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PROFI/682: Halbschwergewicht - Favoritensturz ... (SB)



Eleider Alvarez entthront Sergej Kowaljow

Eleider Alvarez ist neuer WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht. Der gebürtige Kolumbianer setzte sich in Atlantic City überraschend gegen den favorisierten Russen Sergej Kowaljow durch, der sich nach drei Niederschlägen in der siebten Runde geschlagen geben mußte. Während Alvarez damit in 24 Auftritten unbezwungen ist, stehen für Kowaljow nun 32 Siege und drei Niederlagen zu Buche. Für einen Boxer, der lange als führender Akteur seiner Gewichtsklasse galt, ist dies ein bitterer Rückschlag, da er sich nun endgültig auf dem absteigenden Ast seiner vordem glanzvollen Karriere befinden dürfte.

Der 35jährige Russe lag bei seinem Auftritt vor rund 5600 Zuschauern im Hard Rock Hotel, der vom Sender HBO übertragen wurde, bei allen drei Punktrichtern in Führung, als ihn das Schicksal ereilte. Der ein Jahr jüngere Herausforderer schickte ihn mit einer perfekten Zweierkombination auf die Bretter. Kowaljow kam wieder auf die Beine, doch statt zu klammern, um sich zu erholen, zog er den direkten Schlagabtausch vor, was ihm zum Verhängnis wurde. Alvarez schlug ihn abermals nieder, und nachdem sich der Titelverteidiger noch einmal aufgerafft hatte, landete er unter den Schlägen des Gegners ein drittes Mal auf der Matte. Nun blieb Ringrichter David Fields keine andere Wahl, als den Kampf nach 2:45 Minuten der siebten Runde für beendet zu erklären.

Dabei hatte Kowaljow sechs Runden lang eine gute Vorstellung geboten und dank seines ausgezeichneten Jabs sowie einer wuchtig geschlagenen Rechten aus der Distanz dominiert. Alvarez hielt sich zurück und schien auf den günstigen Zeitpunkt zu warten, sein Potential mit aller Macht zu entfalten. Da der Russe bei seinen beiden Niederlagen in den Prestigekämpfen gegen Andre Ward nach sechs Runden gravierende Konditionsprobleme bekommen und nicht zuletzt deshalb verloren hatte, nahm Alvarez dies offenbar als Blaupause für seine taktische Marschroute. Er machte sechs Runden nicht einmal den Versuch, Kowaljow entschieden nachzusetzen, wenn sich eine Gelegenheit dafür zu bieten schien. Nachdem ihm aber der erste Niederschlag gelungen war, zögerte er keine Sekunde, sofort nachzulegen und dem Russen keine Chance zu lassen, sich in die Pause zu retten.

Sergej Kowaljow wird die vertraglich vereinbarte Option einer Revanche sicher wahrnehmen, da seine Alternativen nach dieser Niederlage wenig aussichtsreich sind. In der Verfassung von Atlantic City würde er gegen die Weltmeister Adonis Stevenson (WBC), Dimitri Biwol (WBA) oder Artur Beterbijew (IBF) kein Land sehen, da seine konditionellen Probleme offenbar dauerhafter Natur sind. Ob Alvarez sich ihm sofort zum Rückkampf stellen oder zunächst einen anderen Gegner vorziehen wird, ist natürlich ungewiß. Da in der Rangliste der WBO jedoch kaum weitere Akteure zu finden sind, mit denen er eine Menge Geld verdienen könnte, spricht vieles für eine baldige Revanche, zumal das Interesse des Publikums nach dem sensationell anmutenden Verlauf des Kampfs im Hard Rock Hotel gestiegen sein dürfte. [1]

Der erste bedeutende Kampf in der früheren Boxhochburg Atlantik City seit November 2014 erwies sich für Sergej Kowaljow also als eine desaströse Wiederkehr. Damals war er durch einen Sieg über Bernard Hopkins in der traditionsreichen Boardwalk Hall zum Weltmeister dreier Verbände im Halbschwergewicht aufgestiegen. Eleider Alvarez, der 2008 für Kolumbien an den Olympischen Spielen in Beijing teilgenommen hatte und 2009 ins Profilager gewechselt war, hat sich endlich seinen langgehegten Traum erfüllt. Er war 2015 durch einen Punktsieg gegen Isaac Chilemba neuer Pflichtherausforderer beim WBC geworden, doch dessen Weltmeister Adonis Stevenson ging ihm ein ums andere Mal aus dem Weg. Als dann im April Kowaljows ursprünglich vorgesehener Gegner Marcus Browne aufgrund einer Festnahme wegen häuslicher Gewalt für Promoterin Kathy Duva nicht mehr in Frage kam, sagte Alvarez sofort zu, als ihm anstelle des Australiers ein Kampf gegen Kowaljow angeboten wurde.

Ein könne mit Worten nicht beschreiben, wie glücklich er sei, erklärte Alvarez nach seinem spektakulären Triumph. Er danke all seinen Fans in Kanada und Kolumbien, denen er diesen Sieg widme. Er habe diese spezielle Zweierkombination seit Jahren praktiziert und nun im Trainingslager vor dem Kampf perfektioniert. Jetzt sei er bereit, sich mit den gefährlichsten Rivalen der Gewichtsklasse zu messen. Wie man dazu wissen muß, war der neue WBO-Champion bislang nicht für eine besonders ausgeprägte Schlagwirkung bekannt. Viel eher hätte man Kowaljow zugetraut, das Duell vorzeitig zu beenden.

Der Russe wurde nach seiner Niederlage sicherheitshalber im Krankenhaus untersucht, ist aber eigenen Angaben zufolge wieder in guter Verfassung. Wie seine Promoterin Kathy Duva durchblicken ließ, sei sie noch nicht sicher, ob eine sofortige Revanche die beste Wahl wäre. Sergej habe nach sechs Runden klar geführt, doch sei ihr der Kampf gegen Andre Ward nicht aus dem Kopf gegangen. Sie habe noch zu Kowaljows Manager Egis Klimas gesagt, daß sie sich erst entspannen könne, wenn die nächste Runde genauso verlaufe wie alle zuvor. Ohne die Leistung des Herausforderers in Abrede zu stellen, sei doch Sergej abermals nach der Hälfte des Kampfs die Luft ausgegangen.

Nachdem Kowaljow aufgrund der umstrittenen Niederlage gegen Andre Ward im November 2016 seine drei Titel verloren hatte und bei der Revanche im Juni 2017 sogar in der achten Runde geschlagen auf den Bretter gelandet war, trennte er sich von seinem langjährigen Trainer John David Jackson verpflichtete statt dessen Abror Tursunpulatow. Als Ward die Titel niedergelegt und seine Karriere beendet hatte, holte sich der Russe zumindest den vakanten Gürtel der WBO im November 2017 zurück, indem er kurzen Prozeß mit Wjatscheslaw Schabranskij machte. Im März 2018 setzte er sich dann vorzeitig gegen Igor Michalkin durch, doch war angesichts dieser beiden vergleichsweise schwachen Gegner ungewiß, wie gut Kowaljow die Zäsur der beiden Niederlagen gegen Ward verkraftet hatte. [2]

Bei Main Event war man guten Mutes und hatte bereits Pläne geschmiedet, im Dezember gegen Dimitri Biwol anzutreten, um die Titel der WBA und WBO zusammenzuführen. Kowaljows 27jähriger Landsmann war einverstanden und setzte sich in Atlantic City im Vorprogramm einstimmig nach Punkten gegen Isaac Chilemba durch. So schien alles nach Plan zu verlaufen, bis Alvarez in der siebten Runde einen dicken Strich durch die Rechnung machte.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/08/eleider-alvarez-vs-sergey-kovalev-results/#more-268196

[2] www.espn.com/boxing/story/_/id/24288462/eleider-alvarez-defeats-sergey-kovalev-knockout-wins-light-heavyweight-title

5. August 2018


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