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BERICHT/563: "Doping im Breitensport ist ein blinder Fleck" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 50 / 9. Dezember 2008
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Doping im Breitensport ist ein blinder Fleck"
Zum Abschluss des 23. Darmstädter Sport-Forums tut sich der Abgrund in den Bodybuilding- und Fitnessstudios auf

Von Hans-Peter Seubert


Im letzten Vortrag des 23. Darmstädter Sport-Forums "Doping im Leistungssport" vermittelte Mischa Kläber mit seinem Referat "Doping im Fitnessstudio" einen erschütternden Eindruck über Manipulation und kriminelle Energie in der Bodybuilding- und Studio-Szene. Der Doktorand am Institut für Sportwissenschaft der TU Darmstadt arbeitete selbst zehn Jahre als Trainer in diesem Milieu. In der anonymen Komplexität der Studios, das bewies Kläber über Befragungen von 20 Usern (Nutzern) und 20 Nonusern (weniger aufgeschlossen), gedeihen Handel und Konsum von Medikamenten, Anabolika, Wachstumshormonen bis hin zur Tierarznei.

"Durch die Fixierung auf den Spitzensport geht natürlich der Blick für den Breiten- und Freizeitsport verloren", lautete die Erkenntnis des jungen Sportwissenschaftlers. Jedes vierte bis fünfte Mitglied in Studios konsumiert regelmäßig verschreibungspflichtige Dopingpräparate. An Schulen haben heute neun Prozent der Schüler ausgeprägte Erfahrungen mit Dopingmitteln. 30 Prozent wissen um die Beschaffung, belegen andere Studien. Bei den großen Marathons sind etwa 50 Prozent der Männer und mehr Frauen mit Schmerzmitteln unterwegs. Bei Sicherheitsdiensten oder der Polizei führen körperliche und psychische Belastungen mehr und mehr zum Medikamentenmissbrauch. Noch sind diese Felder kaum erforscht: "Doping im Breitensport ist ein blinder Fleck in der Sportwissenschaft." In der öffentlichen Wahrnehmung auch. "Doping ist keine isolierte individuelle Erfahrung. Wir müssen erkennen, dass in allen Gesellschaftsbereichen massiv gedopt wird. In der Wirtschaft (Beruhigungs- und Aufputschmittel) in der Politik (Kokain bis hin zum Alkohol) und der Musik und Kunst (Mode und Designerdrogen und Alkohol). Hinzu kommen der wachsende Verlust an Unrechtsbewusstsein und ausgeprägte Betrugs- und Lügenmentalität auf allen Ebenen, nicht zu vergessen Geldgier. Der ideale Nährboden auch für Doping und Medikamentenmissbrauch.

Krankhafter Körperkult in Fitnessstudios, ursprünglich beim Bodybuilding (Männerdomäne, absurdes Schönheitsideal), verstärkt durch die Arobic-Welle (Frauen), damit übergesprungen auf Fitness und Wellness, hat das Doping radikalisiert. In 650 Studios in Deutschland arbeiten heute sechs Millionen Aktive an der Modellierung des Köpers. Fitness, der jugendliche, sportive Körper oder das exzessive Bodybuilding - stets dominiert die Optik. "In keinem anderen Sport wird der Körper derart instrumentalisiert." Lebensstil und Ersatzreligion nennt Kläber den Antrieb: Wer im Alltag (Beruf, Privatleben) nichts verändern kann, sieht rasche Veränderung der Körperoptik im Spiegel. Risiken sind Nebensache oder weichen Entschuldigungen. Die gesamte Gesellschaft dopt, warum ich nicht auch. "Anabolika zu nehmen, ist ja nicht viel besser oder schlechter als die Antibabypille zu nehmen." Und oft geht die Unart des Dopings einher mit gesundem Lebensstil (biologische und bewusste Ernährung).

Was mit harmlosen, dopingverseuchten Nahrungsergänzungsmitteln beginnt, steigert sich zum Medikamentenmissbrauch und gipfelt in Wahn und Sucht. Kläber wies komplexe User-Netzwerke nach, die alle Ebenen der Studioklientel vom harten Muskelmann bis zum Gesundheitsapostel manipulieren. Studio-Betreiber schauen weg oder sind aktiv beteiligt. Die Beschaffung des Stoffs läuft über verdeckte Studiodealer (User), Apotheken im In- und Ausland, Hinterhof-Märkte und das Internet. Erfahrene User verzichten auf Letzteres, um nicht aufzufliegen.

Diese ziehen meist die Fäden, lernen und füttern den "Nachwuchs" an, beschaffen den "Stoff", empfehlen Kuren und Dosierung. Handlanger dieses Systems sind Ärzte und Apotheker "die sich etwas dazuverdienen möchten". Denn die Komplexität der Mittel und des Marktes, dazu die Angebotsvielfalt verbietet, dass sich noch jemand im Alleingang dopt. Kläber: "Hier handelt es sich um wenige schwarze Schafe. Allerdings genügen wenige schwarze Schafe, um viele User-Netzwerke zu betreuen und zu versorgen. Er zitierte die Motivation eines Arztes: "Es ist einfach viel sinnhafter, wen man sie überwacht."

Was freiwillig beginnt, wird unter Anleitung zum Zwang und vor allem im Bodybuilding zur Sucht mit Entzugserscheinungen, wenn die Präparate abgesetzt werden. Kläber: "Auch eine Sucht muss im Prinzip erlernt werden." Kontrollierter, dann unkontrollierter, zwanghafter Konsum gleich kontrolliertes, letztlich unkontrolliertes Doping. Hier schließt sich der Teufelskreis. "Ein User ist das ganze Jahr online, es werden dann nur noch die Präparate ausgetauscht." Nach dem Einstieg über Nahrungsergänzungsmittel folgt Medikamentenmissbrauch. Schick ist und viel konsumiert wird Tierarznei, Asthmamittel für Pferde, Medikamente für Kühe und Katzen. Diese sind billiger, leichter zu beschaffen und stehen im Ruf, besser zu wirken. Im letzten Schritt kommen Straßendrogen ins Spiel (Kokain, Speed, LSD, Heroin). Sie putschen auf, dämpfen damit anabole und medikamentöse Überdosen und Nebenwirkungen. Während Männer zu Anabolika greifen (Bodybuilding), sind für Frauen Präparate ohne Hormone interessant. "Das Dopingproblem in der Studiobranche ist eher eine Männerdomäne, dopende Frauen erleiden Weiblichkeitsverlust."

Das Lernmilieu bilden die Studios selbst, kraftsportspezifische Internetseiten ("Dort wird Tacheles geredet") und graue Literatur. Sie liefert unter dem Vorwand der Beratung und Abschreckung, gezielte Dosierungspläne und Tipps für die wirksamsten Präparate. Parole: "So wird's genau gemacht, aber bitte nicht nachmachen." Immer noch ist der Besitz geringer Mengen von Dopingmitteln nicht strafbar. Lediglich Erwerb in gesetzlichen Grauzonen. Immer noch wird das Dopingproblem als individuelles Problem und persönlicher Fehltritt Einzelner wahrgenommen und überwiegend reduziert auf den Spitzensport. Nicht als Seuche, die ihren Ursprung in der Gesellschaft findet und in skrupellosen und straff organisierten Netzwerken hat.

Richtig unappetitlich wurde es am Ende des Vortrages. Mischa Kläber zeigte eine Videosequenz, die alles Gesagte noch toppte: Ein Bodybilder schritt darin zur Selbstbehandlung eines steroidbedingten Abszesses, zog sich genüsslich Spritze um Spritze Blut aus dem Muskel. Kein Einzelfall wie sein Promotionsprojekt belegte. Nach einer Blutvergiftung musste der Muskelmann später notoperiert werden. Viele der 500 Augenzeugen beim letzten Vortrag der fünfteiligen Reihe des Instituts für Sportwissenschaft der TU Darmstadt und des Sportkreises Darmstadt erfüllten die Bilder mit Ekel und Entsetzen.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 50 / 9. Dezember 2008, S. 26
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2008