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FORSCHUNG/138: Afrikanische Profifußballer in Deutschland - integriert oder ausgegrenzt? (idw)


Universität Bayreuth - 04.06.2012

Afrikanische Profifußballer in Deutschland: integriert und doch als andersartig ausgegrenzt?

Wie gut sind afrikanische Profifußballer in Deutschland integriert? Welche Rolle spielt dabei der sportliche Erfolg, und welchen Einfluss haben tradierte Afrika-Klischees auf die öffentliche Wahrnehmung? Mit diesen Fragen befasst sich eine neue Forschungsarbeit von Christian Ungruhe, der als Sozialanthropologe an der Universität Bayreuth tätig ist.


Foto: © Christian Ungruhe M.A., Universität Bayreuth

Christian Ungruhe M.A., Universität Bayreuth, mit ghanaischen Fußballspielern in Nairobi, die auf ein Probetraining bei professionellen Clubs hoffen.
Foto: © Christian Ungruhe M.A., Universität Bayreuth

Andersartig, weil afrikanisch: Stereotypen aus der Kolonialzeit

Afrikanische Profifußballer in Deutschland werden von Fußballfans und in der breiten Öffentlichkeit oft bewundert, nach siegreichen Turnieren sogar als Stars gefeiert. Hingegen ist der offen ausgedrückte Rassismus in den Fußballstadien während der letzten 15 Jahre spürbar zurückgegangen. Insofern scheinen Profifußballer aus Afrika, vor allem wenn sie in der Bundesliga spielen, in die deutsche Gesellschaft gut integriert zu sein. Dennoch ist ihr Bild in der Öffentlichkeit bis heute von Stereotypen geprägt, deren Wurzeln bis in die Kolonialzeit zurückreichen. Oftmals wird den Spielerpersönlichkeiten aus Afrika, in bewusster Abgrenzung zu 'weißen' europäischen Fußballern, eine in ihrem Wesen liegende Andersartigkeit zugeschrieben - selbst dann, wenn sie sich in ihren deutschen Vereinen zu beliebten Stammspielern entwickelt haben.

Zu diesen Ergebnissen kommt der Bayreuther Sozialanthropologe Christian Ungruhe in einer neuen Untersuchung, die sich mit der Lebenssituation afrikanischer Fußballer in Deutschland befasst. Seine Studie ist Teil des Projekts "Fußballmigration - ein Traum von Europa und seine Wirkung auf das deutsche Ausländerbild"; sie entstand im Rahmen des Bayerischen Forschungsverbunds Migration und Wissen (ForMig).


Ausbildungsziele in Europa: Taktische Disziplin statt 'naiver' Verspieltheit

Als verspielt und taktisch wenig ausgereift, als ballverliebt und grazil, als Ausdruck einer natürlichen afrikanischen Lebensfreude wird die Spielweise afrikanischer Profifußballer häufig beschrieben - nicht nur von Fußballfans und Sportmedien, sondern auch von Trainern und Sportfunktionären. "Ich habe mit zahlreichen Fußballspielern aus Afrika gesprochen", berichtet Ungruhe. "Sie alle haben wiederholt die Erfahrung gemacht, dass europäische Fußballclubs ihnen eine stärkere taktische Disziplin vermitteln wollen. Dabei spielen offenbar auch Klischees von einer kraftvollen, aber naiven afrikanischen Ursprünglichkeit eine Rolle." Einige finanzkräftige Clubs haben in Afrika sogar eigene Akademien eingerichtet, um frühzeitig talentierte Nachwuchsspieler zu entdecken und zu fördern. Auch dort zielt das Training, wie deren Leiter im Interview bestätigten, insbesondere darauf ab, "spielerische Ballverliebtheit" durch strategische Spielplanung und taktische Disziplin zurückzudrängen.

Derartige Ausbildungsziele stehen allerdings in einer Traditionslinie, die bis in die Kolonialzeit zurückführt. Vor allem seit den 1920er Jahren haben Kolonialverwalter und christliche Missionare den Sport eingesetzt, um die jungen, vermeintlich unzivilisierten Afrikaner im Team zu disziplinieren. Von derartigen Vorstellungen haben sich die afrikanischen Staaten seit ihrer Unabhängigkeit entschieden distanziert. Mit Nachdruck fördern sie heute in ihren nationalen Fußballteams Spielintelligenz und Technik - in bewusster Abgrenzung von blinder Mannschaftsdisziplin, aber auch von einer taktisch unausgereiften, scheinbar natürlichen Spielweise. "In Europa wird zu wenig beachtet, dass afrikanische Profivereine dazu übergegangen sind, ihre Nachwuchstalente gezielt auf die international etablierten Standards im Profifußball vorzubereiten", meint Ungruhe. "Auch dies ist ein Ausdruck der Globalisierung im Sport."


Gelungene Integration? Positive Umwertung tradierter Klischees

Afrikanische Profifußballer erleben ihre Integration in Deutschland durchaus als ambivalent. Denn einerseits hängt ihre Karriere wesentlich davon ab, dass sie sich sogenannte 'europäische Fußballtugenden' wie Teamgeist und ausgereifte Taktik aneignen. Andererseits aber spüren sie, dass Stereotype wie 'Ursprünglichkeit' und 'natürliche Spielfreude' weiterhin in Kraft bleiben. Mehr noch: Derartige Eigenheiten werden vor allem dann, wenn die Fußballer sich zu beliebten Stars entwickeln, als afrikanische Spezialitäten bewundert. Ein Paradox: Je erfolgreicher die Fußballtalente aus Afrika in ihre Vereine und in die deutsche Gesellschaft integriert sind, desto mehr werden sie aufgrund einer vermeintlichen Exotik wertgeschätzt. Klischees, die sich seit der Kolonialzeit in diskriminierender Absicht gegen Menschen in Afrika richten, werden durch Integrationserfolge nicht beseitigt, sondern erfahren eine positive Umwertung.

Manche Profifußballer befördern diesen Prozess zusätzlich dadurch, dass sie sich in den Medien mit einer exotisch anmutenden Ästhetik präsentieren. Ungruhe spricht in solchen Fällen von einer "Selbstcharismatisierung" und fragt kritisch: "Kann man tatsächlich von gelungener Integration sprechen, wenn herkömmliche Afrika-Klischees derart wirkmächtig bleiben?"


Erfolgsabhängige Integration: Unterschiede zwischen Profi- und Amateurfußball

Wie die Studie zeigt, hängt es insbesondere vom sportlichen und ökonomischen Erfolg ab, wie die deutsche Öffentlichkeit auf afrikanische Fußballer reagiert. Profifußballer in deutschen Erstligaklubs werden als Stars gefeiert, sie gelten geradezu als 'Vorzeigemigranten'. Zu dieser Entwicklung hat nicht zuletzt die wachsende Zahl afrikanischer Fußballer beigetragen, die in der Bundesliga als erfolgreiche Leistungsträger agieren. Seit der Saison 2006 / 2007 ist es rechtlich möglich, dass im deutschen Profifußball beliebig viele Nicht-EU-Ausländer eingesetzt werden. In der Rückrunde der Saison 2011 / 2012 spielten 33 Afrikaner aus 17 Ländern bei zwölf deutschen Erstligavereinen; in der 2. Bundesliga waren zu diesem Zeitpunkt ebenfalls 33 afrikanische Fußballer aktiv.

Sportverbände, Faninitiativen und Vereine im Profibereich setzen sich schon seit längerem aktiv dafür ein, rassistische Anfeindungen zu bekämpfen. Hingegen sind derartige Initiativen im Amateurbereich seltener anzutreffen. Insbesondere deshalb haben sich rassistische Beleidigungen und Übergriffe in den letzten 15 Jahren "weitgehend vom Profi- in den Amateurbereich verlagert", meint Ungruhe. In abgeschwächter Form seien sie aber "in allen Fanszenen weiterhin anzutreffen."

Veröffentlichung:
Christian Ungruhe, Anders bleiben. Auseinandersetzungen mit Migration und Integration afrikanischer Profifußballer in Deutschland.
In: Herbert Popp (Hg.), Migration und Integration in Deutschland. Bayreuther Kontaktstudium Geographie 6,
Bayreuth: Naturwissenschaftliche Gesellschaft Bayreuth 2012, S. 95-105.

→ Zusätzlich zu der o.g. Veröffentlichung ist eine ausführlichere Darstellung der Forschungsergebnisse in Vorbereitung und wird voraussichtlich im Herbst 2012 erscheinen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution4

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 04.06.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2012