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PROFI/669: Halbweltergewicht - Seite an Seite mit Legenden ... (SB)



Mikey Garcia ist Weltmeister in der vierten Gewichtsklasse

Mikey Garcia ist Weltmeister in der vierten Gewichtsklasse geworden. Nachdem der 30jährige Kalifornier aus Oxnard bereits Titel im Federgewicht (WBO), Superfedergewicht (WBO) und Leichtgewicht (WBC) gewonnen hatte, sicherte er sich nun im texanischen San Antonio durch einen einstimmigen Punktsieg über den zwei Jahre jüngeren Russen Sergej Lipinets auch den Gürtel der IBF im Halbweltergewicht. Während Garcia damit in 38 Auftritten ungeschlagen ist, mußte sein Gegner nach dreizehn Siegen die erste Niederlage einstecken. Dieser hatte den Titel am 4. November 2017 durch einen Sieg über den Japaner Akihiro Kondo im Barclays Center in Brooklyn gewonnen und mußte ihn nun bereits bei der ersten Verteidigung schon wieder einem anderen Akteur überlassen.

Wenngleich das Ergebnis (116:111, 117:110, 117:110) eindeutig für Mikey Garcia sprach, hatte der klare Favorit im Freeman Coliseum doch erheblich größere Probleme als erwartet. Er war zwar schneller und technisch versierter als der Titelverteidiger, der jedoch beherzt auf ihn losmarschierte, Druck machte und härter schlug. Da etliche Runden nahezu ausgeglichen verliefen, hätte der insgesamt verdiente Vorsprung des Herausforderers auf den Zetteln der Punktrichter durchaus knapper ausfallen können. Lipinets erwies sich als zäher Kontrahent, der sich von der Prominenz seines Gegners nicht einschüchtern ließ.

Einer der Höhepunkte des durchweg attraktiven und anspruchsvollen Kampfs bahnte sich in der siebten Runde an, als der Russe in einen Konter Garcias lief. Sofort kam es zu einem heftigen Schlagabtausch, in dessen Verlauf der robuste Lipinets nach einem linken Haken des Herausforderers erstmals in seiner Karriere zu Boden ging. Er war jedoch umgehend wieder auf den Beinen und bot dem Gegner Paroli, obgleich er noch mehrere wuchtige Schläge Garcias verkraften mußte. Das turbulente Geschehen setzte sich fort, da die Kontrahenten so gut wie keine Pause einlegten und einander selbst in der zwölften Runde noch mit heftigen Treffern beharkten. Der Herausforderer stellte dabei beste Nehmerqualitäten unter Beweis, da ihn nichts zu erschüttern vermochte, was der Russe auf ihn abfeuerte. [1]

Nach zwölf spannenden Runde behielt Mikey Garcia zu Recht die Oberhand, wenngleich man ihm ankreiden kann, nicht häufig genug geschlagen und zu sehr auf seine überlegene Bewegungsweise gesetzt zu haben. Laut der Statistik von CompuBox hatte Garcia von 679 Schlägen 169 ins Ziel gebracht (25 Prozent), während Lipinets bei 506 Versuchen 144 Treffer landen konnte (28 Prozent). In einer ersten Stellungnahme nach seiner Niederlage zollte der Russe dem technisch und taktisch souveränen Auftritt des Herausforderers Respekt, der ein großartiger Boxer und ihm an Erfahrung weit überlegen sei.

Umgekehrt lobte auch Garcia den Gegner, der wie erwartet sehr zäh, entschlossen und hungrig geboxt habe. Da Lipinets ein starker Kämpfer sei, habe er ihn mit wechselnden Vektoren, behender Beinarbeit und einem konsequenten Jab in Schach gehalten. Angesichts der Gefährlichkeit des Russen habe man sehr umsichtig zu Werke gehen müssen, doch unter dem Strich sei die Taktik voll und ganz aufgegangen. Mikey Garcia ist nach Manny Pacquiao und Juan Manuel Marquez erst der dritte Akteur in der Geschichte des modernen Boxsports, dem das Kunststück gelungen ist, in den genannten vier Gewichtsklassen Weltmeister zu werden. Es sei eine große Ehre für ihn, künftig gemeinsam mit diesen beiden Legenden genannt zu werden, sagte er im Gespräch mit Jim Gray vom Sender Showtime, der den Kampf übertragen hatte. Dies sei ein sehr bewegender Augenblick und er empfinde tiefe Dankbarkeit für alles, was ihm derzeit widerfahre. [2]

Da Garcia nach wie vor den WBC-Titel im Leichtgewicht hält, wird er nach seinem Ausflug ins Halbweltergewicht wohl wie angekündigt wieder dorthin zurückkehren. Daß er sich auch im höheren Limits gegen hochklassige Gegner durchsetzen kann, hatte er bereits am 29. Juli im Barclays Center mit seinem vielbeachteten Sieg im Prestigekampf gegen Adrien Broner, ehemals Champion in vier Gewichtsklassen bis hinauf zum Weltergewicht, unter Beweis gestellt. So verständlich das Ansinnen leichterer Boxer sein mag, womöglich bis ins prominent besetzte Weltergewicht aufzusteigen und dort hochdotierte Auftritte zu bekommen, läßt sich die frühere Wirkung nicht zwangsläufig auch unter veränderten körperlichen Verhältnissen erzielen. Broner war damals an den heftigen Schlägen des Argentiniers Marcos Maidana gescheitert, denen er keine entsprechende Wirkung entgegensetzen konnte.

Auch im Falle Mikey Garcias zeichnet sich ab, daß er im Halbweltergewicht nicht so wirksam wie im Leichtgewicht agieren kann. Ähnlich wie vordem Floyd Mayweather versteht es auch der Kalifornier ausgezeichnet, sich die passenden Gegner auszusuchen. Es sind keineswegs schwache Kontrahenten, doch wie schon bei Adrien Broner namhafte Rivalen, die Garcia gründlich studiert hat und für besiegbar erachtet. Das galt um so mehr für Sergej Lipinets, den schwächsten und unbeweglichsten der Weltmeister im Halbweltergewicht. Der Russe ist keinesfalls der beste Boxer in diesem Limit, sondern vielleicht an Nummer fünf einzustufen. Daß er Garcia beträchtliche Probleme bereitete, sollte als Warnsignal wahrgenommen werden, welche Gefahr in diesem Limit droht.

Als namhaftester Rivale wartet im Leichtgewicht Wassyl Lomatschenko auf ihn, dem Mikey Garcia jedoch vermutlich aus dem Weg gehen wird. Dieser wollte sich eigentlich nach seiner Rückkehr aus der höheren Gewichtsklasse mit dem WBA-Weltmeister Jorge Linares messen, um ihre beiden Titel in seinen Händen zusammenzuführen. Er kommt jedoch vermutlich zu spät, da ein Kampf zwischen Linares und Lomatschenko für den 12. Mai in Arbeit ist. Sollte er stattfinden, dürfte der Ukrainer als Sieger daraus hervorgehen, da er genau wie Garcia als meisterhafter Techniker im Ring und einziger Akteur im Leichtgewicht gilt, der dem Kalifornier das Wasser reichen kann. So drängend Fangemeinde und Experten ein Duell zwischen Mikey Garcia und Wassyl Lomatschenko als ultimative Nagelprobe in dieser Gewichtsregion einfordern mögen, werden es sich die beiden Lager sicher dreimal überlegen, ob sie ihren Nimbus und Siegeszug dabei aufs Spiel setzen wollen.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2018/03/mikey-garcia-vs-sergey-lipinets-results/#more-258954

[2] www.boxingscene.com/mikey-garcia-drops-decisions-sergey-lipinets-results--126108

11. März 2018


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