Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → FAKTEN

BERICHT/674: China - Sportlerinnen im nationalen Dienst (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 116, 2/11

Sportlerinnen im nationalen Dienst
Ein anderer Blick auf Chinas Frauenpolitik

Von Astrid Lipinsky


Klar, Sozialismus: Wir kennen sie, die Schwimmerinnen mit Damenbart und die krank gedopten Läuferinnen aus dem kommunistischen Block. Das erklärt aber noch nicht, warum nicht genauso viele Chinesen auf dem olympischen Siegertreppchen stehen wie Chinesinnen. Und auch nicht, warum niemand sich darüber wundert und - zumindest - eine Frauenrevolution ausruft.


Verwunderlich ist die Vielzahl der Siegerinnen, zumal wenn frau den Hintergrund dieser Frauen bedenkt: die jahrtausendealte Tradition der gebundenen Füße und des Frauenideals einer antrainierten Schattenexistenz, des möglichst unhörbaren Sprechens, der lautlosen Bewegungen und der stummen Dienstbarkeit. Demgegenüber der revolutionäre, die Frauenwelt umkrempelnde Charakter der Befreiung des Frauenkörpers in China. Wenn es stimmt, dass jegliche Emanzipation zunächst die Befreiung des Körpers bedingt, dann ist die chinesische Geschichte eine Erfolgsgeschichte - denken wir nur an Maos "eiserne Mädchen" am Stahlkochkessel. Aber hat nicht die gelungene Befreiung der Körper zur Vernachlässigung aller weitergehenden Emanzipationsschritte geführt, bis heute?


Widerstandsfähige Frauenkörper gewünscht

Hinter der Ablehnung des Füßebindens und der Einführung der Schulbildung und der Berufsarbeit außer Haus um 1900 standen - neben einer Handvoll westlicher Missionarinnen - in China die Männer und Truppenführer: Man brauchte den kräftigen, widerstandsfähigen Frauenkörper für die verschiedenen Befreiungskriege. Frau musste in der Öffentlichkeit - unter Schmerzen - ihre gebundenen Füße in westlichen High heels verstecken. Dafür, dass der Frauenkörper dem herrschenden Ideal entspricht, ist frau nach wie vor selbst verantwortlich; heute chinaspezifisch dafür, der Welt mit operativ verwestlichter Augenfalte gegenüberzutreten.

1910 führte China einen ersten Sportwettbewerb durch, und 1980 nahm die Volksrepublik China erstmals an den Olympischen Spielen in Lake Placid teil. Seitdem haben chinesische Frauen international mehr Medaillen gewonnen als Männer, obwohl viele Sportarten für Frauen nicht zugänglich waren. Die Olympischen Spiele von Beijing markieren den bisherigen Höhepunkt in der Beteiligung von Frauen, die 42% der AthletInnen stellten. Zu den letzten vier Olympischen Spielen schickte China mehr Frauen als Männer. Insofern war Beijing mit 312 männlichen und 288 weiblichen Athleten aus China ein Rückschritt, jedoch nur ein kleiner.


Mit Fleiß und Gehorsam zur Ehre der Nation

In China hatte man Frauen im Unterschied zu westeuropäischen Ländern oder den USA von Anfang an gleichrangig mit den Männern trainiert. Der Sport diente und dient ausschließlich dem Gewinn internationaler Ehren für die chinesische Nation; das Geschlecht spielt(e) keine Rolle. Die Goldmedaille einer Chinesin war und ist genauso viel wert wie die eines Chinesen. Das kommt beispielsweise auch in der eigenen Webseite zur Feier der Erfolge seiner Athletinnen durch das Chinesische Olympische Komitee 2008 zum Ausdruck, eine Lobpreisung, die so überhaupt nicht der verbreiteten Diskriminierung von Frauen in China entspricht.

Der Blick der - meist männlichen - chinesischen Trainer ist dagegen geschlechtsspezifisch und lobt die tief verwurzelte Überzeugung der Chinesinnen von der eigenen Wertlosigkeit und ihre enorme physische und psychische Leidensfähigkeit als durchaus nützlich für die Olympiavorbereitung. Gehorsam seien die Sportlerinnen, geduldig, extrem fleißig, halt typische Frauen, und das sollen sie nach Möglichkeit auch bleiben. Im Dienste der Nation!

Und was bedeutet das allgemein für chinesische Frauen? Konnten die Olympiasiegerinnen mit ihren Erfolgen vielleicht Vorbildwirkung für andere Frauen entfalten? Hat ihr Auftreten 2008 den Status der Chinesinnen nachhaltig verbessert?


Erfolgreiche Investition in Frauensport - kein Zuwachs an Respekt

China - nein, die Chinesinnen spielen seit 1986 im internationalen Fußball. Derzeit tun sie das auf dem 15. Platz der FIFA-Frauenfußballliste. Sie waren schon mal besser, Platz 13, und zwar 2003, obwohl sie da im Asian Women's Cup nur Silber holten. 2008, bei den Olympischen Sommerspielen in China, erreichten sie das Viertelfinale, und den Asian Women's Cup haben sie - Weltrekord - achtmal gewonnen. Von den chinesischen männlichen Fußballern, die im wohlmeinendsten aktuellen Rating auf Platz 87 herumdümpeln und deren Spiele sich durch das Auftreten teuer in den Spielerstatus eingekaufter Kadersöhnchen, durch Wettskandale und vorzeitige Abbrüche auszeichnen, brauchen wir nur insofern zu sprechen, als eine ähnliche Statistik für fast alle Sportarten gilt: Chinas Sportlerinnen lassen die Männer weit hinter sich. Bis zum 19. August 2008 hatten sie 20 der 43 chinesischen Goldmedaillen gewonnen. Sie waren das erfolgreiche Output der strategischen chinesischen Überlegung, dass es sich lohnen würde, vor allem in den Frauensport, den andere Länder stiefmütterlich behandelten, zu investieren.


Held ist nicht gleich Heldin

Irgendeine Bedeutung über den Moment hinaus scheint das aber nicht gehabt zu haben, obwohl In- und Ausland bereits warnen, dass dank der Einkindpolitik Chinas Sport allmählich die Mädchen ausgehen würden. Zwischen 118 und 130 Jungen zu 100 Mädchen werden in China derzeit - nach offiziellen Zahlen - geboren. Der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen malt bereits das Horrorszenario von 40 Millionen Frauen suchenden chinesischen Männern. In Beijing, Olympiastadt von 2008, werden dagegen von ihrer Standesvertretung, dem Chinesischen Frauenverband, 507 Frauenkollektive als "3-8-Rote Fahne-Kollektiv"(1) und 2000 (vermutlich weibliche) Einzelpersonen mit dem Preis für "Heldinnen-Verdienste um die Olympischen Spiele" ausgezeichnet. Nicht für sportliche Leistungen, sondern für Selbstlosigkeit, Opferbereitschaft und die ausschließliche Orientierung am Wohl der anderen. Weil das so gar nicht zum männlichen Helden passen will, hat der Frauenverband eben die "Heldin" (jinguo) kreiert, die sich im Chinesischen auch phonetisch noch deutlicher als im Deutschen vom "Helden" (yingxiong) unterscheidet. Über die Preisverleihung und die Eloge ans weibliche Ehrenamt brachte die Recherche in chinesischen Zeitungen zu den ökonomischen Auswirkungen der Olympischen Spiele auf Chinas Frauen - nichts.

Ein anderes Bild, das aus der Erinnerung an die Eröffnung der Olympischen Spiele von Beijing hervortritt, liefert die Erklärung: Da war das niedliche Mädchen mit den beiden Schaukelzöpfen, das nicht selbst sang. Die schönere Stimme hatte ein pummeliges Mädchen mit schiefen Zähnen. Ihre Stimme war brauchbar, ihr unvollkommener Körper musste möglichst unsichtbar bleiben. So ist es auch mit den Sportlerinnen: ihr Sieg ist wichtig, ihre Goldmedaillen schmücken Chinas Websites, sie als Personen nicht.

Am Status der Frauen in China ändern die Olympiasiegerinnen nichts, oder nur so viel, als sie den internationalen, ökonomisch erfolgreichen, asienweit vernetzten Teil repräsentieren. Beispielsweise auf dem chinesisch-asiatisch-pazifischen Wirtschaftsfrauengipfel im März 2011 in Kuala Lumpur. Der positiven Nachricht zum Internationalen Frauentag und einer weiteren über die Preisverleihung an ehrenamtlich tätige Frauen folgen dann mehrere zum landesweit grassierenden Frauen- und Kinderhandel. Im Jahr 2010 waren vor dem Chinesischen Obersten Gerichtshof die Fallzahlen um 16,36 % gegenüber dem Vorjahr explodiert, ungeachtet der Tatsache, dass der OGH schneller und mit härteren Strafen urteilte und die lokalen Frauenverbandssektionen sich verpflichteten, das Unrechtsbewusstsein für das profitable Gewerbe mit Hilfe von Medienkampagnen zu schärfen.


Sport spart Gesundheitskosten

Der Frauenverband hat auch flächendeckend Altensportgeräte aufgestellt, die aber nicht dafür gedacht sind, die Frauen fit für die Seniorenwettkämpfe zu machen und auch nicht vorrangig ihrer Gesundheit dienen. Obwohl die Geräte den Zweck haben, die Frauen länger gesund zu erhalten, aber nicht (nur) für sie selbst, sondern vorwiegend, damit der Staat sich Krankenversicherungskosten spart. Frauen eignen sich besser für die entsprechende staatliche Instrumentalisierung und überreden im Idealfall sogar noch ihre Männer zur Nutzung der Sportgeräte.


Anmerkungen:
(1) 3-8 bezieht sich auf den Internationalen Frauentag am 8. März


Zur Autorin:
Astrid Lipinsky ist Universitätsassistentin am Institut für Ostasienwissenschaften der Universität Wien mit den Schwerpunkten Gender und Recht. Sie lebt in Wien.


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 116, 2/2011, S. 18-19
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2011