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BERICHT/359: Bodybuilder-Szene ist größter Doping-Nachfrager (DOSB)


DOSB Presse - Der Artikel- und Informationsdienst
des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

WADA-Studie: Bodybuilder-Szene ist weltweit der größte Doping-Nachfrager
Von Russland aus werden 20 Prozent aller illegalen Substanzen vertrieben

Von Holger Schück


Weltweit werden jedes Jahr etwa 700 Tonnen anaboler Steroide zu Dopingzwecken missbraucht, die von 15 Millionen Konsumenten nachgefragt werden. Zu diesem rechnerischen Ergebnis kommt der italienische Sportwissenschaftler Prof. Alessandro Donati in einem 107-seitigen Recherchebericht für die Welt-Antidoping-Agentur (WADA), der unter dem Titel "World Traffic in Doping Substances" (Welthandel mit Dopingsubtanzen) veröffentlicht wurde. Weiter heißt es, jährlich werde etwa eine halbe Tonne Testosteron für 1,5 Millionen User gehandelt. Allein 500.000 Menschen dopen sich nach Donatis Berechnungen mit dem Peptidhormon Erythropoietin (EPO). Für EPO und das Wachstumshormon würden insgesamt 34 Millionen Ampullen hergestellt und jährlich von etwa zwei Millionen Menschen nachgefragt. Darüber hinaus sollen neun Millionen Anwendungseinheiten anderer Dopingsubstanz auf dem Schwarzmarkt zirkulieren.

Donati schätzt, dass im Verbreitungsgebiet USA, Kanada, Australien, Westeuropa, Südafrika und einiger Staaten in Vorderasien (Bevölkerungsvolumen: 790 Millionen Einwohner) 15,5 Millionen Bürger mehr oder weniger regelmäßig Dopingpräparate anwenden. Dies seien etwas mehr als ein Prozent der Bevölkerung. Ob diese Zahlenangaben realistisch sind, ist nicht empirisch zu untermauern. Auf alle Fälle scheinen die Rechenschritte wissenschaftlich fundiert zu sein. Trotz dieser Studie bleibt vieles im Schattenfeld des Graumarkts Doping im Dunkeln.

Der italienische Wissenschaftler weist darauf hin, dass die biochemische Manipulation keine Belastung für den Spitzensport allein ist, sondern hiervon breite gesellschaftliche Kreise in allen Ländern betroffen sind. Hauptnachfrager sei die Szene der Bodybuilder, Fitnessstudiokunden, Türsteher und Bodyguards mit einem Gesamtanteil von 38 bis 40 Prozent aller Präparate. 35 bis 37 Prozent stellten Athleten und Sportler, wobei offen bleibt, wie ihr Anteil im organisierten Sport ist. Bei Militär und Polizei arbeiteten weltweit vier bis sechs Prozent der regelmäßigen Doper. Ein bis zwei Prozent der Kunden verdienten ihr Geld im Showbusiness, und 15 bis 20 Prozent aller Konsumenten sollen Dopingmittel aus anderen Gründen nehmen, etwa zur Behandlung von Krankheiten und wegen selbst empfundener körperlicher Defizite.

60 Prozent des weltweiten Dopingmittelumsatzes sollen über sechs Routen laufen. Die erste und wichtigste führe von Russland, von der Ukraine und von Litauen nach Westeuropa, Nordamerika und den Mittleren Osten und soll 20 Prozent des globalen Umsatzes umfassen. Route zwei, mit dem rückgehendem Anteil von derzeit sieben Prozent, habe ihren Ausgangspunkt in Thailand, in geringem Maße auch in Südkorea und Vietnam, mit den Endstationen Westeuropa, USA und Australien. Jede zehnte Dopinglieferung komme schon aus China und habe als Bestimmungsort Westeuropa oder Nordamerika. Ebenfalls zehn Prozent der globalen Produktion werde von Indien in die USA und in den Mittleren Osten befördert. Wegen der asiatischen Aufholjagd sei Griechenland mit den Zielen Westeuropa und Nordamerika auf etwa vier Prozent zurückgegangen. Illegale Labors aus Mexiko sollen den Umfang von fünf Prozent aller weltweit gehandelten Präparate in die USA, nach Kanada sowie Südamerika liefern.

Schon im März 2001 schrieb der Kriminologe Paddy Rawlinson (Universität von Wales), dass beim illegalen Dopingvertrieb die russische Mafia längst die klassischen Verbrecherbanden aus Italien und deren Ableger in den USA abgelöst hätten. Russische Gangster exportierten Substanzen, die in illegalen Labors auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, alle mit bemerkenswert hohem wissenschaftlichen Standard, produziert würden, über die baltischen Staaten und Finnland nach Skandinavien. Während eines Hearings im US-Kongress am 16. März 2004 erklärte ein Verantwortlicher der US-Drogenbehörde: "Russische, rumänische und griechische Bürger sind wichtige Händler für Steroide und sind verantwortlich dafür, dass Unmengen in die Vereinigten Staaten eingeführt werden." Ja, russische Banden sollen sogar Dopingmittel in die Länder verkaufen, aus deren Laboratorien sie ursprünglich stammten. Im November 2004 berichtete die "Prawda" davon, dass die russische Mafia mit mehreren internationalen Kriminellenorganisationen zusammenarbeite.

Die Doping-Verbrecherbanden in China und Indien sollen nach amtlichen Erkenntnissen von sehr mächtigen kriminellen Organisationen unterstützt werden, fasst Donati zusammen. Russische und chinesische Banden hätten ab der Jahrtausendwende verstärkt das Internet für den Vertrieb genutzt. Überhaupt sollen die neuen Kommunikationsstränge den Markt förmlich explodieren lassen. Für den Nutzer bestehe die Gefahr, dass die Präparate geringer konzentriert seien, ganz andere Inhalte enthielten und gefährlicher als konventionelle Substanzen aus der regulären Arzneimittelproduktion seien. Über das Internet seien auch pharmazeutische Konzerne in den Ländern aktiv, die keine umfassende Arzneimittelüberwachung haben, überwiegend aber die klassischen Dealer, die jetzt weitgehend über das Web handeln, statt den Direktverkauf abzuwickeln. Donati meint, genauso wie nationale und internationale Polizeibehörden durch Internetrecherchen die Machenschaften von Pädophilen erfolgreich verfolgt und eingegrenzt haben, sollte der Internethandel von Dopingmitteln durch gezielte Programme verschärft bekämpft werden.

Zwei weitere interessante Fakten aus der Studie: Im September 2006 veröffentlichte die britische Organisation Drug-Scope, 250.000 Einwohner des Vereinigten Königreichs seien regelmäßige Konsumenten von Dopingsubstanzen. Ermittelt wurde auch, dass zwar die Ausbreitung von Anabolika bei Jugendlichen niedriger als der Konsum von Cannabis und Amphetaminen sei, allerdings höher als der Gebrauch von Kokain und Heroin. Der bedeutendste europäische Fahndungserfolg wurde am 23. Juli 2002 gemeldet - die belgische Polizei beschlagnahmte 550 kg Hormonpräparate, die zumeist in Ampullen vorrätig waren, im Wert von 136 Millionen Euro Wert. Diese waren für den europaweiten Handel bestimmt.

Der illegale Verkauf von Drogen mit Wachstumshormon-Bestandteilen wird nach Donatis Recherchen von vielen Pharmakonzernen, aber auch von etlichen kriminellen Banden betrieben. Der weltweite Umsatz soll sich auf zwei Milliarden US-Dollar belaufen. Mindestens 30 Prozent würden für Dopingzwecke zweckentfremdet; dieser Anteil erscheint zu tief gegriffen. Dopingmittel der besseren Qualität würden in Deutschland (vor allem anabole Steroide), England, in den Niederlanden und den USA hergestellt und von dort aus vertrieben; sie sind sehr teuer.

Das im Sport grassierende EPO-Problem resultiere - so erläutert es Donati präzise - aus einer Überproduktion: Hergestellt werde fünf- bis sechsmal so viel, wie es für therapeutische Zwecke eigentlich benötigt wird. Deutlich sei dies geworden, als 1999 aus dem Lagerhaus eines Pharmaunternehmens in Nikosia/Zypern 4,65 Millionen EPO-Ampullen gestohlen wurden - für den Schwarzmarkt im Umfeld des Sports bestimmt, wie die Polizei herausfand. International sei dieser Vorfall nie untersucht worden, auch die Behörden der Insel hätten den Fall nicht aufgeklärt. Der Report stellt hierzu einige Fragen. Zum Beispiel: Warum wurde überhaupt eine so gewaltige Menge hergestellt? Sie sei schließlich größer, als Kranke europaweit in einem Jahr benötigen.

Wörtlich heißt es an anderer Stelle: "Nur wenige vorbildliche wissenschaftliche Organisationen und wenige Experten sind bereit, klar gegen den kritiklosen Verkauf von Dopingpräparaten Stellung zu beziehen, den einige Pharmaunternehmen aufgezogen haben, die diese Substanzen als hilfreiche Anwendung oder als Nahrungsergänzungsmittel anpreisen." Überhaupt ginge vom Missbrauch durch Doping ein gewaltiger volkswirtschaftlicher Schaden aus, der das Gesundheitssystem langfristig gravierend belasten kann. So wurde in den USA geschätzt: 100 Milliarden Dollar müssen jährlich für die medizinische Behandlung von erkrankten ehemaligen Dopern aufgebracht werden, während die Ausgaben der User auf 65 Milliarden Dollar zu beziffern sind.

Donati beklagt, der Weltdrogenreport und die Jahresberichte der meisten europäischen Staaten über den Missbrauch von verbotenen Substanzen listeten lediglich narkotische Drogen auf. Deshalb konnte er sich bei seiner Fleißarbeit fast ausschließlich auf Internetrecherchen im englischsprachigen Sprachraum beziehen. Der Sportwissenschaftler, ein weltweit anerkannter Antidopingkämpfer mit hohem moralischen Anspruch, schreibt deshalb etwas defizitär: Deutschland habe kein Antidoping-Gesetz, weil parlamentarische Initiativen hierzu von Sportfunktionären verhindert worden seien. Niemand denke in Deutschland daran, die öffentliche Gesundheit vor den großen Risiken des Dopens zu schützen - gerade dieser Einschätzung muss widersprochen werden. Wiederum richtig ist seine Feststellung, dass auch von Deutschland aus Dopingmittel illegal exportiert werden. Der Appell an den Staat, er sollte die pharmakologische Produktion dieser Substanzen regulieren, ist nach wie vor aktuell.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 17 vom 24. April 2007, DOKUMENTATION I-III, Seite 23-27
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2007