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BERICHT/637: Nicole Haustein - Im Eiltempo an die Weltspitze (hoch3 - TU Darmstadt)


hoch3 - Nr. 7 / Dezember 2009
Die Zeitung der Technischen Universität Darmstadt

Im Eiltempo an die Weltspitze

Profiboxerin Nicole Haustein begann ihre Karriere
vor rund zwei Jahren im Darmstädter Hochschulsport

Von Martina Merz


Von der Anfängerin zur Europameisterin in nur zweieinhalb Jahren - Nicole Haustein hat eine steile Karriere hinter sich. Doch die TU-Studentin ist noch nicht am Ziel. WM-Titel und Soziologiediplom sollen bald folgen.


Nicole Haustein, die derzeit im siebten Semester Soziologie an der TU Darmstadt studiert, hat im April 2007 im Darmstädter Hochschulsport mit dem Boxen begonnen. Was aus einer Laune heraus begann, wurde schnell sportlicher Ernst: Bereits im Mai 2008 nahm sie an den deutschen Hochschulmeisterschaften teil und siegte prompt in der Gewichtsklasse Fliegengewicht bis 57 Kilogramm. Sechs Monate später folgte der Wechsel ins Profilager. Dort hat sie ebenfalls eine eindrucksvolle Bilanz vorzuweisen: Sieben Kämpfe, sechs Siege - vier davon durch K. O.

Ihren bisher größten Erfolg feierte die 30-Jährige im Oktober dieses Jahres, als sie im heimischen darmstadtium gegen die Lettin Olga Bojare den EM-Titel der Womens International Boxing Federation (WIBF) gewann. "Dieser Titel war extrem wichtig, vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Jetzt haben wir etwas in der Hand, was wir umsetzen können. Auch sportlich hat er einen sehr hohen Stellenwert, denn die WIBF ist im Frauenboxen der seriöseste Verband weltweit. Und es ist natürlich eine tolle Bestätigung für mich persönlich. Ich bin sehr stolz darauf", erklärt Haustein, die mit diesem Sieg auf Platz 22 der Weltrangliste kletterte.


Erst Aufbau, dann Wettkampf

Der EM-Titel kam unter ungewöhnlichen Bedingungen zustande. Haustein stand beim ersten Darmstädter Profibox-Event seit rund 50 Jahren nicht nur als Sportlerin im Mittelpunkt. Sie war zusammen mit Trainer und Manager Christian Bugge auch wesentlich in die Organisation der Veranstaltung eingebunden. Andere Boxer, die in großen Boxställen unter Vertrag sind, werden vor solch einem Kampf vier Wochen vollständig von der Außenwelt abgeschottet. Nicole Haustein und das Team von "Athene Boxing" waren hingegen rund um die Uhr im Einsatz. "Keine Lust gab's nicht. Da mussten wir durch", berichtet Haustein. Wie sie dieser Belastung standgehalten hat und auch noch als Siegerin aus dem Kampf hervorging, kann die sympathische junge Frau heute nur vage benennen. "Ich habe gewusst, wenn du das schaffst, fällt alles von dir ab."


Ungewöhnliche Karriere

Doch wie meistert man überhaupt einen solchen Aufstieg in nur zweieinhalb Jahren? "Das geht nur mit harter Arbeit und viel Disziplin. Seitdem ich die Profilizenz besitze, habe ich jeden Tag trainiert, bis heute", sagt Haustein. Normalerweise geht dem Profistatus im Boxen eine langjährige Amateurkarriere voran, in der die Boxer Kampferfahrungen sammeln. "Aber dafür bin ich zu alt", erklärt die Späteinsteigerin, die in kürzester Zeit das erreichte, wofür andere etliche Jahre brauchen.

Sie ergänzt: "Boxtraining ist sehr komplex. Da ich sehr spät angefangen habe, bin ich technisch noch nicht ausgereift und muss viel nachholen, was die Bewegungsabläufe angeht." Das bedeutet, dass einzelne Bewegungen Hunderte Male wiederholt werden müssen, damit sie sich einprägen. Hinzu kommen Laufeinheiten, Sprints und Seilspringen für die Kondition, boxspezifisches Krafttraining sowie Techniktraining. "Eine gute Technik ist natürlich sinnvoll, aber gute Kondition ist das A und O, denn sonst wird alles andere schwammig. Und wer keine Schlagkraft hat, kann gleich einpacken", sagt Haustein. Durch die unterschiedlichen Anforderungen wird der Sport so schnell nicht langweilig. "Boxen ist unheimlich vielseitig. Das macht mir nach wie vor riesigen Spaß."


Die TU Darmstadt unterstützt die Sportlerin

Tägliches Training, Interviews, Fernsehauftritte, Nebenjob - kommt dabei nicht die Uni zu kurz? "Es ist extrem schwer, alles unter einen Hut zu bringen. Von der Anfängerin zur Europameisterin in nur zweieinhalb Jahren - Nicole Haustein hat eine steile Karriere hinter sich. Doch die TU-Studentin ist noch nicht am Ziel. WM-Titel und Soziologiediplom sollen bald folgen. Ich bin noch nicht mal dazugekommen, den EM-Titel zu feiern. Anfangs war das kein Problem, aber mit der Zeit wurde es immer schwieriger. Mittlerweile muss ich täglich eine Liste machen. Ohne Struktur wäre ich sicher schon kurz vor dem Wahnsinn", sagte sie lachend. Darüber hinaus versucht Manager und Trainer Christian Bugge ihr den Rücken freizuhalten.

Unterstützung gibt es auch von Seiten der TU Darmstadt. In der Soziologie-Professorin Martina Löw hat Nicole Haustein in diesem Sommer eine Mentorin gefunden, die bei der Studienplanung hilft oder auch mal vermittelt, wenn der Abgabetermin der Hausarbeit mit einem wichtigen Wettkampf oder Trainingsterminen kollidiert. Zudem hat Nicole Haustein die Möglichkeit, kostenfrei die Sportstätten der TU Darmstadt zu nutzen, darunter auch das unieigene Fitnessstudio "Unifit". "Die Unterstützung durch das Unisport-Zentrum ist klasse. Dafür bin ich sehr dankbar", betont Nicole Haustein.


Zum Training nach Magdeburg

Der ehemalige Kraftraum im Hochschulstadion wurde im vergangenen Jahr zu einem Boxzentrum umfunktioniert. Diese Trainingsstätte ist mit der Sanierung des Hochschulbades und dem darunter gelegenen Tribünengebäude wieder weggefallen. Das macht die Gestaltung des ohnehin stressigen Alltags schwieriger. Für das Fitnesstraining genügen die Waldwege und das "Unifit". Komplizierter wird es bei den boxspezifischen Anteilen. "Uns fehlen die einfachsten Dinge wie etwa ein Sandsack. Dafür müssen wir uns dann bei anderen Boxvereinen einmieten." Dies bringt jedoch wieder zeitlichen sowie auch finanziellen Aufwand mit sich.

Eine weitere Schwierigkeit, die sich in Hinblick auf das Training ergibt, ist es, adäquate Sparrings-Partnerinnen zu finden. Im Umkreis gibt es keine Frauen auf Hausteins Niveau. Gegen schwächere Gegnerinnen oder Männer zu kämpfen, ist nicht effektiv. "Das bringt denen nichts und mir auch nicht. Zumal man sich damit unnötig in Gefahrensituationen begibt", erklärt sie. So fährt Haustein schon mal nach Karlsruhe oder Magdeburg, um geeignete Gegnerinnen zu finden. Diese sind nötig, wenn die TU-Studentin den Durchbruch schaffen will.


Im kommenden Jahr zur Weltmeisterschaft

Der EM-Titel war die Eintrittskarte in den Profisport. Um vom Frauenboxen - in Deutschland trotz bekannter Größen wie Regina Halmich, Susi Kentikian oder Ina Menzer noch eine Randsportart - leben zu können, müssen jedoch weitere Erfolge und die entsprechende Publicity her. Trotz ihres Exotenstatus als Soziologie studierende Späteinsteigerin will Haustein vor allen Dingen durch ihre sportliche Leistung überzeugen. "Wir müssen jetzt gut überlegen, wie wir weitermachen. In jedem Fall muss das Training noch härter und organisierter werden", sagt die Boxerin, die in absehbarer Zeit die Weltspitze angreifen will. Für Anfang 2010 sind Aufbaukämpfe sowie die EM-Titelverteidigung anvisiert, danach die Interkontinental-Meisterschaften. "Oder aber gleich die WM, je nachdem wie ich mich bis dahin entwickeln werde", beschreibt Nicole Haustein die grobe Planung für das kommende Jahr. "Das hängt natürlich ganz stark davon ab, wie gut ich trainieren kann. Die Rahmenbedingungen müssen um einiges professioneller werden." Neben finanzieller Unterstützung durch Sponsoren steht hier ein geeigneter Raum mit speziellem Trainingsmaterial an erster Stelle. Ebenfalls auf der Agenda steht der baldige Abschluss des Diplomstudiums.

Davor hat die aufstrebende Profiboxerin jedoch noch ein weitaus pro - faneres Ziels ganz oben auf ihrer Wunschliste stehen: "Ich würde gerne in den Urlaub fahren - egal wohin. Hauptsache einfach mal eine Woche Urlaub."


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Quelle:
hoch3 Nr. 7, Dezember 2009, Seite 17
Die Zeitung der Technischen Universität Darmstadt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2010