Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

FORSCHUNG/123: Soziale Mechanismen der Sportmotivation (f.i.t. - Sporthochschule Köln)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie
Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 1/2009

Allein oder im Team?
Soziale Mechanismen der Sportmotivation

Ein Beitrag von Jens Kleinert; Jeannine Ohlert und Marion Sulprizio
Psychologisches Institut


Unsere Erfahrung sagt: Andere Menschen sind für unsere eigene Motivation wichtig. Wir alle kennen Situationen und haben Situationen erlebt, in denen andere Menschen unsere eigene Motivation mehr oder weniger stark beeinflusst haben. Die Zusammenhänge können hierbei positiver Art sein - andere Menschen unterstützen uns, wirken anregend, ziehen uns mit oder treiben uns an. Genauso kann es jedoch vorkommen, dass uns Menschen in unserem sozialen Umfeld behindern, uns in dem was wir tun wollen stören, uns Barrieren in den Weg legen oder uns vom rechten Pfad abbringen möchten. So relevant andere Menschen für unsere Motivation, also für die Regulation unseres Verhaltens auch sein mögen, so vielfältig und unklar scheinen die Mechanismen zu sein, wie unsere soziale Umwelt unsere eigenen inneren Antriebe, Wünsche, Ziele oder Planungen förderlich oder hemmend beeinflusst. Der vorliegende Beitrag gibt einen knappen Überblick über grundsätzliche Ansätze der Motivationspsychologie sowie über die Möglichkeiten soziale Faktoren und soziale Prozesse in Beziehung zu diesen Ansätzen zu bringen.


Entgegen unserer eigenen subjektiven Lebenserfahrungen werden in der Psychologie Motivationsprozesse auf den ersten Blick von sozialen Einflussfaktoren entkoppelt, das heißt nicht aus der Perspektive der Gruppe oder der sozialen Beziehung betrachtet, sondern eher als individueller, intrapsychischer Prozess beschrieben, modelliert und untersucht. Dieses Vorgehen ist für sich genommen auch durchaus psychologisch, da ja in der Psychologie psychische und hiermit letztlich individuelle Prozesse und nicht ihre Wechselwirkung mit sozialen Faktoren im Vordergrund der Betrachtungsweise stehen. Nichtsdestotrotz wird die Psychologie niemals bestreiten, dass unsere soziale Umwelt einen Einfluss auf psychische Binnenprozesse hat - dieser soziale Einfluss auf den Prozess der Motivation wird jedoch konsequenterweise als ein mittelbarer angenommen. Die Idee hierbei ist, dass Motivationsprozesse für sich genommen intraindividuell ablaufen, das heißt also, dass die Elemente und Mechanismen motivationaler Abläufe innerhalb der psychischen Struktur eines Menschen beschrieben werden können. Innerhalb dieses innerpsychischen Geschehens können allerdings einzelne Strukturelemente oder womöglich auch Überführungen von einem Element zum anderen durch äußere soziale Einflussfaktoren mitbestimmt werden (vgl. Abb. 1).

Ein Beispiel: Einstellungen und Handlungsabsichten sowie der Weg von Einstellungen zu Absichten sind zentrale Merkmale vieler Motivationsmodelle. Nun schließen solche Modelle keineswegs aus, dass Einstellungen auch durch die soziale Umwelt geprägt werden. Genauso wäre es denkbar - wenn auch kaum thematisiert -, dass auch unsere Absichten unmittelbar durch soziale Umwelt geprägt werden. Und schließlich scheint es theoretisch möglich, wenn auch in der Motivationspsychologie gar nicht thematisiert, dass die Menschen um uns herum den Impuls dafür geben, dass unsere Einstellungen in eine Handlungsabsicht überführt wird. Wir sehen: Individuell orientierte Motivationspsychologie gibt durchaus Spielraum für die Anknüpfung und Einbettung psychosozialer Abläufe in das Motivationsgeschehen.

Wir können die Grundaussage dieser herkömmlichen psychologischen Betrachtung von Motivationsprozessen auf einen Nenner bringen: Soziale Faktoren beeinflussen Motivationsprozesse, aber letztlich sind Motivationsprozesse in der herkömmlichen Betrachtung intrapsychische Prozesse, die grundsätzlich ohne soziale Faktoren auskommen. Soziale Einflussfaktoren sind daher im üblichen Modellansatz von Motivation weder notwendige noch hinreichende Faktoren zur Erklärung eines Motivationszustandes: Wir benötigen sie nicht, um Motivationsprozesse in Gang zu setzen, noch reichen soziale Faktoren für sich genommen aus, um das Ergebnis eines Motivationsprozesses zu erzeugen. Oder noch einfacher und drastischer: Die Erklärung von Motivationsprozessen kommt sehr gut ohne soziale Einflussfaktoren aus.


Gängige Motivationsmodelle sehen psychosoziale Prozesse eher nachgeordnet

Im Folgenden soll die zuvor beschriebene Ausrichtung der Motivationspsychologie an zwei gängigen Modellen des deutschsprachigen Raums kurz nachvollzogen werden. Das Rubikon-Modell von Heinz HECKHAUSEN (1987) eröffnete zusammen mit den Arbeiten von Julius KUHL (2001) eine wesentliche und wichtige Perspektive der deutschsprachigen Motivationspsychologie: Die Differenzierung motivationaler und volitionaler Verhaltensregulation. Das Entscheidende dieser Differenzierung war und ist der Versuch, problematische und schwierige Phasen des Motivationsprozesses zu erklären, also solche Situationen, die jede/r von uns kennt: Wenn das Handeln oder der Handlungsbeginn unangenehm, schwer, langweilig, zäh oder unattraktiv ist. HECKHAUSEN wählte für sein Modell die Metapher des "Rubikon" um deutlich zu machen, dass wir einen bestimmten Punkt, nämlich die Schwelle zur volitionalen Phase, überschreiten müssen, um gewolltes Handeln tatsächlich umzusetzen. Für Ceasar war 49 v. Chr. diese Schwelle der Fluss Rubikon, dessen Überschreitung eine unweigerliche Kriegserklärung gegen Rom bedeutete.

Da diese Ausrichtung der Motivationsforschung - insbesondere bei KUHL - sich stark mit innerpsychischen Strukturen oder sogar der Persönlichkeit des Menschen beschäftigt, ist und war eine weitgehende Ausklammerung sozialer Prozesse nachvollziehbar. So ist erklärlich, warum das Rubikon-Modell keinerlei Hinweise auf den Einfluss sozialer Interaktion im Rahmen der beschriebenen Abläufe gibt (vgl. Abb. 2 oben). Dabei ist unsere alltägliche Erfahrung häufig eine andere: Insbesondere dann, wenn es schwierig, anstrengend, mühsam, unangenehm oder langweilig wird - also in volitionalen Handlungsphasen -, hilft uns der Anstoß von außen häufig weiter.

Die Grundstruktur der Unterscheidung motivationaler und volitionaler Phasen hat die Gruppe um Ralf SCHWARZER für den Bereich der Gesundheitsforschung adaptiert. Das Ergebnis, der Health Action Process Approach (HAPA), greift neben der motivational-volitionalen Handlungsstruktur die Verhaltensmodelle der Sozialpsychologie auf. Hierbei werden insbesondere BANDURAS sozial-kognitive Theorie (vgl. z. B. BANDURA 1989) und die hierin bedeutsamen Selbstwirksamkeitserwartungen betont. Die Erwartung hoher Selbstwirksamkeit kann als die Überzeugung gekennzeichnet werden, in schwierigen Situationen das Richtige tun zu können, um das eigene Handeln möglichst erfolgreich zu beginnen und umzusetzen. Schwarzer geht in seinem HAPA-Modell kurz auf mögliche situative - und hiermit auch soziale - Einflussfaktoren auf Handlungsprozesse ein. Notwendig sind diese für die beschriebenen Motivationsprozesse jedoch nicht (vgl. Abb. 2 unten).


Ältere Motivationstheorien beziehen soziale Prozesse und Strukturen mit ein

In Kontrast zur beschriebenen Sichtweise läge eine grundsätzlich andere Prämisse von Motivation darin anzunehmen, dass psychische Prozesse immer und notwendigerweise Konsequenzen der Interaktion (oder der fehlenden Interaktion) des Individuums mit seiner sozialen Umwelt sind. Konkret: Ohne Impulse aus der sozialen Umwelt gäbe es letztlich weder Selbstwirksamkeitserwartungen noch Absichten oder volitionale Prozesse. Soziale Interaktionsprozesse wären somit zwar immer noch keine hinreichenden Faktoren für Motivation - erklären also das Ausmaß von Motivation nicht allein -, sind aber in jedem Fall notwendig, um Verhalten im Sinne einer psychischen Motivierung überhaupt erst in Gang zu setzen, aufrecht zu erhalten oder zu beenden. Auch wenn diese Überlegung auf den ersten Blick etwas fragwürdig klingt, soll sie im Folgenden einmal näher betrachtet werden. Hierzu wollen wir, um diese starke Bedingung der sozialen Interaktion für Motivation zu verdeutlichen, nachfolgend statt von psychosozialen Prozessen von "sozio-psychischen" Prozessen sprechen.

Die Annahme der strikten Notwendigkeit soziopsychischer Prozesse für die individuelle Motivierung ist bei näherer Betrachtung in einigen älteren Motivationstheorien zu finden, so beispielsweise in LEWINS Feldtheorie (1936), in der Reaktanztheorie von BREHM (1972) und abgeschwächt in der Theorie des überlegten Handelns von FISHBEIN und AJZEN (theory of reasoned action; 1975).

LEWINS Feldtheorie, sicherlich eine der grundlegendsten psychologischen Theorien des letzten Jahrhunderts, sieht intrapsychische Abläufe und extrapsychische (z. B. soziale) Abläufe nicht getrennt voneinander sondern als unmittelbar verknüpfte Prozesse, die in einem gemeinsamen Spannungsfeld ablaufen (vgl. Abb. 3).

Veränderungen in einem Bereich (sei es der intraoder extrapsychische) haben demnach unmittelbare und nicht vermeidbare Konsequenzen für den anderen Bereich. Demnach gilt nach LEWIN, dass ebenso wie sozio-psychische Prozesse für die motivationale Struktur des Individuums notwendig sind, auch psycho-soziale Prozesse für das soziale Feld verantwortlich zeichnen. Die Frage also, ob unser Handeln eher individuo- oder soziozentriert ist, wird hier durch eine unmittelbare Verknüpfung innerpsychischer und sozialer Feldkräfte beantwortet: Handeln ist lediglich deshalb möglich, da ein Spannungsfeld zwischen Psyche und sozialer Umwelt existiert beziehungsweise hergestellt wird. In der Feldtheorie spielen zentrale psychische, sogenannte "echte" Bedürfnisse für die Erzeugung des Spannungsfeldes eine besondere Rolle. Gemeint sind hier also unsere innersten und tiefsten und zumeist stärksten Motive, letztlich das, was uns antreibt.

Während LEWINS Feldtheorie vom Ansatz her von hoher Komplexität geprägt ist, sind die sozio-psychischen Ansätze der Reaktanztheorie oder der Theorie des überlegten Handelns verhältnismäßig einfach strukturiert. In BREHMS Reaktanztheorie stellt beispielsweise das Verhältnis zur sozialen Umwelt die entscheidende Triebfeder für die Ausrichtung von Verhalten dar. Reaktanz basiert nach BREHM auf dem Grundprinzip, dass jeder Mensch danach strebt, seine Entscheidung frei und autonom treffen zu können. Jede Einschränkung dieser Entscheidungsfreiheit (insbesondere bedingt durch andere Menschen) beeinflusst Verhaltensprozesse in hohem Maße. In der LEWIN'SCHEN Denkart wird also in der Reaktanztheorie ein zentrales, echtes Bedürfnis, nämlich das nach Autonomie, in besonderem Maße fokussiert. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein solcher autonomer und hiermit entscheidungsfreier Prozess letztlich auch die bewusste und gezielte Aufgabe von Entscheidungsfreiheit ist ("freiwillige Abhängigkeit"). Die Reaktanztheorie ist ohne soziale Interaktion undenkbar, da diese Theorie die Einschränkungen unseres Handelns durch andere Menschen oder die Schaffung von Voraussetzungen für Autonomie als grundlegend für unser Verhalten beschreibt.

Der Ansatz von FISHBEIN und AJZEN stellt gegenüber den zuvor geschilderten Modellen eine Reduzierung der Bedeutsamkeit sozio-psychischer Prozesse dar. Auch die hierauf aufbauende bekanntere "Theorie des geplanten Verhaltens" (AJZEN 1985) ändert an dieser Ausrichtung wenig. Soziale Mechanismen spielen in beiden Modellauffassungen lediglich als individuelle Wahrnehmungen sozialer Bedingungen eine Rolle (sogenannte "normative Einstellungen"). Diese Wahrnehmung und Einschätzung der subjektiven Norm prägt neben anderen kognitiven Konstrukten (Überzeugungen, Erwartungen) die Intention zur Änderung oder Beibehaltung eines Verhaltens. Grundsätzlich zeigt sich hier der bis heute starke Trend auf eine Fokussierung intrapsychischer, überwiegend rationaler Abläufe - sozio-psychische und mehr affektiv geprägte Mechanismen werden hiernach nicht verneint, jedoch wenig berücksichtigt, weil nicht als notwendig erachtet, um Verhaltensveränderungen oder fehlende Verhaltensveränderungen zu erklären.


Die Self Determination Theory (SDT) eignet sich als Grundlage für die motivationale Einordnung sozio-psychischer Mechanismen

Während die zuvor beschriebenen Motivationsmodelle auf sozio-psychische Mechanismen nicht eingehen, eignet sich eine der häufigsten Theorien des angloamerikanischen Raums deutlich besser zur Integration sozialer Einflussfaktoren in den intrapsychischen Motivationsprozess: die Self Determination Theory (SDT) von Edward DECI und Richard RYAN (1985). In einer Weiterentwicklung dieser Theorie (2000) beschreiben DECI und RYAN grundlegende menschliche Bedürfnissen ("basic needs"), die ähnlich wie LEWINS "zentrale Bedürfnisse" Beziehungen zu anderen emotionalen oder kognitiven Elementen wie beispielsweise unseren Einstellungen, Überzeugungen, Erwartungen oder Intentionen haben. Diese Grundbedürfnisse werden in der SDT mit Autonomie (autonomy; ähnlich wie in Brehms Reaktanzmodell), Kompetenz (competence), und Beziehung (relatedness) beschrieben. Von diesen sind insbesondere das Autonomie- und das Beziehungsbedürfnis ohne soziale Bezüge nicht definierbar. Sozio-psychische Mechanismen sind daher qua Definition der Begriffe in der Self Determination Theory einbezogen.

Die drei Grundbedürfnisse der SDT sollten unseres Erachtens genauer differenziert werden. Hierbei sollte deutlich gemacht werden, dass die SDTBedürfnisse sowohl auf die Erfüllung bestimmter Aufgaben bezogen werden können, beispielsweise im sportlichen Kontext, dass Bedürfnisse aber ebenso nicht durch die Aufgabe selbst, sondern durch soziale Rahmenbedingungen befriedigt werden können. So wird das Bedürfnis "Beziehung" im Sport typischerweise durch Aktivitäten außerhalb des eigentlichen Sportreibens befriedigt (gemeinsame Feste, abendliche Treffen), bei denen wir Zuneigung oder sogar persönliche Wertschätzung erfahren. Andererseits kann Beziehung jedoch auch während einer sportlichen Aufgabe dadurch gestärkt werden, dass wir uns in die Gruppe eingebunden fühlen oder eine Mannschaft sich als gemeinschaftlich und kollektiv wirksam (collective efficacy) erlebt.

Abbildung 4 zeigt in diesem Sinne, dass die drei Grundbedürfnisse der SDT unterschiedlich interpretiert werden können, je nachdem ob wir sie auf die eigentliche sportliche Aufgabe oder auf soziale Rahmenbedingungen beziehen. Diese differenzierte Motivstruktur macht deutlich, welche Erfüllungen wir im Sport suchen können. Das Strukturmodell mit 12 zentralen aufgabe- und sozialorientierten Bedürfnissen soll weniger dem Anspruch auf vollständige Darstellung menschlicher Orientierungen gerecht werden, als vielmehr eine Hilfe für die Analyse von Handlungssituationen und ihren aufgabe- und sozialorientierten Anreizen sein. Verhaltensrelevant werden die 12 Differenzierungen von Autonomie-, Kompetenz- und Beziehungsstreben erst dann, wenn sie im Zusammenhang mit konkreten Handlungsbedingungen betrachtet werden: Das Ausmaß, in dem eine Handlungssituation uns verspricht, unsere Bedürfnisse oder unsere aktuelle Bedürfniskonstellation zu befriedigen, entscheidet darüber, in wieweit wir die Handlung anstreben oder nicht. Dieser Prozess wird gemeinhin als Motivanregung (vgl. RHEINBERG 2002) bezeichnet.

Unser Modell bietet hiermit die Möglichkeit, sportliche Handlungszusammenhänge, also letztlich Sportsituationen, hinsichtlich ihres Motivierungspotenzials zu betrachten. Hierzu müssen wir entsprechend der Darstellung in Abbildung 4 sowohl situative Aufgaben als auch soziale Rahmenbedingungen in Zusammenhang mit den beschriebenen Bedürfnissen einschätzen: Bietet die sportliche Aufgabe die Möglichkeit gemeinschaftlichen Tuns? Kann sich die angesprochene Person in der Situation als selbstwirksam erleben? Kann die Aufgabe kontrolliert werden? Bleiben Möglichkeiten der freien, selbstbestimmten Entscheidung? Kann das Streben nach Zuneigung und Wertschätzung erfüllt werden? Ist eine Einflussnahme auf soziale Strukturen denkbar? Die Liste dieser Fragen zeigt, dass wohl wenige Sportsituationen die beschriebenen Bedürfnisanforderungen gleichzeitig und in hohem Maße erfüllen. Es kann sogar sein, dass bestimmte Aspekte sich zumindest teilweise ausschließen (beispielsweise Einbezogenheit und Selbstständigkeit). Ebenso wenig wie eine Sportsituation allen denkbaren Bedürfnissen entspricht, besitzt die individuelle Motivstruktur alle denkbaren Bedürfnisse in gleichem Umfang. So kann es sein, dass ein Mensch grundsätzlich stärker nach Autonomie strebt als nach einer positiven Beziehung zu seinem sozialen Umfeld. Denkbar und wahrscheinlich ist auch, dass unsere aktuellen Interessen nicht allein von einer grundsätzlichen Motivstruktur abhängig sind, sondern von der situativen Motivationslage, die sich aus dieser Struktur ergibt, die aber ebenso stark von aktuellen Handlungsbedingungen (Aufgabenbedingungen und soziale Handlungsbedingungen) abhängt. Wir sind demnach für diejenigen Handlungsituationen motiviert, deren Aufgaben- und Sozialkonstellation am ehesten die Befriedigung unserer Motivstruktur verspricht.

Die Überprüfung dieser "Passung" zwischen Motivstruktur und situativen Handlungsbedingungen (vgl. NITSCH 2004) ist teils ein expliziter, teils ein impliziter Prozess. Während wir uns den impliziten Prozessen nur durch aufwändigere Methoden indirekt nähern können (z. B. implizite Assoziationsverfahren), widmet sich die Motivationspsychologie überwiegend den expliziten Mechanismen. Dies sind insbesondere die Einschätzungen situativer Bedingungen (also der Aufgabe und der sozialen und materiellen Rahmenbedingungen). Zwei Formen von Einschätzungen sollten hier unterschieden werden. Valenzeinschätzungen bewerten die Situation in Hinsicht auf ihre Brauchbarkeit für die Erfüllung individueller Bedürfnisse (Motivstruktur) oder der hiermit verknüpften Zielsetzungen. Dies bedeutet, dass wir in einer konkreten Sport- oder Bewegungssituation Handlungsergebnisse antizipieren und prüfen, ob diese Ergebnisse unsere Bedürfnisse befriedigen können. Durch Kompetenzeinschätzungen bewerten wir gleichzeitig, inwieweit wir in der Lage sind, die angestrebten Ergebnisse und hiermit verbundene Zwecksetzungen von Sportaktivität auch wirklich zu erreichen (Ergebniserwartung, Selbstwirksamkeitserwartung, Kontrollüberzeugung). Diese Kompetenzeinschätzungen wären jedoch letztlich für uns wert- und bedeutungslos, wenn die Sportsituation für uns keine ausreichende Valenz besitzt. Kompetenz- und Valenzeinschätzungen stehen vermutlich in einem Wechselspiel - wenn mir beispielsweise die Situation (bzw. das antizipierte Situationsergebnis) sehr viel bedeutet, kann es sein, dass ich auch ohne hohe Kompetenzeinschätzung motiviert bin zu handeln. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass das Streben nach Kompetenz (Einfluss, körperliche Fähigkeit, soziale Verantwortlichkeit) selbst ein bedeutungsvolles Handlungsziel verkörpert - Kompetenz ist in diesem Fall nicht das Instrument, sondern der Sinn des Handelns.

Die explizite und implizite Überprüfung der Passung von Motiv- und Handlungsstruktur schlägt sich im psychischen Zustand der Person nieder. Aus motivationaler Sicht ist hierbei insbesondere die aktuelle Handlungsabsicht (Intention), die emotionale Lage sowie die Aktivierungslage bedeutsam. Diese drei Parameter entwickeln und verändern sich im Verlauf von Motivationsprozessen stetig als Folge kognitiver und emotionaler Regulationsprozesse. Gleichzeitig können Veränderungen unserer emotionalen, intentionalen und Aktivierungslage sich auf Motivationsprozesse auswirken: Sich aufzuraffen ist beispielsweise manchmal einfacher, wenn man für kurze Zeit körperlich aktiv wird (Veränderung der Aktivierungslage), wenn man sich selbst eine Belohnung verspricht (Veränderung der Emotionslage) oder wenn man sich sein Ziel konkret vor Augen führt (Veränderung der Intentionslage).

Welche sozialen Mechanismen von Motivationsprozessen lassen sich zusammenfassend aus diesem Modell ableiten?

1. Unsere Motive und Bedürfnisse sind häufig sozial ausgerichtet. Dies betrifft insbesondere die Grundbedürfnisse Autonomie und Beziehung. Hinsichtlich unseres Autonomiestrebens können uns andere Menschen oder die Art der Aufgabengestaltung unterstützen oder einschränken. Bezogen auf das Motiv Beziehung benötigen wir unsere soziale Umwelt im Streben nach Anerkennung, Gemeinschaft und Wertschätzung. Wir schätzen also situative Aufgaben und soziale Rahmenbedingungen einer Situation danach ein, inwiefern sie unser Autonomie- und Beziehungsstreben erfüllen können oder zulassen. Soziale Belange sind in diesem Sinne Teil der Einschätzung situativer Valenz, also der Bedeutsamkeit und Wichtigkeit einer Handlung.

2. Soziale Umstände hängen zweitens mit der Einschätzung der eigenen Möglichkeiten und Kompetenzen zusammen (situative Kompetenz). Andere Menschen können uns dabei unterstützen, für uns bedeutungsvolle Handlungsergebnisse zu erreichen oder uns daran hindern. Insofern können sie uns helfen, Kontrolle zu erlangen oder können Grund für unsere erlebte Hilflosigkeit sein. Sozial bezogene Kompetenzeinschätzungen können im Rahmen der Einschätzung einer gegebenen Aufgabe stattfinden (beispielsweise wenn Kooperation oder Kommunikation Teil der Aufgabenbeschreibung ist) oder sie beziehen sich nicht auf die Aufgabe selbst, sondern auf die Gewährleistung der Umsetzung (zum Beispiel gemeinsames Verabreden zum Sporttreiben).


Die Erforschung der Sportmotivation sollte die Rolle sozialer Mechanismen stärker berücksichtigen

Aktuelle und frühere Forschungsarbeiten zu sozialen Aspekten von (Sport-) Verhalten sehen soziale Umwelt oder soziale Unterstützungshandlungen als Einflussfaktoren auf die Entwicklung unserer Einstellungen oder Befindlichkeiten (vgl. ALBERT, HAUSENBLAS & MACK 1996; SCHWARZER & LEPPIN 1991). Soziale Einflussfaktoren sind hiermit im Motivationsgeschehen nachgeordnet - sie können mittelbar Auswirkungen auf unsere Gedanken und Gesunderhaltung Handball DFB-Scouting Kraft und Training Sportmotivation Diabetes Typ 2 Sportvereine 19 somit auf Motivationsprozesse haben, sind jedoch selbst nicht Teil dieser Prozesse.

Demgegenüber sieht der hier vorgestellte Gedankenansatz soziale Belange als unmittelbaren und sogar notwendigen Anteil im Motivationsgeschehen. Die Wahrnehmung und Bewertung sozialer Konstellationen verändert nicht nur unsere Valenzund Kompetenzeinschätzungen, sondern ist auch selbst Teil dieser Valenz- und Kompetenzeinschätzungen. Das heißt, andere Menschen sind nicht allein der Grund dafür, dass wir Sport und Bewegung mehr oder weniger mögen, sondern Einbezogenheit, Freiheit, Selbstständigkeit, Anerkennung sind selbstverständliche Elemente jeder Sport- und Bewegungsaktivität, die von uns in Hinsicht auf Wichtigkeit und Möglichkeit eingeschätzt werden. Sporttreiben oder Inaktivität ist das Ergebnis dieser oft spontanen Einschätzung. Dies gilt es in zukünftigen theoretischen und empirischen Arbeiten herauszuarbeiten.


Literatur bei den Autoren.


Prof. Dr. Jens KLEINERT, geboren 1964 in Hilden/ Rhld., Dipl.-Sportlehrer; approbierter Arzt; Geschäftsführender Leiter und Leiter der Abt. Gesundheit & Sozialpsychologie am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln; 2004-2006 Professur für Sport und Gesundheit am Institut für Sportwissenschaft der Universität Würzburg; seit 2006 Professur für Sport- und Gesundheitspsychologie an der DSHS Köln; mit seiner Arbeitsgruppe Teamprozesse (Leitung Dr. Jeannine OHLERT) erforscht Kleinert den Zusammenhang von Motivation und Gruppenprozessen (Kohäsion, collective efficacy, social loafing). In seiner Arbeitsgruppe Coaching (Leitung Marion SULPRIZIO) wird der Zusammenhang von Beziehung, Motivation und Leistung untersucht. Weitere Forschungsthemen sind Stress, Befindlichkeit, Risikoverhalten und Talentförderung.

E-Mail: kleinert@dshs-koeln.de, j.ohlert@dshs-koeln.de, sulprizio@dshs-koeln.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Direkte Einflüsse und Moderatoreinflüsse von sozialer Umwelt auf intraindividuelle Motivationsprozesse.
Abb. 2: Vergleich motivationaler und volitionaler Phasen und Strukturen im Rubikon-Modell (HECKHAUSEN 1987) und HAPA-Modell (SCHWARZER 2004).
Abb. 3: Intraindividuelle und psychosoziale Spannungskräfte im Sinne der Feldtheorie nach LEWIN (1936).
Abb. 4: Zusammenwirken von Motivstruktur und Handlungsstruktur (in Anlehnung an die Self Determination Theory; DECI & RYAN 2000 und handlungstheoretische Überlegungen; vgl. NITSCH 2004).

*


Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln
Nr. 1/2009 (14. Jahrgang), Seite 14-19
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Deutsche Sporthochschule Köln
Presse-, Informations- und Transferstelle
Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln
Tel.: 0221/49 82-38 50, Fax: 0221/49 82-84 00
E-Mail: pressestelle@dshs-koeln.de
Internet: www.dshs-koeln.de/presse

F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2009