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BERICHT/381: "Jeden Tag Schulsport" - Alltagstaugliche Aussage? (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

"Jeden Tag Schulsport"
Alltagstaugliche Aussage der Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt?

Von Dr. Klaus Balster, ehrenamtlicher Ressortleiter "Sportverein-Schule" der Sportjugend Nordrhein-Westfalen


(DOSB PRESSE) Zu Schulbeginn hat Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in einem Interview mit der WAZ auf die Frage "Reicht das Sportangebot an Schulen aus?" klipp und klar mit "nein" geantwortet. "Wir haben früher alle den Fehler gemacht, zu glauben, dass zwei Stunden Sport in der Woche genug seien. Optimal wäre, wenn Kinder jeden Morgen in der Schule erst einmal eine halbe Stunde Sport hätten. Das macht Kopf und Seele frei. Dann können sie sich besser konzentrieren. Studien zeigen, dass Kinder an Schulen, die jeden Morgen Sport anbieten, höhere Lernerfolge erzielen." Auch die heutige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2006 als CDU-Bundesvorsitzende im Jahrbuch 2005/2006 des damaligen DSB ihre Sorgen über die abnehmende körperliche Leistungsfähigkeit geäußert und gefordert: "Der Schulsport ist deshalb mit einem Mindestmaß an Wochenstunden in allen Stufen festzulegen und als gleichwertiges Unterrichts- und Ausbildungsfach in der schulischen Ausbildung anzuerkennen." Auch eine Vielzahl anderer bedeutsamer Politiker betont mittlerweile ähnliches.

Die Alltagstauglichkeit solch plakativer Aussagen muss sich aber noch überall zeigen. Eine politische Mehrheit gibt es dafür zurzeit noch nicht. Erst wenn die Aussagen wirklich in der schulischen Praxis angekommen sind und tatsächlich auch Notwendiges nachhaltig sichern, sind sie nützlich. Ich hoffe, dass die Aussagen von Frau Schmidt nicht im politischen Sommerloch verschwinden, sondern eine gesellschaftspolitische Bewegung auslösen, die dem Schulsport wirklich nützlich ist.

Darum wünsche ich mir von der Politik,

o dass sie sich selbst ernst nimmt. Ich erwarte, dass Interviewaussagen politischer Führungspersonen erst einmal ohne Ressentiments in den politischen Lagern geprüft werden. Diesem Thema haben sich alle ernsthaft zu stellen, damit sich Einsichten als Grundlage des Verstehens überhaupt bilden können. Erst auf dieser Grundlage lassen sich dann zukunftsweisende Entscheidungen treffen. Dieses ist erforderlich, weil zu viele politische Entscheidungsträger noch nicht empfängnisbereit für Wahrheiten sind. Die Interviewaussagen können ihnen helfen, wieder mehr Achtsamkeit für den Schulsport zu erhalten, damit sie Notwendiges wie die verschiedenen belegten Wirkqualitäten des Schulsports überhaupt erkennen und verstehen lernen.

o dass die Politik umfassenden Mut hat, denn Mut braucht man, um die Wahrheit nicht zu verlieren. Wenn ich etwas erwarte, muss ich zulassen, dass beispielsweise bei Verabredungen zur Weiterentwicklung des Schulsports Sportexperten aus der Sportverwaltung, Sportwissenschaft oder Partnerwissenschaften, aus dem organisierten Sport und den Berufsverbänden ohne politische Vorgaben und Einschränkungen ihre notwendigen, konkreten Umsetzungsmaßnahmen offen beschreiben dürfen. Empfehlungen wie beispielsweise "für die Primarstufe ist die tägliche Sportstunde wünschenswert" sind einfach zu unverbindlich und nicht zielführend beim aktuellen Kenntnisstand über die Wirkungen von Bewegung, Spiel und Sport bei unseren jungen Schulkindern und für eine gesunde Schule. Diese Empfehlung steht beispielsweise im Gegensatz zu dem aktuellen Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Vorbereitung eines Nationalen Aktionsplanes "Gesunde Ernährung und Bewegung - Schlüssel für mehr Lebensqualität". Hier wird ausdrücklich zur notwendigen Realisierung der Teilziele aufgefordert wie z.B. "in Schulen müssen ausreichend attraktive Bewegungsmöglichkeiten vorhanden sein".

o dass die Politik die Kraft hat, die sie eigentlich haben müsste, um eine Politik zum Wohle der Kinder voranzutreiben. D. h. wenn wissenschaftlich belegt ist, dass der Schulsport zum Lieblingsfach der Schülerinnen und Schüler gehört und ebenfalls durch Studien gestützt, Bewegung, Spiel und Sport der Motor einer gesunden Schule mit wesentlichem Wert für alle Fächer ist und dazu noch Schulleben stabilisiert, dann ist es einfach fahrlässig, immer noch nicht die seit Jahrzehnten geforderte, tägliche Sportstunde durch qualifiziertes Personal in angemessenen Räumlichkeiten als Regel installiert zu haben.

o dass die Politik wirklich verantwortlich handelt, denn politisch Verantwortliche sind nicht nur verantwortlich für das, was sie tun, sondern auch für das, was sie nicht tun. Beispielsweise kennt sie doch die alten Schwachstellen und Problemzonen des Schulsports, z. B. die hohe Zahl fachfremder Sport-Lehrkräfte in den Grund- und Förderschulen oder die nicht ausreichenden Schwimmsportmöglichkeiten, die zu einer stetigen Zunahme von Nicht-Schwimmern führen. Politik hat zu verantworten, dass auch konkrete Handlungsschritte statt Absichtserklärungen auf den Weg gebracht werden. Sie hat es vor allem zu verantworten, wenn der Art. 2.2 unseres Grundgesetzes "Recht auf körperliche Unversehrtheit" nicht überall erfüllt wird.

o dass die Politik auch ihrer Verlässlichkeit gerecht wird, indem sie zeitnah, mit nachhaltigem Engagement ihre Verabredungen einhält, z.B. erlebt die Fortschreibung eines verabredeten Aktionsprogramms in NRW zur "Zusammenarbeit Schule und Sportverein" zwischen Landesregierung und Landessportbund einen unverständlichen Stillstand.

Darüber hinaus sehe ich in dem Interview der Bundesgesundheitsministerin auch für jeden von uns eine Signalwirkung. Wer sich als Lobbyistin und Lobbyist für den Schulsport versteht, wird ermuntert, sich selbst zu fragen, was kann ich dazu beitragen, dass sich etwas verändert. Denn wer anderen immer einen Spiegel vorhält, der muss zuerst selbst hineinsehen. Wer etwas bewegen will, muss bei sich selbst anfangen, z.B. sich zu Wort melden, Vorschläge unterbreiten, Aufgaben der Mitgestaltung übernehmen. Wir sollten auch erkennen, dass bereits kleine Beiträge mithelfen, das Gesicht der Welt zu verändern. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass es das, was wir nicht selber machen, nicht geben wird.

Wenn die plakativen Aussagen der Bundesministerin zusätzliche Anstrengungen und damit verbunden eine gesellschaftspolitische Bewegung auslösen, soll es uns in den fachpolitischen Ressorts des Landessportbundes und der Sportjugend NRW nur recht sein. Wir standen und stehen jederzeit auch weiter als konstruktive Unterstützer und Partner des Schulsports für einen vertiefenden, fachpolitischen Dialog bereit.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 37 vom 10. September 2007, Seite 7-9
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2007