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BERICHT/614: Freundschaft in der dritten Generation (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 35 / 25. August 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Freundschaft in der dritten Generation
Die beiden Enkelinnen von Jesse Owens und Luz Long trafen sich in Berlin und überreichten den Weitsprungsiegern die WM-Medaillen

Von Hansjürgen Wille


Die Leichtathletik-WM in Berlin schrieb viele Geschichten, fröhliche und traurige, kuriose und amüsante, spannende und ungewöhnliche, Aufmerksamkeit erheischende und kaum beachtete. So eine war abseits des großen Trubels im Stadion auch die Begegnung zwischen den Enkelinnen zweier Männer, die, nach heutigem Verständnis, absolute Stars waren und bei den Olympischen Spielen 1936 ein besonderes Kapitel aufrichtiger Freundschaft der Nachwelt hinterließen. Gemeint sind Jesse Owens, der viermalige Goldmedaillengewinner aus den USA, ein Farbiger, und sein deutscher Weitsprung-Rivale Luz Long, ein Weißer, der Zweiter wurde. Ort des Geschehens eines ungewöhnlichen Treffens war das Sportmuseum im Olympiapark von Berlin, das mit der Ausstellung "Jesse Owens - eine Sportlegende" aufwartete. Nur einen Steinwurf von jener Stätte entfernt, wo damals das dramatische Duell stattgefunden hatte, fielen sich Marlene (Owens) Dortch, eine Rechtanwältin aus Maryland, und Julia-Vanessa Long, die in München in der Computerbranche tätig ist, um den Hals und herzten sich. Freundschaft in der dritten Generation. Dass die beiden tags darauf den besten Weitspringern auch die Medaillen überreichten, passte genau ins Bild der Veranstalter und der Amerikaner, die nach wie vor ihr Idol in Ehren halten. Sieger Dwight Phillips: "Mich hat das förmlich übermannt. Es war, als ob ich der Geschichte ins Gesicht schaue."

Beim Museumsbesuch bedeutete es eine nette Geste, dass Marlene Dortch ein Originaltrikot des US-Teams mit den Initialen JO mitgebracht hatte und es dem Berliner Innen- und Sportsenator Ehrhart Körting schenkte, der es später der Museumsleiterin Martina Behrendt überließ, die nach den offiziellen Begrüßungen einen als privat deklarierten Rundgang durch den Innenhof des ehemaligen Deutschen Hauses des Sports unternahm und dabei Erklärungen zu den vielen erworbenen Fotodokumenten abgab und besonders auf ein Bild hinwies, wo Owens und Long nach dem Weitsprung-Vorkampf im Gras lagen und miteinander plauderten.

Verbrieft ist die Tatsache, dass der Deutsche seinem amerikanischen Konkurrenten nach zwei misslungenen Versuchen ein paar wichtige Tipps gab, weil Owens einfach nicht den Balken getroffen hatte und als Weltrekordler dicht vor dem Ausscheiden stand. "Sich zu helfen, auch über Ländergrenzen hinweg, das war zu der damaligen Zeit durchaus nichts Ungewöhnliches, wie mir im Nachhinein Athleten erzählten", meinte Kai Long, der Sohn von Luz Long. "Heute würde man allerdings sagen, ist der aber doof gewesen." Seinen Vater hat Kai Long nicht bewusst erlebt, "denn er ist im Krieg gefallen, als ich gerade anderthalb Jahre alt war", berichtete in kleinem Kreis der Kaufmann aus Münster, der Jesse Owens zweimal begegnet ist. So 1951 in einem Hotel, als der Amerikaner mit den Basketballperlen der Harlem Globetrotters zu einer Promotions-Tour in Hamburg waren, und dann noch einmal1964, als die englische Fassung des Films "Rückkehr nach Berlin" gedreht und die Liegend-Szene im Gras nachgestellt wurde. "Owens war ein sympathischer, lockerer Typ, viel Harmonie ausstrahlend und stets gut angezogen, der niemals den Star herauskehrte", erinnert sich Long. "Wir haben oft über die damaligen Tage diskutiert - und er hat immer wieder mit Hochachtung von einer sich entwickelnden Freundschaft gesprochen."

Luz Long wollte Jurist werden, hatte seine Examensarbeit "Leitung und Aufsicht des Staates im Sport" bereits schrieben, ehe er eingezogen wurde." Mein Vater war ein unpolitischer Mensch, der keinerlei Vorurteile gegen Schwarze hatte. Und er wollte mit seinem Handeln auch nicht Hitler brüskieren, der im übrigen Owens mit Nichtachtung strafte, erklärte der Sohn des Olympia-Zweiten, der ursprünglich dafür vorgesehen war, die WM-Medaillen an die drei Erstplatzierten zu überreichen. "Doch ich habe abgewinkt und meiner Tochter Julia-Vanessa diese Aufgabe überlassen. Das passte zu Marlene Dortch auch viel besser, wenn zwei junge Damen diese Ehrung vornahmen." Gelebte Freundschaft in der dritten Generation wurde also in diesen Tagen von Berlin praktiziert. Allerdings scheinen die beiden jungen Frauen zu wenig Gene von ihren Großvätern geerbt zu haben. Marlene Dortch treibt überhaupt keinen Sport, Julia-Vanessa Long versuchte sich mal im Tennis und Tanzen, Golf und Segeln, aber das Richtige war nicht dabei. "Ich jogge aber, sofern es meine Zeit erlaubt", berichtete sie und ist stolz darauf, sogar am Just for Fun-Triathlon in Hamburg teilgenommen zu haben.

Bei seiner kleinen Laudatio im Museum sprach Senator Ehrhart Körting, übrigens in Englisch, über das besondere Kapitel von Geschichte in einer damals finsteren Zeit, die geprägt war von Hass gegen Juden und Farbige. "Was Owens und Long vor nunmehr 73 Jahren praktizierten, dass war schon beachtlich, Sportkameradschaft und Völkerfreundschaft im wahrsten Sinne des Wortes demonstriert. Und wie Owens beim Ausgang aus dem Stadion gesagt haben soll, sei ihm das wichtiger gewesen als eine Medaille".


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 35 / 25. August 2009, S. 18
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2009