschen Sport eine beispiellose Welle der "Arisierung". Sporthistorische Forschungen haben ergeben: Der Ausschluss jüdischer Sportler aus den deutschen Turn- und Sportvereinen war dabei eine Art vorauseilender Gehorsam, der von staatlicher oder offizieller Seite so in der Form gar nicht verlangt worden war. Vorreiter einer rassegeleiteten Sportpolitik war die Führung der Deutschen Turnerschaft (DT), die besonders rigoros eine radikale Ausschlusspraxis durchsetzte. Der Hauptausschuss, der den Status eines geschäftsführenden Vorstandes hatte, beschloss am 8./9. April 1933 in Stuttgart einstimmig, politisch belastete Personen auszugrenzen und somit neben ehemaligen Marxisten die jüdischen Mitglieder zu entfernen. Beantragt hatten das "Bekenntnis zu dem arischen Grundsatz" die sächsischen Turner.

Das Gremium forderte vom höchsten Beschlussorgan, dem Deutschen Turntag, "den Arierparagraphen in die Satzung der DT aufzunehmen" - in seiner strengsten Form, wonach es "genügt, dass ein Teil der Großeltern jüdischen Blutes ist". Eile sei geboten, so postulierte es der gerade vom Zweiten zum Ersten Vorsitzenden aufgerückte Dr. Edmund Neuendorff in einem Aufruf, damit es "zur Zeit des Deutschen Turnfestes in Stuttgart keine jüdischen Turner mehr unter uns gibt". Besonders makaber war, dass Neuendorff die Beschlüsse in der Deutschen Turnzeitung in Form einer frohen "Osterbotschaft" vorstellte. Neben der Parole "Turnerschaft unser Weg, Volk unser Ziel, freies, starkes, stolzes deutsches Volk" führte der überzeugte Nationalsozialist aus: "Wir wollen neben die braune SA und die grauen Stahlhelmer die blauen Turner setzen, und wir haben den Ehrgeiz, dass unsere blauen Scharen den deutschen Kameraden von der SA oder denen vom Stahlhelm weder an vaterländischer Zielklarheit noch an soldatischem Geiste noch an Wehrtüchtigkeit nachstehen."

Zunächst sollte allerdings eine Ausnahmeregelung für jüdische "Frontkämpfer" gelten: "Jude ist, wer von jüdischen Eltern stammt. Dazu genügt, dass ein Teil der Großeltern jüdischen Blutes ist. Jüdische Turner, die am Weltkriege als Frontkämpfer teilgenommen haben oder deren Söhne oder Väter im Weltkriege gefallen sind, können in allen Ehren in der Turnerschaft bleiben." Dieses Zugeständnis wurde jedoch am 17. Mai zurückgenommen. Und Ende Mai schrieb der "Führer der Deutschen Turnerschaft" Neuendorff im Verbandsorgan über den "Ariergrundsatz in der DT": "Die Vollarisierung ist spätestens bis zum Deutschen Turnfest vollkommen durchzuführen." Zuvor hatte Neuendorff am 16. Mai in einem offenen Brief an Reichskanzler Adolf Hitler eilfertig gemeldet: "Die verhältnismäßig wenigen Marxisten und Juden, die sich in der Turnerschaft befanden, haben sie verlassen müssen."

Der rigide menschenverachtende Beschluss stieß in den Vereinen auf Kritik. So berichtete der völkisch eingestellte Rupert Naumann, der sich nach der Machtergreifung der Nazis an die Spitze der Berliner Turnerschaft, dem mitgliederstärksten deutschen Turnverein, gesetzt hatte, von "Unzufriedenheit" der Basis - allerdings nur bezogen darauf, dass auch verdienstvolle Persönlichkeiten ausgeschlossen werden sollen, etwa der Kunstturn-Veteran Alfred Flatow und der prominente Leichtathlet Dr. Hans F. Kantorowitz. Naumann wünschte sich eine "Milderung des Arierparagraphen".

Neuendorff antwortete am 23. September und verlangte, "ganz eisern und hart und folgerichtig zu handeln". Man könnte schließlich nicht zwischen "Juden 1., 2. und 3. Klasse unterscheiden". Er habe zwar durchaus Verständnis, "dass auch ein Jude ein feiner Mensch sein kann. Aus unserem nationalen öffentlichen Leben muss er aber verschwinden, und die DT ist ein Stück dieses nationalen Lebens und soll es in der Zukunft erst recht werden". Alle Juden seien aus der DT zu entfernen: "Tun wir es in Berlin nicht, dann geht sofort das Geschrei wieder los, und wir schaden dann um der paar Juden willen der gesamten DT und ihrem völkischen Ansehen."

1947 rechtfertigte sich Neuendorff, der Ausschluss jüdischer Mitglieder sei "die Kardinalforderung für das Weiterbestehen der DT" gewesen. Was allerdings nicht den Tatsachen entspricht: Denn die politische Staatsführung hatte dies damals gar nicht eingefordert. Im Frühjahr 1933 gab es zwar den ersten, allerdings ungesteuerten Straßenterror und Boykott von NS-Formationen gegen jüdische Geschäftsleute und Bürger. Das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933 grenzte jüdische Beamte aus dem öffentlichen Dienst (ausgenommen Weltkriegskämpfer) aus - das bezog sich allerdings nur auf den öffentlich-rechtlichen Sektor, ohne dass eine Durchherrschung auch ins Private verlangt wurde. Was die DT betrieb, war also so etwas wie vorauseilender Gehorsam, eine radikale Rassenpolitik zu betreiben.

Überhaupt: Im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 in Berlin hielt sich die Reichssportführung in Rassenfragen zurück. Übergeordnetes Ziel der NS-Politik war es, Boykottandrohungen abzuwehren. Hingegen verfolgte die DT-Führung das Ziel, sich als ein der SA vergleichbarer nationaler Verband zu profilieren, und verletzte dabei sein neutrales Gebot. Dass die Turnerschaft ihre arischen Mitglieder schlechter behandelte als die Nazis ihre Erzfeinde, ist von Sporthistorikern in den letzten Jahren häufiger dargestellt worden. 1936 stellte sich heraus, dass der verschärfte Arierparagraph nicht im Einklang mit den sogenannten "Nürnberger Gesetzen" der NS-Diktatur, konkret mit dem Reichsbürgergesetz, steht und damit rechtswidrig ist. Vierteljuden und Halbjuden dürften danach nicht vom öffentlichen Leben ausgeschlossen werden, hieß es. Der Deutsche Reichsbund für Leibesübungen machte deutlich, dass die Arierbestimmungen der Turnvereins-Satzungen somit nichtig seien. Dabei wurde zugegeben, man wollte mit diesem klaren Signal dem Ausland gegenüber akzentuieren, dass jüdische Bürger in Deutschland nun einmal nicht rechtlos seien.

Anfang April 1933 hat auch der Deutsche Reichsverband für Amateurboxen einen rigiden Arierparagraphen durchgesetzt. Noch deutlicher profilierten sich die Profis: Der Verband Deutscher Faustkämpfer hatte in seinem Anfang April beschlossenen Zehn-Punkte-Programm verfügt: "Sämtliche Juden, auch getaufte, sind von der Mitgliederliste zu streichen." Arbeitsverträge mit jüdischen Managern wurden untersagt; auf dem Weg zu einem neuen WM-Kampf setzte dann Max Schmeling den Fortbestand seines Kontraktes zum US-Manager Joe Jacobs durch. Im April 1933 hatte sich auch der Deutsche Schwimmverband positioniert, alle jüdischen Vereinsmitglieder auszuschließen. Einen Monat später beschloss der Deutsche Ruderverband ebenfalls das "arische Prinzip", mit Ausnahme jüdischer Frontkämpfer. Der Deutsche Ski-Verband forderte im Juni von seinen Regionalorganisationen, "Rassenfremde" nicht aufzunehmen und sie aus den Vorständen zu entfernen - unklar ist, ob diese Anordnung unten breitflächig befolgt wurde. Zu erheblichen ausländischen Protesten kam es, als der Deutsche Tennis-Bund im April 1933 "Nichtarier" von Repräsentativspielen ausschloss und somit der Spitzenspieler Daniel Prenn aus dem Daviscup-Team verbannt wurde. Englische Topspieler verurteilten dies, und König Gustav Adolf V von Schweden trug bei einem Staatsbesuch in Berlin ein demonstratives Match mit Prenn aus.

Sportlich aktive Juden waren bei der Machtübernahme der Nazis zumeist in der regulären Vereinsbewegung organisiert. Jüdische Sportlerinnen und Sportler waren besonders erfolgreich in der Leichtathletik, im Fechten, im Schwimmen, im Boxen und in der Schwerathletik. Im Deutschen Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA), der damaligen Sport-Dachorganisation, nahm niemand daran Anstoß, dass der Erste Vorsitzende Theodor Lewald, der als geschätztes IOC-Mitglied die Olympischen Spiele 1936 nach Deutschland geholt hatte, Halbjude ist. Die Verdrängung der Juden aus den deutschen Sportvereinen und Verbänden führte nach 1933 zu einer Bündelung in eigenen Sportorganisationen, in denen sie trotz politischer Diskriminierung und Ausgrenzung noch eine Weile sportliche Aktivitäten in Spitze und Breite entfalten konnten. Über 20.000 fanden bei "Makkabi", "Vintus", "Schild" und kleineren Organisationen vorübergehend eine neue Heimat, bis mit dem Terror der sogenannten Reichskristallnacht vom 9. November 1938 die Apokalypse ihren Lauf nahm.

An die Opfer der NS-Zeit erinnert die Aktion "Stolpersteine, die auf eine Initiative des Kölner Künstlers Gunter Demnig zurückgeht. Der Mainzer Turnverein von 1817 hatte beispielsweise im November letzten Jahres in der Breitenbacher Strasse 19 einen Stolperstein im Bürgersteig verlegt, um Ernst Cantor, der von 1911 bis 1933 Vereinsvorsitzender war und 1942 in einem Vernichtungslager ermordet wurde, ein ehrendes Andenken zu setzen. Bei dieser Gelegenheit sagte der Präsident des Deutschen Turner-Bundes, Rainer Brechtken: "Als Präsident des Deutschen Turner-Bundes begrüße ich diese aktive Form der Auseinandersetzung mit dem dunkelsten Kapitel unserer Geschichte auch in den Turn- und Sportvereinen." Brechtken forderte weitere Turn- und Sportvereine zur Nachahmung auf und sagte damals weiter: "Der Deutsche Turner-Bund hat sich mit der Geschichte der Deutschen Turnerschaft offensiv auseinandergesetzt und erinnert seit 1986 mit der Verleihung der Flatow-Medaille bei Deutschen Turnfesten regelmäßig und stellvertretend an die jüdischen Turner Alfred und Gustav Felix Flatow, die als Juden gezwungen wurden, ihre Mitgliedschaft in der Berliner Turnerschaft aufzugeben und die beide in Konzentrationslagern eines gewaltsamen Todes gestorben sind."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 15/8. April 2008, DOKUMENTATION VI-VIII
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2008