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BERICHT/598: Vom Kind der Spiele von 1972 zur dauerhaften sportpolitischen Größe (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 26 / 23. Juni 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Vom Kind der Spiele von 1972 zur dauerhaften sportpolitischen Größe
40 Jahre Sportausschuss des Deutschen Bundestages

Von Andreas Müller


Die Konstitution dauerte gerade einmal 15 Minuten, so viel verrät das Kurzprotokoll "der 1. Sitzung des 1. Sonderausschusses für Sport und Olympische Spiele". Sämtliche der insgesamt 17 Mitglieder, je acht von der CDU/CSU-Fraktion und von der SPD-Fraktion sowie ein Abgeordneter der FDP-Fraktion, waren am Nachmittag des 13. November 1969 anwesend. Einstimmig kürten sie Konrad Kraske (CDU) zum ersten Vorsitzenden. Damit wurde de facto vollzogen, was der 6. Deutsche Bundestag neun Tage zuvor am 4. November auf Antrag von CDU/CSU, SPD und FDP de jure beschlossen hatte - die Einsetzung eines Gremiums, das später ab dem 31. Januar 1973 unter dem offiziellen Namen Bundestags-Sportausschuss sportpolitische Karriere machen sollte. Anlässlich ihres 40. Geburtstages laden die "sportlichen Parlamentarier" unter Führung des aktuellen Ausschuss-Vorsitzenden Peter Danckert (SPD) am Nachmittag des 1. Juli zu einem kleinen Empfang im Reichstag ein. Der für Sport zuständige Innenminister Wolfgang Schäuble wird die Festrede halten. Vielleicht wird der CDU-Politiker dabei auch daran erinnern, dass dem neuen parlamentarischen Erdenbürger bei seiner Geburt keineswegs ein besonders langes Leben prophezeit worden ist. Ursprünglich sollte die Episode mit den Sommerspielen 1972 zu Ende gehen. Inzwischen schreibt man die Ära des 16. Bundestages, im September wird das 17. Parlament gewählt. Der einstige sportpolitische Spross ist längst erwachsen geworden. Seine Bedeutung und sein Wert sind unbestritten.

Von all den vormaligen Fragezeichen ist keines mehr übrig geblieben. Das Gremium hat allen Widerständen getrotzt und ist zur dauerhaften sportpolitischen Größe avanciert. Sogar schon als "traditionsreich" werde der Sportausschuss des Deutschen Bundestages mitunter bezeichnet, merkte Manfred von Richthofen, damals Präsident des Deutschen Sportbundes, beim 30. Geburtstag vor zehn Jahren in seiner Laudatio an. Gemessen an der Historie von Vereinen und Verbänden sei das "eine mittelschwere Übertreibung", fügte der heutige DOSB-Ehrenpräsident unter Hinweis auf die fast 200 Jahre alte Geschichte des ersten Turnplatzes in der Berliner Hasenheide und damit einer ganzen Bewegung launisch hinzu.

Politischer Reflex auf die gesellschaftliche Bedeutung des Sports Die Erfahrung, die der Zeitspanne eines halben Menschenlebens entspricht, lehrt: Sportausschuss und organisierter Sport bedingen und ergänzen einander. Zugleich sind beide Seiten im Laufe dieser vier Dekaden aneinander gewachsen. Das gilt für die "Fitness" der Politiker ebenso wie für die Politikfähigkeit der Verbände und Vereine, die im Alltag gelebt wird. Politik und organisierter Sport erinnern an enge Verwandte, die einander anfangs womöglich noch etwas fremd sind und sich später umso mehr schätzen und neugierig dafür interessieren, was der andere macht; die gelegentliche Spannungen nicht nur aushalten, sondern konstruktiv zu lösen vermögen; die sich gegenseitig nach Kräften helfen und unterstützen. Wobei einer der wichtigsten Grundsätze der Sportpolitiker im höchsten deutschen Parlament von Anbeginn lautete: Die Autonomie des organisierten Sports ist ein geschütztes und unantastbares Gut.

Mit dem Beschluss des Bundestages, drei Jahre vor den nächsten Sommerspielen einen separaten Sportausschuss ins Leben zu rufen, hatte das Parlament nicht nur dem Großereignis 1972 in München auf höchster Ebene den Weg bereiten wollen. Dieser Aspekt mochte der historische Anlass für die Entstehung des Gremiums sein. Die Wurzeln für das Novum lagen weit tiefer, denn mit dem parlamentarischen Akt reagierte die Bundespolitik vor allem auf die bis dato nicht gekannte Dimension gesellschaftspolitischer Bedeutung des Sports in der Bundesrepublik. Die Gründung des Bundestags-Sportausschusses war ein Reflex auf diese Situation, so wie eine einzelne Sportart ab einem gewissen Stadium eigene Strukturelemente, eine Organisation und eine eigene Liga kreiert. Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht wunder und war es geradezu folgerichtig, dass sich der Sportausschuss gleich zu Beginn vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher einen umfassenden Überblick über die Situation des Sports geben ließ. Zum Ende seiner ersten Legislaturperiode forderte er die Bundesregierung auf, künftig alle zwei Jahre einen "Bericht zur Lage des Sports" herauszugeben.

Mithin stand am Anfang der Arbeit des Gremiums eine gründliche Analyse der Situation des Sports in Deutschland, der Bestimmungen des Steuer- und des Sozialrechts im Sport sowie der Zuständigkeiten des Bundes auf dem Gebiet des Sports, insbesondere im Spitzensport, der im Vorfeld der Münchner Spiele vor allem befördert werden sollte. Die Parlamentarier horchten auf, als sie erfuhren, dass bei den Winterspielen in Sapporo 1968 sämtliche Medaillen von Athleten gewonnen wurden, die in den neu entstandenen Bundesleistungszentren trainierten. Umgehend besuchte der Ausschuss die Zentren in Inzell und Berchtesgaden, um sich ein genaues Bild vor Ort zu machen, für eine optimale Auslastung zu plädieren und eine angemessene Kostenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen auf den Weg zu bringen. Folgerichtig begrüßte man in dieser Phase die Einrichtung von Sportfördergruppen bei der Bundeswehr und die Gründung eines Bundesinstituts für Sportwissenschaft.

An Elemente wie Zielvereinbarungen, an ein Beziehungsgeflecht aus glasklaren Verträgen zwischen dem Bundesinnenministerium und dem DOSB sowie zwischen dem Dachverband und seinen Spitzenverbänden, wie sie seit neuestem die moderne Leistungssport-Struktur prägen, dachte damals freilich noch niemand. Längst hat sich der Aktionsradius der Parlamentarier auch anderweitig verändert. Zwar erkundigen sich die Mitglieder des Sportausschusses noch immer regelmäßig an der heimischen Basis des Spitzensports, ob und wie Optimierungen möglich sind. Zugleich aber pflegen sie mittlerweile Kontakte auch auf internationalem Terrain. Besuche von Mitgliedern des Ausschusses bei Olympischen Sommer- und Winterspielen gehören heute wie selbstverständlich zum Programm.


Von Anfang an kein "leistungssportlicher Tunnelblick"

Wiewohl die Weiterentwicklung des Leistungssports zunächst den Kern der Arbeit ausmachte, ließ es der Ausschuss schon bald nicht mehr mit dem "leistungssportlichen Tunnelblick" bewenden. Noch in seiner ersten Amtsperiode standen etwa die "Sportförderung in der Dritten Welt" und der "Sport im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik" auf der Tagesordnung sowie eine ausführliche Berichterstattung zur Situation des Versehrtensports in der Bundesrepublik. Nach der Bundestagswahl im November 1972, als klar wurde, dass der Sportausschuss keine "vorolympische Episode" bleiben würde, informierten sich die Mitglieder in einem groß angelegten Hearing über die Situation der Verbände und Vereine, die bei dieser Gelegenheit einen ganzen Katalog von Wünschen äußerten. Die Vertreter des Sports drängten auf Lösungen bei Struktur- und Führungsproblemen auf Vereinsebene, auf die Verbesserung der Übungsleiter- und Trainerausbildung, den Ausbau der Geschäftsstellen - auch bei den Verbänden - sowie auf öffentlich wirksame Werbemaßnahmen im Breitensport und eine bessere Koordination zwischen Schule und Verein, um die Talent- und Nachwuchsförderung zu verbessern. Das Hearing öffnete bei den sportpolitischen Vertretern der Bundestagsfraktionen den Fokus weit über den Spitzenbereich hinaus und eröffnete ihnen zugleich ein ganzes Spielfeld an neuen Herausforderungen und Arbeitsthemen bis hin zu Sportstätten- und Umweltthemen, denen sie sich künftig engagiert annehmen sollten.

Hinzu kam bereits Ende 1973 als Begleiterscheinung des ersten Treffens der Sportminister der EU-Länder die immer stärker werdende internationale Komponente, ehe nach den Olympischen Spielen 1976 in Montreal die Doping-Diskussion auch das höchste Parlament erreichte. Der Grundsatzerklärung des DSB für den Spitzensport folgte eine erste Anhörung im Sportausschuss mit dem Arbeitstitel "Leistungsbeeinflussende und leistungsfördernde Maßnahmen im Hochleistungssport" und das Bekenntnis der Politik: Der Spitzensport sei "unter Wahrung der Eigeninitiative des Athleten" weiterhin umfassend staatlich zu fördern und solle dazu beitragen, "dass die Sportler aus der Bundesrepublik Deutschland bei internationalen Sportwettbewerben chancenreich teilnehmen können." So drückte es ein vom Sportausschuss selbst verfasster Rückblick Ende der 90er Jahre aus.

Später sollte das Wörtchen Doping noch sehr oft die Gemüter beschäftigen, etwa als es um die - noch heute hin und wieder aufflammende - Kardinalfrage ging, ob Deutschland ein eigenständiges Anti-Doping-Gesetz brauche oder ob die schließlich vorgenommene Verschärfung des Arzneimittelgesetzes im Kampf gegen das große Übel ausreicht. Nach der deutschen Einheit wurde die Debatte um eine weitere Facette erweitert. In der Diskussion über ein Entschädigungsgesetz für die Opfer des systematischen DDR-Doping-Systems wurden die besonders üblen Folgen sichtbar, welche die Verabreichung von Dopingmitteln an Körper, Psyche und Geist von jungen Menschen hinterlassen hat. Allein in der Wahlperiode zwischen 1990 und 1994 hatte das Thema Doping im Ausschuss insgesamt zehn Mal auf der Tagesordnung gestanden.

"Wir wünschen uns weiterhin ein derart sportliches Miteinander wie in den vergangenen Jahren", formuliert DOSB-Generaldirektor Michael Vesper seine Glückwünsche an den Jubilar. "Sport findet nicht nur auf der Laufbahn, im Schwimmbad oder auf dem grünen Rasen statt. Der Sport ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft und damit auch Bestandteil der Politik. Seit 40 Jahren beschäftigt sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages mit Themen des Sports. Die Mitglieder des Sportausschusses sind kritische Wegbegleiter, ganz wie es ihrer Aufgabe entspricht. Sie alle wissen um die Bedeutung des Sports und setzen sich für die Belange der Bürger in Deutschland ein - und fast jeder hat ganz persönliche Berührungspunkte mit dem Sport."

Der mit der Gratulation verbundene Wunsch des Dachverbandes trifft exakt die Intentionen der Sportpolitiker. "Seit 1969 hat der Sportausschuss - unabhängig von seinen unmittelbaren Zuständigkeiten - den Sport in allen Aufgabenstellungen, vom Spitzen- über den Breiten-, Freizeit- und Schulsport unter allen Aspekten kontinuierlich politisch begleitet und gefördert", heißt es offiziell auf der Homepage des Bundestages unter der Überschrift "Sportausschuss als Motor der Sportpolitik". Das Credo für die Tätigkeit der 16-köpfigen Mannschaft, die in der laufenden Legislaturperiode von "Kapitän" Peter Danckert angeführt wird und zum Nutzen der "Größten Bürgerbewegung Deutschlands" zusammenspielt, ist prägnant und schon mit Zukunftsblick artikuliert: "Im Deutschen Bundestag findet der Sport in den Mitgliedern des Sportausschusses verlässliche Partnerr Sport ist ein wichtiger Teil unserer Gesellschaft. Sport ist kein Luxusgut, sondern ein Grundbedürfnis und braucht barrierefreien Zugang. Sport für alle erfordert umfassendes politisches Handeln. Die Verwirklichung sportpolitischer Ziele lässt sich nicht mehr allein durch eine fachlich begrenzte Sportpolitik erreichen. Sie erfordert als Querschnittsaufgabe eine Vernetzung aller Politikbereiche."


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 26 / 23. Juni 2009 , S. 21-23
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juli 2009