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BERICHT/502: Auf den Spuren der Botenläufer der Inka (f.i.t - Sporthochschule Köln)


f.i.t. - Forschung . Innovation . Technologie
Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln 1/2008

Auf den Spuren der Botenläufer der Inka
Ein Laufexperiment in den südamerikanischen Anden

Ein Beitrag von Frank Hülsemann(1, 2), Markus de Marées(3), Ulrich Flenker(1), Carsten von Kuk(1), Anette Schmidt(4), Ellen Meinicke(4), Wilhelm Schänzer(1), Joachim Mester(3), Wilhelm Bloch(4)
(1) Institut für Biochemie, (2) Deutsches Forschungszentrum für Leistungssport Köln, (3) Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik, (4) Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin


Nach der Eroberung des Inkareiches durch die spanischen Konquistadoren im 16. Jahrhundert berichteten Chronisten von einem einzigartigen Nachrichtensystem, welches von den Inka in Südamerika errichtet worden war. Sie berichteten von Botenläufern, chasquis, die Nachrichten per Staffellauf über eine Strecke von bis zu 400 km am Tag transportierten. Diese Boten liefen entlang eines ausgedehnten Straßennetzes quer durch das Inkareich, welches sich entlang des Hauptkammes der südamerikanischen Anden vom Äquator bis tief ins heutige Chile und vom Pazifik bis in die Urwälder Amazoniens erstreckte. Die chasqui liefen jeweils Abschnitte von einigen Kilometern und übergaben dann ihre Nachricht oder Sendung an den nächsten bereitstehenden Läufer. Die Nachrichtenübermittlung war so schnell und effizient, dass sie entlang der Hauptverbindungen von den Spaniern bis ins 18. Jahrhundert aufrecht erhalten wurde. Das Straßen- und Botensystem der Inka war eines der effektivsten historischen Postsysteme und der Nachrichtenübermittlung in Europa im späten Mittelalter haushoch überlegen.


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Nordperu im Frühjahr 2005: Fast 500 Jahre nach dem Untergang der Inka geht ein Staffellauf quer durch das ehemalige Inkareich zu Ende. In einem Ruinenfeld einer alten Inkastadt auf einer Höhe von 4.100 m umarmen sich sieben Langstreckenläufer. Es sind: Carsten von Kuk, Markus de Marées und Frank Hülsemann, alle drei tätig an der Deutschen Sporthochschule, Sven Schultz und Birgit Bartels als einzige Frau, beide Absolventen der DSHS, sowie der Kölner Marc von Kuk und Hermann Ulrich aus Königswinter. Hinter ihnen liegen drei Wochen härtester Laufarbeit vorbei an den Ruinen der alten Inkametropolen und entlang der Überreste und rekonstruierten Verläufe der historischen Inkastraßen. In einem selbst organisierten Laufexperiment, der 'Inkastaffel', sind sie auf den Spuren der chasqui von Chile über Bolivien bis nach Peru gelaufen. Von der Wüste Atacama vorbei an den Vulkanen der Kordillieren liefen sie über den bolivianischen Altiplano zum Titicaca-See und zur alten Inkahauptstadt Cusco, und dann weiter Richtung Ecuador entlang des Andenhauptkammes.

Der Staffellauf war in verschiedener Hinsicht ein Experiment. Es gab im Vorfeld kaum Erfahrungswerte, was das Laufen entlang der alten Inkastraßen anging. Was über die chasqui heute bekannt ist und was die von ihnen erbrachten Leistungen angeht, so ist man auf die Angaben der spanischen Chronisten aus dem 16. und 17. Jahrhundert angewiesen. Das bisher einzige "Laufexperiment" auf den Inkastraßen fand in den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter der Anleitung des US-Amerikaners Viktor Wolfgang von Hagen statt. Nach seinen Angaben benötigten Einheimische damals etwas über dreieinhalb Minuten pro Kilometer Laufstrecke zwischen zwei Kurierposten (VON HAGEN 1955). Damit entsprach die Laufgeschwindigkeit seines Experimentes den Angaben der spanischen Chronisten, die berichteten, dass Nachrichten zwischen Quito im heutigen Ecuador und dem peruanischen Cusco, der damaligen Hauptstadt der Inka, über eine Strecke von 2.000 km innerhalb von fünf bis sechs Tagen übermittelt worden sein sollen (CIEZA DE LEON 1967 [1553]; B. COBO 1964 [1653]). Um eine solche Geschwindigkeit von 300 bis 400 km pro Tag für die Übermittlung einer Nachricht zu erzielen, Liefen die chasqui nur kurze Abschnitte, die Angaben schwanken zwischen Streckenlängen von 500 Metern und fünf Kilometern zwischen zwei Kurierstationen.

Ziel des Staffellaufprojektes war es, innerhalb der zur Verfügung stehenden Zeit von 25 Tagen eine größtmögliche Strecke entlang der alten Inkastraßen zurückzulegen. Die Laufstrecke verlief größtenteils entlang der Hauptverbindungsstrecke des Inkareiches, dem Quapac Nan, der "königlichen Straße". Der Startpunkt des Staffellaufes lag in der chilenischen Atacama-Wüste, einer der trockensten Orte der Welt, auf einer Höhe von 600 Meter über dem Meeresspiegel. Dieser Startpunkt wurde gewählt, um den Läufern Gelegenheit zu geben, sich schrittweise an die späteren Laufhöhen oberhalb von 3.000 m über dem Meer zu gewöhnen. Es war logistisch nicht möglich, die historisch überlieferten kurzen Laufetappen von wenigen Kilometern zu realisieren. Die Etappenlängen mussten an die heutige Infrastruktur und Topographie angepasst werden, die durchschnittliche Etappenlänge betrug 12,5 km mit einer maximalen Etappenlänge von 65 km.

Die Läufer wurden ein Jahr vor Start nach eingegangener Bewerbung, läuferischer Leistung und subjektiver Beurteilung ausgesucht. Das Durchschnittsalter der Läufer (sechs Männer, eine Frau) lag bei 34,1 ± 4,1 Jahren, die durchschnittliche aktuelle Marathonbestzeit betrug 2:47 ± 0:16 Stunden. Während des Staffellaufes musste von den Läufern neben dem eigentlichen täglichen Laufpensum, aufgeteilt auf eine bis drei Etappen, auch der komplette Transport von Ausrüstung und Verpflegung organisiert werden. Übernachtet wurde am jeweiligen Etappenendpunkt im Zelt, von wo am nächsten Tag direkt gestartet werden konnte. Gelaufen wurde üblicherweise von der Morgendämmerung bis in die Nacht. Zwei Nächte wurden komplett durchgelaufen. Die Strecke eines Lauftages wurde auf zwei Gruppen aufgeteilt, die eine bestimmte Strecke zurücklegten, dabei bestand die jeweilige Begleitmannschaft aus den pausierenden Läufern. Da das Begleitfahrzeug dem Läufer auf Grund der Streckenführung und Topographie nur auf wenigen Etappen direkt folgen konnte, mussten im Vorfeld Treffpunkte festgelegt werden. Um sicher zu stellen, dass sich Läufer und Begleitteam an den vereinbarten Punkten wiederfinden, wurde die Route am jeweiligen Vorabend per Laptop auf digitalisierten Landkarten geplant. Die anhand der Software ermittelten Koordinaten der Treffpunkte wurden auf die GPS-Geräte des Läufers und der Begleiter übertragen. Dieses System der GPS-gestützten Treffpunkte wurde von den Läufern ein Jahr lang im Vorfeld in Deutschland intensiv geübt, so dass sich beim Staffellauf in den Anden nur geringfügige Verzögerungen an den Treffpunkten ergaben.

Zur Sicherheit trug jeder Läufer in einem Laufrucksack neben Karten und dem GPS auch noch Wasser, etwas Verpflegung und zusätzlich ein Funkgerät und bei längeren Etappen ein Satellitenhandy bei sich. Des Öfteren hatten die Läufer Schwierigkeiten, den genauen Verlauf der Inkastraßen zu finden. Die Reste dieser Straßen sind im Gelände nur noch abschnittsweise zu erkennen und zu begehen, so dass es teilweise zu großen Umwegen und Verzögerungen kam. Die Inka hatten ihr Straßensystem sehr geradlinig, ungeachtet eventueller Steigungen ausgebaut. Der Warentransport im Inkareich wurde mit Hilfe von Lasttieren und nicht mit Wagen durchgeführt, Steigungen wurden daher mit Hilfe von Treppen überwunden, welche heutzutage nur noch fragmentarisch aufzufinden sind. Flusstäler wurden von den Inka mit Hilfe von Hängebrücken, chakas, überwunden, die aus Strängen von geflochtenem Büschelgras bestanden. Heutzutage existiert in Peru nur noch eine dieser Brücken, die jedes Jahr von den Einheimischen in einem festlichen Akt erneuert wird.


Erfolg und Scheitern des Laufexperimentes

Nach 25 Tagen ist sich das Team einig: das Laufexperiment hat funktioniert. Zwar mussten während des Staffellaufes aufgrund organisatorischer Probleme mehrere Lücken in der Laufstrecke hingenommen werden, dennoch wurde das Minimalziel von 3.000 km zurückgelegter Strecke auf den alten Inkastraßen erreicht. Gescheitert ist das Team an topographischen Schwierigkeiten und mangelnder Infrastruktur sowohl in den Schluchten der chilenischen Atacama-Wüste als auch in den tief eingeschnittenen Tälern der peruanischen Anden. Schluchten und Flüsse konnten mangels Brücken oder Straßen teilweise nicht durchquert werden und wurden umfahren. Die Gesamtlaufzeit für die knapp 3.000 km Inkastraße betrug 265 Stunden, was einer durchschnittlichen Laufgeschwindigkeit von 11 km/Stunde entspricht. Die maximale Laufgeschwindigkeit über eine Stunde lag auch in Höhen von über 3.500 m häufig bei 15 km/Stunde. Die absolut gelaufenen Gesamtkilometer des Teams liegen auf Grund von gemeinsam absolvierten Etappen sowie Umwegen bei ungefähr 3.500 km. Nach der Akklimatisationsphase befand sich das Team durchschnittlich auf einer Höhe von 3.750 m mit einer maximalen Höhe von 4.525 m. Nur in den ersten Tagen in der Höhe berichteten die Läufer von leichten Anpassungsproblemen, die jedoch bald verschwanden.

Rechnet man die durchschnittliche Laufgeschwindigkeit auf 24 Stunden hoch, so erzielte das Team eine theoretisch zurückgelegte Distanz von 264 km pro Tag. Berücksichtigt man die unter anderem auf den Pisten des bolivianischen Altiplano erzielte maximale Laufgeschwindigkeit von 15 km/Stunde, so zeigt sich, dass schon wenige gut trainierte Läufer ausreichen, um bei optimalen Bedingungen eine Nachricht 360 km pro Tag weit zu transportieren. Damit haben die Läufer der Inkastaffel, obwohl nicht seit Jahren an die Höhe angepasst, Laufgeschwindigkeiten erzielt, die sich mit den Angaben der spanischen Chronisten aus dem 16. und 17. Jahrhundert decken. Ein positives und so nicht zu erwartendes Ergebnis ist der gute körperliche Zustand der Läufer. Trotz des anstrengenden Tagesablaufes, bei dem die Transportzeit im Fahrzeug als zusätzlich sehr belastend empfunden wurde und der absolvierten Laufkilometer, klagte keiner der Läufer über Überlastungssyndrome oder musste eine Etappe vorzeitig beenden. Der gute körperliche Zustand der Läufer und der Höheneffekt spiegeln sich auch darin wieder, dass mehrere Läufer kurz nach Rückkehr aus Südamerika in Wettkämpfen Leistungen nahe der damaligen Bestzeit erzielen konnten.

Eine positive Rückmeldung über die erzielte Leistung erhielt das Team in der alten Inkahauptstadt Cusco, wo die Inkastaffel von der Deutschen Honorarkonsulin, Maria-Sophia Jürgens de Hermoza, und dem stellvertretenden Deutschen Botschafter in Peru, Dr. Dieter Lamlé, sowie von der peruanischen Presse beim Einlauf empfangen wurde. Für die sportliche Leistung und das Bemühen, die Geschichte der Inkastraßen und ihrer Boten in der Öffentlichkeit zu präsentieren, erhielt das Team vom Bürgermeister der Stadt Cusco in einem feierlichen Akt die Ehrenmedaille der Stadt Cusco.


Untersuchung des urinären Gesamtstickstoffes nach metabolischen Anpassungen

Das Element Stickstoff (N) kommt in der Natur in zwei verschiedenen Isotopen vor: "leichter Stickstoff 14N" mit einem Anteil von 99,63% und "schwerer Stickstoff 15N" mit einem Anteil von 0,34%. Aus dem Verhältnis der Mengen an 15N und 14N in einer Probe kann das Isotopenverhältnis δ15N berechnet werden, ausgedrückt in Promille (0/00) relativ zu dem Standard-Isotopenverhältnis von Luftstickstoff, welches mit δ15N = 0,0 0/00 definiert wird. In der Natur liegen in verschiedenen Kompartimenten auf Grund von masseabhängigen Isotopenfraktionierungen verschiedene Stickstoffisotopenverhältnisse (δ15N) vor. So steigen die δ15N-Werte entlang der Nahrungskette von Pflanzen zum Fleischfresser hin an (trophische Verschiebung). Aus diesem Grund unterscheiden sich beim Menschen die δ15N-Werte der zugeführten Nahrung von denen des körpereigenen Stickstoffes. Bei der Metabolisierung von Nahrungsstickstoff kommt es zu einer Anreicherung von schwerem Stickstoff im Körper, während der leichte Stickstoff bevorzugt ausgeschieden wird. Verändern sich die Anteile von körpereigenem und Nahrungsstickstoff im Stoffwechsel z.B. beim Fasten oder bei Krankheit, kommt es zu Verschiebungen in den Stickstoffisotopenverhältnissen einzelner Kompartimente im menschlichen Körper. Seit längerem ist bekannt, dass katabole und anabole Zustände des menschlichen oder tierischen Organismus mit Änderungen der Stickstoffisotopenverhältnisse verschiedener Kompartimente wie Haare oder Knochen einher gehen. So konnten beim Menschen Schwangerschaftsverläufe oder verschiedene Stadien bei Anorexia Nervosa und die daraus resultierenden Gewichtsänderungen retrospektiv durch die Analyse von Haaren nachvollzogen werden (FULLER ET AL. 2004, 2005). Ein klassisches Beispiel für einen katabolen Zustand sind die erhöhten Stickstoffisotopenverhältnisse der Aminosäuren von Knochenkollagen eines verhungerten Zebras, die drastische Unterschiede zu den Werten von lebenden Tieren aufweisen (HARE ET AL., 1991).

Extreme körperliche Belastungen können zu katabolen Zuständen führen. Im Rahmen der Inkastaffel sollte daher der Urin der Läufer über den Zeitraum des Staffellaufes hinsichtlich der Stickstoffisotopenverhältnisse untersucht werden. Es war zu erwarten, dass die hohe körperliche Belastung sowie die kurzen Regenerationszeiten zu einer sich akkumulierenden Belastung des Organismus führen würden. Während des Staffellaufes haben die Läufer bis zu 200 Kilometer pro Woche im Laufschritt zurückgelegt, was eine deutliche Steigerung gegenüber dem normalen Lauftraining in Deutschland bedeutet.

Im Rahmen des Projektes wurde von den Läufern alle ein bis drei Tage eine Urinprobe morgens nach dem Aufstehen gesammelt. Die Proben wurden in einer mobilen Kühlbox bei fünf Grad gelagert, nach Rückkehr in Köln wurden die Isotopenverhältnisse des urinären Gesamtstickstoffes per EA-IRMS (Elementaranalyse-Isotopenverhältnismassenspektrometrie) bestimmt. Es zeigte sich, dass die δ15N-Werte des von den Läufern ausgeschiedenen Gesamtstickstoffes in der zweiten Hälfte des Staffellaufes erhöht sind. Die Ergebnisse werden exemplarisch für einen der Läufer vorgestellt.

Der Läufer legte in den insgesamt 25 Tagen 570 km zurück. Die durchschnittliche Laufhöhe pro Tag lag nach der Akklimatisationswoche bei 3.621 m über NN. Auffallend sind die stark erhöhten δ15N-Werte in der zweiten Hälfte des Staffellaufes. In diesem Zeitraum waren die Läufer in den tief eingeschnittenen Tälern der peruanischen Anden unterwegs und sowohl das Laufen als auch die Transportzeit im Fahrzeug wurde von den Läufern als sehr belastend empfunden. Eine Erhöhung der δ15N-Werte um fast 3 0/00 entspricht einer trophischen Stufe und weist auf eine stark erhöhte Ausscheidung von körpereigenem Stickstoff hin. Von den Läufern wurden die Tagesabläufe bzw. gelaufenen Distanzen, die benötigte Zeit sowie Höhenangaben protokolliert. Die zur Verfügung stehenden Daten wurden mittels multipler linearer Regression ausgewertet. Es zeigte sich, dass im wesentlichen die Belastungsdauer und der erzielte Höhengewinn Einfluss auf die δ15N-Werte nehmen. Wurde jedoch eine gegebene Höhendifferenz mit relativ geringer Laufgeschwindigkeit absolviert, so fielen auch die δ15N-Werte niedriger aus. Diese Ergebnisse waren erstmalig der Hinweis darauf, dass sich die Stickstoffisotopenverhältnisse tatsächlich als Indikator für die Gesamtbelastung eignen könnten.

Im Rahmen der Arbeiten im Deutschen Forschungszentrum für Leistungssport an der Deutschen Sporthochschule Köln konnten diese belastungsinduzierte Veränderungen der Stickstoffisotopenverhältnisse inzwischen bestätigt werden.


Auswirkungen der Belastung und Höhenexposition auf die mesenchymalen Stammzellen

Ein weiterer Fokus der wissenschaftlichen Arbeiten im Rahmen der Inkastaffel lag auf der Betrachtung von Stammzellen. Hierbei war von Interesse, inwieweit die körperliche Belastung unter Höhenbedingungen zu einer Veränderungen der Eigenschaften von Stammzellen führt. Die meisten Zellen in unserem Körper sind für eine Funktion spezialisiert. So bauen Leberzellen Alkohol ab, Blutkörperchen transportieren Sauerstoff und verschiedene Muskelzelltypen verrichten Arbeit. Stammzellen haben keine solche fest definierte Funktion. Sie sind in der Lage, sich, je nach den Einflüssen des sie umgebenden Milieus, in verschiedene Zelltypen zu differenzieren. Man geht davon aus, dass sich Stammzellen in ihrer jeweiligen Nische ruhig verhalten und ortsständig bleiben. Wenn allerdings von einem verletzten oder entzündeten Gewebe Botenstoffe wie z.B. Zytokine freigesetzt werden, verlassen Stammzellen ihr Heimatgewebe, dringen in die Blutbahn ein und lassen sich zu den verletzten oder entzündeten Geweben leiten. Dort treten sie mit den Zielgeweben in Kontakt und differenzieren sich unter noch nicht näher geklärten Umständen zu neuen Zellen aus.

Eine Hauptquelle für Stammzellen ist das Knochenmark. Die hier vorkommenden Zellen lassen sich in zwei Gruppen einteilen, die sich im Hinblick auf ihre Differenzierungseigenschaften unterscheiden. Eine Gruppe bilden die hämatopoetischen Stammzellen, welche sich zu allen Zellformen des Blutes ausdifferenzieren können. Die zweite Gruppe sind die mesenchymalen Stammzellen (MSC), welche sich in eine Vielzahl von unterschiedlichen Zellen, z.B. Muskelzellen, Knochen- und Knorpelzellen, Fettzellen, Epithelzellen und Nervenzellen, umwandeln können. Aufgrund ihres enormen Differenzierungspotenzials standen hier die MSC im Mittelpunkt des Interesses.

Mesenchymale Stammzellen können allerdings nicht nur bei Verletzungen, sondern auch bei kurzfristigen körperlichen Belastungen im Minutenbereich zur Migration in die Blutbahn veranlasst werden (SCHMIDT ET AL. 2006). Im Rahmen der Inkastaffel sollte untersucht werden, inwieweit das Blutserum durch einen längeren Höhenaufenthalt und die körperliche Belastung dahin gehend konditioniert wird. Dazu wurde den Läufern drei Tage vor sowie vier und 35 Tage nach Beendigung des Laufes Blut entnommen. Um zwischen dem Einfluss der körperlichen Belastung und dem des Höhenaufenthaltes differenzieren zu können, wurden von den Mitgliedern des begleitenden Filmteams, das sich zwar in der Höhe aufhielt, aber körperlich nicht aktiv war, ebenfalls Blutproben entnommen.

Im Labor wurden anschließend Versuche zur migratorischen Aktivität der MSC durchgeführt. Hierbei wurden humane MSC für acht Stunden mit dem Serum der Läufer und des Filmteams inkubiert und anschließend die durch eine Membran gewanderten Zellen gezählt. Des Weiteren wurden noch zwei immunhistochemische Versuche durchgeführt, in denen die Eigenschaften der Zellen hinsichtlich Proliferation (Zellvermehrung) und Apoptose (programmierter Zelltod zum Abbau fehlgebildeter und überzählige Zellen) untersucht wurden.

Im Bezug auf die migratorische Aktivität der MSC ließen sich schon vor der Belastung größere Zellzahlen für die mit dem Läuferserum behandelten MSC im Vergleich zu denen des Filmteams nachweisen. Nach dem Staffellauf glichen sich die Zellzahlen an, 35 Tage nach dem Lauf war die Migration bei den Läufern erhöht. Es kann nun spekuliert werden, ob das Serum der Läufer bereits vor dem Höhenaufenthalt optimal konditioniert war oder ob die Belastung während des Staffellaufes zu groß war und die leicht abfallende Aktivität als Zeichen einer Überlastung gewertet werden kann. Dafür könnte sprechen, dass 35 Tage nach Beendigung des Laufes die migratorische Aktivität stark anstieg. Die Blutseren des Filmteams wurden durch den Höhenaufenthalt derart konditioniert, dass eine eindeutige Zunahme der migratorischen Aktivität auftrat, welche 35 Tage später allerdings schon fast wieder auf das Ausgangsniveau zurückgekehrt war.

In Bezug auf die Apoptose konnten direkt vor und nach dem Staffellauf keine unterschiedlichen Eigenschaften festgestellt werden. 35 Tage nach dem Lauf zeigten sich allerdings bei den Läufern im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant höhere Werte für Zellen mit Apoptosezeichen. Dies bedeutet nicht, dass die MSC schon im Knochenmark eine verstärkte Apoptoserate aufweisen. Vielmehr wurde das Blutserum durch den Höhenaufenthalt mit körperlicher Belastung derart konditioniert, dass es scheinbar zu einer verkürzten Lebensdauer der MSC im Blut kam.

Für den Einfluss des Höhenaufenthaltes und der Belastung auf die Proliferationseigenschaften wurde zu keinem Messzeitpunkt ein Unterschied, weder innerhalb der Gruppen noch zwischen den Gruppen, festgestellt.

Im Rahmen dieser Studie wurden zum ersten Mal die mittel- und langfristigen Auswirkungen eines Höhenaufenthaltes mit und ohne körperliche Belastung auf die migratorische Aktivität, die Proliferation und die Apoptose von MSC in vivo untersucht. Die Höhenexposition hat danach zu einer mittel- und langfristigen Konditionierung des Serums geführt. Die Aussagekraft dieser Studie ist allerdings durch die geringe Probandenzahl limitiert. Die Versuche mit den MSC wurden im Labor der Abteilung für Molekulare und Zelluläre Sportmedizin des Institutes für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule von Ellen Meinecke unter Betreuung von Dr. A. Schmidt und unter Leitung von Univ.-Prof. Dr. W. Bloch durchgeführt.

Literatur bei den Autoren.


Dr. Frank Hülsemann, geboren 1972 in Duisburg, studierte Chemie an der Universität zu Köln. Nach Abschluss des Studiums im Forschungszentrum Jülich wechselte er 2000 an das Institut für Biochemie der Deutschen Sporthochschule Köln, wo er die Arbeiten für seine Promotion am Institut für organische Chemie der Universität zu Köln durchführte. Sein Schwerpunkt ist die Analytik der Isotopenverhältnisse der stabilen Isotope der Bioelemente und deren Anwendung in der Sportwissenschaft und Dopinganalytik. Seit 1996 organisiert der ehemalige Mittel- und Langstreckenläufer des ASV Köln sportliche Projekte mit kulturhistorischem Hintergrund.

E-Mail: f.huelsemann@biochem.dshs-koeln.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Hermann Ulrich unterwegs auf der Inkastraße mit dem "Chasqui von Acolla".

Abb. 2: Boten von höherem und niederem Rang: hatun chasqui, Hauptbote: churu mullu chasqui, Bote der die Muscheltrompete trägt. Zeichnung aus den Chroniken Nueva corónica y buen gobierno von Guaman Poma [1615]. Digitalisiert durch die Königliche Bibliothek, Kopenhagen.

Abb. 3: Das Inkastaffel-Team nach 3.000 Kilometern entlang der alten Inkastraße.

Abb. 4: Ausdehnung des Inkareiches in Südamerika und Verlauf der Inkastraßen (braun). In rot die Laufstrecke der Inkastaffel. Der Bereich der gepunkteten Linie konnte nicht gelaufen werden und wurde mit dem Auto umfahren.

Abb. 5: Hermann Ulrich beim Lauf vor den Vulkanen des Andenhauptkammes.

Abb. 6: Eines der Begleitfahrzeuge hat sich im Salzschlamm des Salar de Uyuni festgefahren.

Abb. 7: Sven Schultz beim Lauf vorbei an den Vulkanen an der chilenisch-bolivianischen Grenze.

Abb. 8: Carsten von Kuk in den Hochlagen der peruanischen Anden.

Abb. 9: Das Inkastaffel-Team nach der Verleihung der Ehrenmedaille der Stadt Cusco durch den Bürgermeister.

Abb. 10: Schematische Darstellung der Grundlagen zur Verschiebung der Stickstoffisotopenverhältnisse im menschlichen Körper. Ein erhöhter Beitrag von Nahrungsstickstoff im Metabolismus führt zu niedrigeren δ15N-Werten des "Aminosäurepools" des Körpers, aus dem Harnstoff gebildet oder Strukturproteine wie Haar aufgebaut werden. Ein erhöhter Beitrag von körpereigenem Stickstoff führt zu einer Verschiebung der δ15N-Werte des "Aminosäurepools" zu höheren Werten.

Abb. 11: Belastungsdaten.

Abb. 12: Höhenprofil.

Abb. 13: Test der Läufer in der Höhenkammer des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik.

Abb. 14: Carsten von Kuk beim Lauf durch die Atacama, der trockensten Wüste der Welt.


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Quelle:
F.I.T.-Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Köln,
Nr. 1/2008 (13. Jahrgang), Seite 4 - 11
Herausgeber: Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski
Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln
Anschrift: Deutsche Sporthochschule Köln
Presse-, Informations- und Transferstelle
Am Sportpark Müngersdorf 6, 50933 Köln
Telefon: 0221/49 82-38 50, Fax: 0221/49 82-84 00
E-Mail: pressestelle@dshs-koeln.de
Internet: www.dshs-koeln.de

F.I.T. Wissenschaftsmagazin erscheint zweimal pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2008