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PROFI/673: Mittelgewicht - wie vom Zug überrollt ... (SB)



Gennadi Golowkin macht kurzen Prozeß mit Vanes Martirosian

"Es fühlte sich an, als sei ich vor einen Zug gelaufen", beschrieb Vanes Martirosian seine Begegnung mit Gennadi Golowkin. "Es war nicht ein einzelner Treffer, sondern die Summe seiner Schläge - die härtesten, die ich je verspürt habe." Der als Außenseiter gehandelte Herausforderer gab sein Bestes, um der Übermacht des Weltmeisters standzuhalten, doch bereits in der zweiten Runde lag er nach fünf Volltreffern des Kasachen geschlagen am Boden. Nach dem Ausfall des aufgrund einer Dopingsperre verhinderten Saul "Canelo" Alvarez kurzfristig verpflichtet, ging der Armenier vor 7.837 Zuschauern im StubHub Center in Carson mutig in die Offensive, um die Chance seines Lebens zu nutzen, doch lief er dabei ins offene Messer. Golowkin bleibt der gegenwärtig am längsten amtierende Champion und baute seine Bilanz auf 38 Siege sowie ein Unentschieden aus. Mit 20 erfolgreichen Titelverteidigungen in Folge liegt der 35jährige nun im Mittelgewicht gleichauf mit Bernard Hopkins, der diese Rekordmarke 2005 erreichte.

Der 31 Jahre alte Martirosian hatte in der Vergangenheit bereits zweimal um die Weltmeisterschaft gekämpft, aber seit zwei Jahren nicht mehr im Ring gestanden. Zudem stieg er aus dem Halbmittelgewicht auf, was aber insofern ohne Belang war, als der Kasache nur unwesentlich mehr Gewicht auf die Waage brachte. Golowkin und sein Promoter Tom Loeffler wurden scharf für die Wahl dieses Gegners kritisiert. Der Verband IBF ging sogar so weit, dem Herausforderer die Anerkennung zu verweigern, weshalb dieser Titel nicht auf dem Spiel stand. Loeffler hatte jedoch nach dem Ausfall "Canelos" kaum eine andere Wahl, als unter beträchtlicher Mühe eine Notlösung zu finden, und so einigte er sich schließlich mit Martirosians Promoter Don King. Statt in Las Vegas gegen Saul Alvarez kämpfte der Champion der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO im kalifornischen Carson, wo der in Santa Monica lebende Kasache eine große Fangemeinde hat. Anhänger konnte auch sein Gegner mobilisieren, der im nahegelegenen Glendale zu Hause ist. Da der Sender HBO den Kampf mit einem wesentlich kleineren Budget als ursprünglich vorgesehen planen mußte und Golowkin eine Million Dollar erhielt, lag Martirosian mit einer Börse von 225.000 Dollar im Bereich des finanziell Möglichen. Entscheidend in diesem letztlich ungleichen Duell war jedoch nicht Unvermögen oder mangelnde Entschlossenheit des in guter Form angetretenen Herausforderers, sondern die Wucht der Schläge des Weltmeisters, die Martirosian überwältigte. Für ihn stehen nun 36 Siege, vier Niederlage und ein Unentschieden zu Buche.

Wenngleich sich Golowkins Jab abermals als wirksame Waffe erwies, um den Gegner aus der Distanz zu kontrollieren, ließ sich der Herausforderer wie angekündigt keineswegs überrollen, sondern bewegte sich umher, klammerte und stellte sich phasenweise sogar dem Schlagabtausch. Er konnte die erste Runde zu seinen Gunsten gestalten, da er den Favoriten kurz vor der Pause mit zwei kräftigen Schlägen traf. Der Kasache wähnte sich in dieser Szene offenbar außer Reichweite des Kontrahenten, der ihn jedoch plötzlich mit der Rechten traf und sofort mit einem harten linken Haken nachlegte. Golowkin wirkte überrascht und fast peinlich berührt, als er nach dem Gong in seine Ecke zurückkehrte. Dort wies ihn sein Trainer Abel Sanchez an, sich zu entspannen, nicht nur auf Einzeltreffer zu setzen, sondern Kombinationen zu schlagen. [1]

In der zweiten Runde schlug der Kasache wuchtiger zu und schien alles in jeden einzelnen Schlag zu legen. Martirosian wich nun weniger aus, was ihm zum Verhängnis wurde. Er ging nach einem Treffer zu Boden, was Ringrichter Jack Reiss jedoch als Ausrutschen einstufte. Dann entging der Armenier gerade noch einem Uppercut, worauf ihn Golowkin in die Seile trieb und ihm dort eine Kombination von fünf gewaltigen Treffern versetzte. Der Herausforderer sank bereits auf ein Knie, als ihn der letzte Schlag vornüber auf die Matte schickte. Er versuchte zwar, sich wieder aufzuraffen, fiel aber wieder mit dem Gesicht voran zu Boden, worauf der Referee den Kampf nach 1:53 Minuten der Runde für beendet erklärte. [2]

Es fühle sich großartig an, einen solchen Niederschlag herbeizuführen, freute sich Golowkin nach diesem Erfolg, der seine Kritiker widerlegte, die ihm schwindendes Können unterstellt hatten. Der Kasache hatte zuletzt vorzeitig gewonnen, als er Kell Brook im September 2016 in der fünften Runde in die Aufgabe zwang. Dann folgte ein Punktsieg gegen Daniel Jacobs, bei dem seine lange K.o.-Serie endete, die 2008 begonnen hatte. Golowkin boxte dabei aus der Distanz und drängte nicht auf einen Niederschlag, was auch für seinen Kampf gegen Saul "Canelo" Alvarez im September galt, der mit einem umstrittenen Unentschieden endete, das ein Geschenk der Punktrichter an den Mexikaner war. Der schnelle Sieg über Martirosian glich nicht zuletzt einer Botschaft an "Canelo", was ihm bei der Revanche im Herbst drohen könnte, sofern die Golden Boy Promotions keinen Rückzieher von ihrer Zusage machen, um ihren prominentesten Akteur vor dem Kasachen zu schützen. Jüngste Äußerungen von Eric Gomez lassen darauf schließen, daß Saul Alvarez auf ein weniger gefährliches Gleis gelenkt werden soll. [3]

Wie Golowkin nach seinem Kampf im Gespräch mit HBO sagte, scheue er keinen Gegner, ohne einen bestimmten beim Namen zu nennen. Er sei nun seit neun Jahren Weltmeister und habe viele Gürtel. Wer immer ihm die Titel abnehmen wolle, solle nur kommen. Will er seinen IBF-Titel behalten, muß er ihn auf Beschluß des Verbands bis spätestens 3. August gegen den Pflichtherausforderer Sergej Derevjantschenko verteidigen. Das würde jedoch bedeuten, im Sommer einen möglicherweise strapaziösen Kampf auszutragen und schon am 15. September zur Revanche mit "Canelo" in den Ring zurückzukehren. Vor wenigen Tagen schätzte der Kasache die Chance als sehr gering ein, daß es zu einem zweiten Aufeinandertreffen mit Alvarez kommen wird.

"Canelos" Promoter wird zweifellos darauf bestehen, daß der Mexikaner abermals der Löwenanteil einstreichen kann, da er nach wie die eigentliche Zugnummer sei. Dem dürfte Golowkins Team entgegnen, daß die Dopingsperre dem Ruf "Canelos" sehr geschadet und der Kampfverlauf im letzten September die tatsächlichen Kräfteverhältnisse offengelegt habe. Letzten Endes sitzt der Kasache nach wie vor am kürzeren Hebel und muß zurückstecken, um den trotz solcher Einbußen immer noch lukrativen Auftritt zu bekommen. Ihm liegt sehr viel daran, ein für allemal klarzustellen, wem die Führung im Mittelgewicht zusteht. Ob auch die Gegenseite zu dieser Klärung bereit ist, bleibt vorerst offen. Vermutlich wälzt "Canelos" Promoter längst Pläne, ob man zum mexikanischen Feiertag Mitte September lieber David Lemieux oder Gary O'Sullivan präsentierten sollte, da nichts schlimmer als ein Debakel im Kampf gegen Gennadi Golowkin sein könnte. Saul Alvarez wäre auch im Falle einer Niederlage keineswegs verbrannt, wohl aber sein über die Jahre sorgsam gepflegter Nimbus als Superstar dieser Gewichtsregion.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/05/martirosyan-in-awe-of-gggs-power-its-the-hardest-ive-ever-been-hit/#more-262440

[2] www.boxingnews24.com/2018/05/golovkin-destroys-martirosyan-results/#more-262432

[3] www.espn.com/boxing/story/_/id/23418556/gennady-golovkin-knocks-vanes-martirosyan-stubhub-center

6. Mai 2018


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