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FORSCHUNG/132: Torwart beim Elfmeter psychologisch im Vorteil (idw)


Universität Kassel - 06.07.2010

Torwart beim Elfmeter psychologisch im Vorteil

Kasseler Sportpsychologe untersucht entscheidende Faktoren


Kassel. Es gibt keine spannendere Situation in einem Fußballspiel als den Elfmeter. Hoffen und Bangen beider Mannschaften und ihrer Anhänger richten sich auf die Bruchteile von Sekunden, die das Spiel entscheiden können. Was beim Elfmeter letztlich über Erfolg oder Misserfolg entscheidet, hat der Kasseler Sportpsychologe Prof. Dr. Norbert Hagemann untersucht.

"Die Angst des Tormanns beim Elfmeter", heißt eine berühmte Erzählung von Peter Handke. Doch alle Fachleute betonen, dass der Torhüter in aller Regel keine Angst vor einem Strafstoß hat. Der psychische Druck, sagt auch Hagemann, liegt vielmehr auf dem Elfmeterschützen. Rund 75 Prozent aller Strafstöße werden verwandelt. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den Schützen.

Spektakuläre Elfmeter haben auch am vergangenen Wochenende den Verlauf der Fußball-WM beeinflusst. Im Spiel gegen Paraguay konnte Spaniens Torhüter Iker Casillas einen Strafstoß halten und ebnete seinem Team so den Weg ins Halbfinale. Dass Ghanas Nationalspieler Asamoah Gyan in der letzten Minute der Verlängerung einen Elfmeter verschoss, leitete dagegen die bittere Niederlage des letzten afrikanischen Teams im Turnier ein.

"Der Elfmeterschütze darf sich dem psychischen Druck nicht beugen", erklärt der Kasseler Forscher. Dies sei wichtig, um im entscheidenden Moment keine Fehler zu machen. Im Training lasse sich der Umgang mit diesem Druck üben. "Man kann das Elfmeterschießen immer wieder üben und dabei Sanktionen einbauen", sagt Hagemann, etwa indem die gesamte Mannschaft Strafrunden laufen muss, wenn einer von ihnen einen Strafstoß verschießt.

Neben einer hohen Belastbarkeit ist für Torhüter und Elfmeterschützen die Fähigkeit entscheidend, das Verhalten des Gegners vorherzusehen. "Zwischen Schuss und Tor liegen nur etwa 400 Millisekunden", führt Hagemann aus. Der knapp 100 Stundenkilometer schnelle Ball erlaubt es dem Tormann nicht, erst zu springen, wenn er sicher weiß, wohin der Schütze zielt. Vielmehr muss der Torhüter aus den Bewegungen seines Gegenspielers, seiner Blickrichtung und dem Anlauf erschließen können, wohin er den Ball lenken wird. Dies sei durch langjähriges Training für einen Torwart erlernbar, sagt der Sportpsychologe.

In einem aktuellen Laborexperiment konnten Hagemann und sein Mitarbeiter Florian Loffing zeigen, dass neben dem Anlaufwinkel auch das Schussbein eine Rolle spielt. Aufgrund der geringeren Häufigkeit von Linksfüßern ist es für die Torhüter ungewohnter, auf Schüsse von Linksschützen zu reagieren. Dadurch könnten die Torhüter die Schussrichtung von Linksschützen schlechter antizipieren.

Bekannt ist, dass viele Spieler den Ball "antäuschen", also beim Anlauf eine bestimmte Schussrichtung andeuten, dann aber im letzten Moment in eine andere Richtung schießen. Auch der Tormann kann sich mit Tricks einen Vorteil verschaffen, wie Hagemann betont. So haben Studien gezeigt, dass Elfmeterschützen sich davon beeinflussen lassen, wenn der Torwart nicht exakt in der Mitte der Torlinie steht, sondern ein wenig links oder rechts davon. Die meisten Spieler schossen daraufhin in die vom Tormann augenscheinlich weniger gut geschützte Hälfte des Tores. Nach Einschätzung des Kasseler Forschers kann der Torwart so gewissermaßen eine Ecke für den Schuss anbieten - und sich dann in diese Richtung werfen.

Selbst Kleinigkeiten können über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. "Je länger der Schütze auf den Pfiff des Schiedsrichters warten muss, je mehr Zeit er also hat nachzudenken, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler verschießt", erklärt Hagemann. Bewegt sich der Tormann betont lässig, kann er damit den Elfmeterschützen zusätzlich irritieren: "Die Selbstdarstellung in der Zweikampfsituation spielt eine Rolle."

Nicht zuletzt braucht jeder Elfmeterschütze eine ausgefeilte Technik. Hohe Bälle sind für den Torhüter schwieriger zu halten als flache. Wer es sich also zutraut, sollte sich eine der oberen Ecken aussuchen, sagt der Sportpsychologe: "Für die Schützen ist es oft besser, sich früh zu entscheiden und platziert zu schießen." (p)

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Kassel, Christine Mandel, 06.07.2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2010