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BERICHT/695: Sechs Jahre danach - Olympische Spiele in China (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 28-31 / 8. Juli 2014
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Sechs Jahre danach - Olympische Spiele in China

Von Prof. Helmut Digel



Vor wenigen Wochen hatte ich einmal mehr die Gelegenheit, die Hauptstadt Chinas, zu besuchen. Seit Peking Gastgeber der Olympischen Spiele im Jahr 2008 gewesen ist, war ich jährlich oft mehrmals in China und habe dabei immer wieder die Gelegenheit gehabt, das Leben im Olympischen Park etwas genauer zu beobachten. Bei meinem jüngsten Besuch war dies auch der Fall.

Samstagnachmittags war ich in Peking angekommen, mein Hotel lag in unmittelbarer Nähe des Olympischen Parks, meine Verpflichtungen begannen erst am Sonntagabend und so hatte ich genügend Zeit mich im Olympiapark umzuschauen. Nachts waren wie immer das Olympiastadion und das Schwimmstadion farbenfroh beleuchtet. In den Restaurants und Imbissbuden herrschte reger Betrieb, und viele junge Menschen verbrachten ihre Freizeit am Samstagabend auf dem Olympiagelände. Tagsüber war der Park Freizeittreff für junge Paare, für Familien und für Senioren gleichermaßen.

Aus dem Olympiapark ist längst ein lebendiges Stadtquartier Pekings geworden. Für die Wohnquartiere in der unmittelbaren Nähe hat der Olympiapark eine hohe Freizeitqualität, und für die Chinesen, die aus dem ganzen Land ihre Hauptstadt besuchen, sind die olympischen Monumente längst zu historischen Wahrzeichen geworden.

Von Kritikern werden die Olympischen Spiele in Peking im Jahr 2008 bis heute in Frage gestellt. Dem IOC wird unterstellt, dass es ohne Rücksicht auf Menschenrechtsverletzungen die Spiele in eine Diktatur vergeben habe, die diese lediglich in ihrem eigenen Interesse zu nutzen wussten. Die Nachhaltigkeit wird in Frage gestellt, und die Frage, ob sich die chinesische Gesellschaft durch die Olympischen Spiele geöffnet habe, wird meist gar nicht gestellt. Zumindest wird sie nicht einer soliden Überprüfung unterzogen.

In China werden ohne Zweifel Menschenrechte mit Füßen getreten und der Schutz der Minderheiten ist gar nicht oder nur sehr unzureichend gesichert. Dies war in der Vergangenheit der Fall, und dies ist auch heute noch der Fall. Allerdings hat seit der Vergabe der Spiele an China in der chinesischen Gesellschaft ein Öffnungsprozess stattgefunden, der seinesgleichen sucht.

Davon ist auch die Behandlung der Menschenrechtsthematik betroffen. Der Dialog über die Menschenrechte wird sehr viel freier geführt, die internationale Begegnungen mit fremden Kulturen, Nationen und Sprachen, die nicht zuletzt durch die Olympischen Spiele ausgelöst wurden, zeigen ihre Wirkung. Doch nicht nur aus dieser Perspektive kann die Vergabe der Olympischen Spiele an Peking und damit indirekt an die Volksrepublik China als eine positive politische Entscheidung gewertet werden.

Es gibt eine ganze Reihe empirischer Fakten, die diese Vergabe bestätigen. Seit 2008 konnte Peking einen jährlichen Zuwachs von acht Prozent ausländischer Touristen verzeichnen. In den Jahren 2002-2008 konnten 2,5 Prozent des Wirtschaftswachstums der Hauptstadt Peking in direkter Weise den Olympischen Spielen zugeschrieben werden. Seit 2008 ist Chinas Sportindustrie um mehr als 20 Prozent pro Jahr gewachsen und repräsentiert ein Marktpotenzial von 250 Milliarden US-Dollar. Seit 2008 wurden darüber hinaus 59 neue olympische Trainingszentren gebaut. Im Jahr 2004 gab es in Peking drei U-Bahn-Linien und insgesamt 64 U-Bahn-Stationen. Heute im Jahr 2014 sind es 19 U-Bahn-Linien mit 220 Stationen.

Die Hauptstadt Chinas steht heute in einer wirtschaftlichen Blüte, wie sie nur ganz selten in der Welt anzutreffen ist. Gewiss hat dies auch erhebliche negative Folgen, die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Pekings Straßen ist mittlerweile bei 14 Kilometer/Stunde angelangt. Täglich bewegen sich 4,6 Millionen Autos auf den Straßen Pekings, und allein im Jahr 2011 wurden 800.000 neue Autos gekauft.

Die Wartezeiten für junge Familien, wenn sie ein Auto erwerben wollen, haben sich mittlerweile erheblich verlängert. Alle zwei Monate werden Lotterien durchgeführt, um jene auszulosen, die glückliche Gewinner einer neuen Autolizenz sind. Peking bringt deshalb innerhalb der letzten sechs Jahre mehr als 1,1 Milliarden US-Dollar zu Verbesserung der Transportwege auf, und 318 Kilometer neue Autobahnen wurden zwischenzeitlich gebaut.

Die urbane Infrastruktur wird dabei zu Gunsten der Bürger erheblich verbessert. 200 Millionen US-Dollar wurden zur Renovierung kultureller und historischer Sehenswürdigkeiten aufgewendet und 3,6 Milliarden US-Dollar wurden investiert, um Peking zu einer digitalen City zu machen. Das Telekommunikationssystem wurde verbessert, ebenso wie die Breitband- und Wireless-Technologie.


Lösung von Umweltproblemen

Die Lösung von Umweltproblemen steht an erster Stelle auf der Tagesordnung der Hauptstadt. Deshalb wurde der Olympic Forest Park auf 680 Hektar ausgeweitet und er ist damit zwei Mal so groß wie der Central Park in New York. 4,83 Millionen Kubikmeter Erde wurden verwendet, um Erholungsformationen mit einer Wasserfläche von 67,7 Hektar Wasser zu errichten. Verseuchte Wasserflächen werden gereinigt. Jedes Jahr werden 675 Kubikmeter Wasser für die Grundwasserversorgung gesichert. Mit einem großangelegten Aufforstungsprogramm werden pro Jahr 530.000 neue Bäume gepflanzt, um 72.000 Tonnen CO2 zu absorbieren. Im Vergleich zum Jahr 2008 sind die Temperaturen in den geschaffenen Parkanlagen um 3 bis 5 Grad Celsius kühler im Sommer und um 2 bis 4 Grad wärmer im Winter geworden.

Insgesamt hat die City 12,2 Milliarden US Dollar in den Umweltschutz investiert, im Zentrum standen dabei die CO2-Reduktion in den verschiedenen Industrien, eine neue Abfallwirtschaft und das Baumpflanzungsprogramm. 47.000 Taxis und 7000 Busse wurden durch neue Fahrzeuge ersetzt, die die Emissionsstandards der Europäischen Union aufweisen. 20 neue Naturschutzgebiete in der Umgebung Pekings wurden ausgewiesen, und Fahrzeuge mit Elektroantrieb werden subventioniert und steuerlich begünstigt.

Dank der Olympischen Spiele ist Peking ohne Zweifel auch zur Hauptstadt des Sports Chinas geworden. Sportveranstaltungen stehen nahezu an jedem Wochenende auf der Tagesordnung, Sportgroßveranstaltungen finden in den ehemaligen Sportstätten der Olympischen Spiele statt. Das Bird Nest kann eine nahezu ganzjährige Auslastung mit unterschiedlichsten Veranstaltungen aufweisen, gleiches gilt für den Water Cube. Wenn im Jahr 2015 die Leichtathletikweltmeisterschaften stattfinden werden, so wird der ganzen Welt gezeigt, dass die Olympische Architektur durchaus Nachhaltigkeit zeigen kann.

Viele der hier aufgelisteten Fakten sind nur schwer überprüfbar. Sie stammen aus offiziellen Dokumenten der Stadtverwaltung der Stadt Pekings. Läuft man mit offenen Augen durch die Olympiastadt Peking, so kann man allerdings nachvollziehen, dass sich diese Daten auf Sachverhalte beziehen, die für jedermann sichtbar sind. In China findet ein täglicher sozialer Wandel statt, der seinesgleichen sucht. Die Olympischen Spiele im 2008 waren dabei ein ganz besonderer Katalysator, um diesen Wandel in Gang zu setzen und zu beschleunigen.


Einseitigkeit in der Berichterstattung

Das Klischee vom Chinesischen Reich, das als gelbe Gefahr zu betrachten sei, besteht in Westeuropa nach wie vor. Berichterstattung über China ist in deutschen Massenmedien von einer besonderen Einseitigkeit geprägt. Von China ist immer dann die Rede, wenn Menschenrechtsaktivisten von der kommunistischen Diktatur bedroht sind, zu Unrecht verurteilt und verhaftet werden. Gibt es Unruhen oder Widerstand gegenüber der Staatsgewalt, so ist dies eine Schlagzeile und ein Bericht in den Nachrichten des Fernsehens wert. Solche Berichterstattung ist notwendig, der Alltag Chinas wird auf diese Weise jedoch nicht erfasst.

Bei meinem jüngsten Besuch habe ich wie immer chinesische Tageszeitungen gelesen. In diesen Zeitungen war wie in deutschen Zeitungen von vielem die Rede, was sich in den vergangenen Tagen in China ereignet hat.

"Der Nationale Volkskongress hat festgelegt, dass das Ernährungssicherungsgesetz zu überprüfen ist." "Das Gesetz zur Verhinderung von Elfenbeinschmuggel wurde verabschiedet." "Ein neues Zentrum, um Bluttransfusionen bei Operationen zu sichern, wurde gegründet." "Bei einem Autodiebstahl hatte in Sichuan der Dieb bei seiner Flucht vier weitere Fahrzeuge gerammt." "Eine Frau wurde dabei schwer verletzt." "In Tianjin hat ein 93-jähriger Chinese eine Million Yuan an seine dortige Universität gespendet." "An der Hunan First Normal University wurde von einem Aerobic-Lehrer ein neuer Tanz entwickelt." "Ein Mann kam in Jiangsu beim Public Viewing der Fußballweltmeisterschaft zu Tode". "In Henan wurden Kinder durch Erdnusssamen vergiftet." "Ein Taxifahrer in Hangzhou wurde von seinen Passagieren geschlagen, als er sie aufforderte das Rauchen auf dem Rücksitz zu unterlassen."


Kontrolle durch die Parteielite

Liest man diese Berichte und Schlagzeilen, so kann man sehr schnell erkennen, dass das tägliche Leben in China sich in vieler Hinsicht nur ganz unwesentlich vom täglichen Leben in anderen Industriegesellschaften unterscheidet. Beobachtet man die chinesische Gesellschaft etwas genauer, kann gewiss nicht in jenem Sinne von einer kommunistischen Gesellschaft gesprochen werden, wie es für die ehemalige Sowjetunion oder für die DDR gegolten hat. Es muss viel mehr von einem Staatskapitalismus die Rede sein, bei dem die Staatsspitze, die Ministerien und das Parlament der Kontrolle einer Parteielite unterliegen. Die ökonomische Logik hat dabei höchste Priorität. Von einer klassenlosen Gesellschaft ist man dabei weiter entfernt als dies für jeden demokratischen Sozialismus erwünscht sein müsste. Vielmehr scheint es eher so zu sein, dass eine klassenlose Gesellschaft für die kommunistische Partei Chinas kein vorrangiges Ziel ist.

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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 28-31 / 8. Juli 2014, S. 36
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2014