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PROFI/665: Der Ausflug nach Kanada hat sich gelohnt (SB)



Billy Joe Saunders dominiert David Lemieux auf ganzer Linie

Billy Joe Saunders hat nicht nur den Titel der WBO im Mittelgewicht erfolgreich verteidigt, sondern zugleich dem Herausforderer David Lemieux eine regelrechte Lektion erteilt. Obgleich der 28jährige Brite in Laval vor den Toren Montreals antrat, wies er den gleichaltrigen kanadischen Lokalmatador vor dessen Heimpublikum mit einer beachtlichen Leistung in die Schranken und behielt nach zwölf Runden einstimmig nach Punkten die Oberhand. Benoit Roussel sah den Weltmeister durchweg in Front (120:108), Phil Edwards (118:110) und Gerardo Martinez (117:111) fanden erstaunlicherweise Runden, die sie dem Herausforderer gutschreiben konnten. Harold Lederman vom übertragenden Sender HBO wie auch die Experten von ESPN.com und Boxing News 24 gaben die inoffizielle Wertung 120:108 ab.

Der nunmehr in 26 Auftritten ungeschlagene Saunders widerlegte seine Kritiker, die in ihm eine mehr oder minder leichte Beute gesehen hatten. Lemieux, für den jetzt 38 Siege und vier Niederlagen zu Buche stehen, wirft dieser unverhoffte Rückschlag weit zurück. Der frühere Weltmeister der IBF zählte bislang zu den gefährlichsten Akteuren im Mittelgewicht und hatte sich Hoffnungen gemacht, mit dem WBO-Gürtel gegen Gennadi Golowkin oder Saul "Canelo" Alvarez antreten zu können. An seiner Stelle schickt sich nun der Brite an, in einem hoch dotierten Kampf um die Vorherrschaft in dieser Gewichtsklasse zu boxen.

In der Rechtsauslage kämpfend eröffnete Saunders das Gefecht mit einem wohlgefüllten Arsenal technischer Fertigkeiten und sicherte sich problemlos die erste Runde. Da niemand erwartet hatte, daß Lemieux diesbezüglich mithalten könnte, und man davon ausging, daß er den Gegner früher oder später mit einem Volltreffer von den Beinen holen würde, feuerten die Zuschauer unbesorgt ihren Favoriten an. Wie sich jedoch zu ihrem Entsetzen herausstellen sollte, kam der Lokalmatador nie auch nur in die Nähe, einen wuchtigen Schlag ins Ziel zu bringen. Der Brite schien derart zuversichtlich zu sein, daß er bereits im zweiten Durchgang einen Shuffle einlegte, worauf er den Kontrahenten nicht nur ausmanövrierte, sondern auch mehrfach mit seiner linken Schlaghand traf.

Runde für Runde spielte Saunders mit Lemieux, der immer verwirrter und frustrierter aussah, da er schlichtweg zu unbeweglich auf den Füßen und zu langsam bei seinen Schlägen war. Der Brite traf und wich dem Konter behende aus, so daß der Kanadier lediglich Löcher in die Luft schlug. Auch in der zweiten Hälfte des Kampfs ließ Saunders ganz im Gegensatz zu seinen früheren Auftritten keine Konditionsschwäche erkennen. Er boxte den Gegner nicht nur konsequent aus, sondern traf ihn nun immer härter, so daß das Gesicht des Kanadiers inzwischen deutlich gezeichnet war. Lemieux wußte sich nicht anders zu helfen, als Saunders weiter zu verfolgen und auf einen Glückstreffer zu hoffen, der ihm jedoch nicht gelang.

Sein Trainer Marc Ramsay wußte natürlich, wie nah der Untergang war, und flehte seinen Boxer nach der zehnten Runde an, nicht aufzugeben. Lemieux kämpfte weiter und machte Druck, kam aber mit seinen Schlägen einfach nicht zum Zuge. Das Publikum ließ ihn nicht im Stich und richtete seinen Unmut gegen den Weltmeister, der beständig geschickt auswich und nie zum offenen Schlagabtausch stehenblieb. Doch es half alles nichts - der Lokalmatador fand kein Mittel, den Gegner zu stellen, und wurde bis zum Schlußgong von Saunders vorgeführt. Laut der Statistik von CompuBox hatte der Brite 165 von 430 Schlägen ins Ziel gebracht (38 Prozent), während dem Kanadier bei 356 Versuchen lediglich 67 Treffer gelangen (19 Prozent). Auch diese Zählung bilanziert einen enormen Unterschied in der Trefferquote.

Wie der Sieger im anschließenden Interview unterstrich, wäre er nie nach Kanada gekommen, hätte er mit einer Abreibung gerechnet. Als er gemerkt habe, wie leicht er den Gegner treffen konnte, sei er drauf und dran gewesen, sich auf ihn zu stürzen. Sein Trainer habe ihn jedoch energisch ermahnt, die Ruhe zu bewahren und sich Zeit zu lassen. Nun könne Golowkin kommen und ebenfalls Löcher in die Luft schlagen, drohte Saunders im Hochgefühl des Triumphs seinem angeblichen Wunschgegner.

David Lemieux räumte unumwunden ein, nicht sein Bestes gegeben zu haben. Er habe sich allerdings in der zweiten Runde an der linken Hand verletzt, die danach nicht mehr brauchbar gewesen sei, um wirksam zu schlagen. Er habe Probleme gehabt, seine Schläge ins Ziel zu bringen, da Saunders den ganzen Abend weggelaufen sei. Wenn das die Art und Weise sei, wie der Brite gewinnen wolle, müsse er ihm eben dazu gratulieren.

So sehr man die Enttäuschung des Kanadiers verstehen kann, nicht zum Zuge gekommen zu sein, trifft es doch nicht zu, daß der Weltmeister ausschließlich weggelaufen wäre. Saunders wich geschickt aus, arbeitete mit dem Jab und schlug gefährlicher als Lemieux, der einfach zu langsam war. Nachdem die Kontrahenten einander im Vorfeld heftige Wortgefechte geliefert hatten, war es im Ring ausschließlich der Brite, der den üblen Worten auch Taten folgen lassen konnte.

Saunders, der bei seiner dritten Titelverteidigung zum ersten Mal in seiner Karriere im Ausland angetreten war, wandte sich im Interview mit HBO auch an das Publikum. Ihm sei klar, daß er den gesammelten Unmut abbekomme, nachdem er den Lokalmatador vermöbelt habe. Aber so sei Boxen nun einmal. Er habe sich mit David Lemieux und dessen Kampfesweise vertraut gemacht und wisse auch, was für einen Trainer der Kanadier habe. Die beiden seien überzeugt gewesen, ihn leichterdings treffen und auf die Bretter schicken zu können, zumal ihm die Luft ausgehen würde. Doch nichts davon sei eingetreten.

Der Brite ist sich augenscheinlich bewußt, wie wichtig sein neuer Trainer Dominic Ingle für ihn ist, mit dem zusammen er nun den zweiten Kampf ausgetragen hat. Ingle sorgte dafür, daß er Lemieux nicht ins offene Messer lief und sich diszipliniert an die taktische Marschroute hielt. Überdies scheint auch die Vorbereitung diesmal sehr gut gelungen zu sein, da Saunders sichtlich Gewicht reduziert hatte, überaus beweglich agierte und zudem konditionsstark auftrat. Dem Trainer ist es offenbar gelungen, die sattsam bekannten Schwächen seines Schützlings einzudämmen und dessen Stärken zur Geltung zu bringen. [1]

Billy Joe Saunders ist also nicht länger der schwache Weltmeister, als der er stets galt. Er hat seinen bislang gefährlichsten Gegner derart dominiert, daß man ihm nun plötzlich zutraut, es mit Gennadi Golowkin oder Saul "Canelo" Alvarez aufnehmen zu können, die voraussichtlich am 5. Mai zur Revanche aufeinandertreffen. So schlägt das Pendel nun in die Gegenrichtung aus, feiern doch viele den gleichsam wiederauferstandenen Briten als wahren Meister, vergleichbar mit keinem Geringeren als Muhammad Ali. Das ist blanker Unfug, erklärt sich der überraschend dominante Auftritt des WBO-Weltmeister doch nicht nur aus dessen eigenem Können, sondern auch den Mängeln des Gegners, die wie geschaffen für Saunders waren. Lemieux kann zwar gewaltig zuschlagen, ist aber eher nicht in der Lage, einem sehr mobilen Gegner den Weg abzuschneiden und ihn zu stellen. Da er überdies nicht sonderlich schnell schlägt, ist er für einen Kontrahenten wie den Briten, der sich auf das unablässige Ausmanövrieren des Gegners spezialisiert hat, ein offenes Scheunentor.

Wenn Saunders selbstgefälliger denn je die eigenen Qualitäten überschätzt und erklärt, nach diesem Auftritt hätten Golowkin und "Canelo" wohl kein Interesse mehr, sich mit ihm zu messen, stellt er die Verhältnisse auf den Kopf. Er unterschlägt vor allen Dingen, daß auch der Kasache gegen Lemieux gekämpft und den Kanadier vorzeitig besiegt hat. Im Unterschied zu dem Briten hat Gennadi Golowkin die direkte Konfrontation nicht gemieden, sondern im Gegenteil selbst herbeigeführt. Er kontrollierte Lemieux mit seinem Jab und schoß ihn sturmreif, bis er in der achten Runde dem ungleichen Kampf ein Ende machte. Es war ein höchst unterhaltsames Gefecht, was man vom Auftritt des WBO-Weltmeisters nicht gerade sagen kann.

Da Golowkin, der die Gürtel der Verbände WBA, WBC, IBF und IBO in seinem Besitz hat, die Sammlung mit der Trophäe der WBO komplettieren möchte, dürfte er einem Kampf gegen Saunders nicht abgeneigt sein. Der Brite steht seit geraumer Zeit auf seiner Wunschliste, hat aber in der Vergangenheit unter fadenscheinigen Vorwänden einen Rückzieher gemacht, als es in den Verhandlungen ernst wurde. Nach seinem Sieg gegen Lemieux fühlt sich der Brite augenscheinlich so stark, daß er das Wagnis bei nächster Gelegenheit wohl doch eingehen würde. Sollte es dazu kommen, stände der Kasache vor der leidigen Aufgabe, dem ständig ausweichenden Läufer nachzusetzen. Daß er das viel besser als Lemieux kann, hat er bereits im Kampf gegen Daniel Jacobs unter Beweis gestellt. Allerdings sprang dabei lediglich ein Punktsieg heraus, womit Golowkins Serie vorzeitiger Siege endete, der seit 2008 sämtliche Gegner zum Opfer gefallen waren.

Für "Canelo" ist Saunders kein attraktiver Gegner, da sich der in den USA weithin unbekannte Brite dort schlecht vermarkten läßt. Wenngleich es den Mexikaner reizen könnte, den WBO-Champion für seine vollmundigen Worte abzustrafen, hat er aus seiner Perspektive viel wichtigere Aufgaben zu erledigen. Saul Alvarez interessieren selbst die Titel nicht, da er die für das Publikum attraktivsten Gegner bevorzugt, sofern er damit viel Geld verdienen und seinen Anspruch auf Vorherrschaft unterstreichen kann. Die Einschätzung, Golowkin beginne nachzulassen, verleitete "Canelo" und seinen Promoter Oscar de la Hoya dazu, sich Mitte September endlich doch mit dem Kasachen zu messen. Das wäre ins Auge gegangen, hätten die Punktrichter in Las Vegas dem Mexikaner nicht ein schmeichelhaftes Unentschieden geschenkt. Da Lemieux nun aufgrund seiner überraschenden Niederlage als Alternative ausgefallen ist, wird es wohl tatsächlich zur Revanche zwischen Golowkin und "Canelo" kommen.

Wie der britische Promoter Frank Warren zu Recht anmerkt, werde Saunders nach Lage der Dinge wohl mindestens bis September warten müssen, bevor er gegen den Sieger der Revanche antreten könne. Unterdessen müsse er aktiv bleiben, um seinen Anspruch auf diesen Kampf zu unterstreichen. Der WBO-Weltmeister selbst sieht da draußen jede Menge Kämpfe, die auf ihn warteten. Er habe genug Hundefutter verzehrt und wolle sich nun den Hund vornehmen, entweder Golowkin oder "Canelo". Als er dick und fett gewesen sei, hätten sie ihn herausgefordert. Nun sollten sie herauskommen und mit ihm kämpfen, dann werde man schon sehen, was passiert, so Saunders. [2] Soll das bedeuten, daß der Brite zwischendurch seinen Titel gegen gefährliche Kontrahenten wie Jermall Charlo oder Daniel Jacobs verteidigen wird? Wohl kaum. Eher schon steht zu befürchten, daß er statt dessen wie in der Vergangenheit erneut auf Nummer Sicher geht und weitaus schwächere Herausforderer vom Schlage Artur Akawows oder Willie Monroes vorzieht, die er vor David Lemieux in die Schranken gewiesen hat.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/21789382/billy-joe-saunders-cruises-unanimous-decision-win-david-lemieux-retains-middleweight-title

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/12/saunders-doubts-canelo-ggg-will-fight-now/#more-250756

18. Dezember 2017


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