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PROFI/658: Bombe nach dem Kampf geplatzt (SB)



"Canelo" demütigt Chavez - Duell mit Golowkin bestätigt

In dem mit Spannung erwarteten Prestigekampf der beiden populärsten mexikanischen Boxer, der vor 20.510 Zuschauern in der ausverkauften T-Mobile Arena in Las Vegas über die Bühne ging, hat sich Saul "Canelo" Alvarez unangefochten gegen Julio Cesar Chavez jun. durchgesetzt. Nach einem erschreckend einseitigen Verlauf hatte "Canelo" am Ende alle zwölf Runden gewonnen (120:108, 120:108, 120:108). Wenngleich zu keinem Zeitpunkt ein Niederschlag in der Luft lag, da Chavez solide Nehmerqualitäten ins Feld führen konnte, ließ der Außenseiter doch keinerlei Ambitionen erkennen, in dem von Beginn an für ihn ungünstigen Gefecht das Blatt zu wenden. Er konnte seine Reichweitenvorteile nicht ausspielen, schlug viel zu selten und wurde von Alvarez in allen Belangen ausgeboxt.

"Canelo" war mobil auf den Füßen, schlug einen ausgezeichneten Jab und häufig Kombinationen, so daß sein Punktvorsprung unablässig wuchs. Nachdem er drei Runden lang problemlos sein Repertoire ausgespielt hatte, ohne daß ihm Chavez etwas anhaben konnte, brachte der Favorit immer wieder wuchtige Treffer ins Ziel, die den Gegner zurückweichen ließen. Da Alvarez keinen einzigen gefährlichen Schlag einstecken mußte, wich er zeitweise an die Seile zurück und lud den Kontrahenten zum Angriff ein, was das Bild jedoch nicht im geringsten änderte. Von lautstarken Unmutsäußerungen des Publikums begleitet, dessen Mißfallen sich gegen den maßlos enttäuschenden Chavez richtete, ging der Kampf schließlich so befremdlich zu Ende wie er begonnen hatte.

Laut der Statistik von CompuBox hatte Alvarez 228 von 604 Schlägen ins Ziel gebracht (38 Prozent), während Chavez bei nur 302 Versuchen lediglich 71 Treffer gelungen waren (24 Prozent), letzteres ein indiskutables Resultat für einen Kampf über zwölf Runden. Der 26jährige Saul Alvarez, vordem Weltmeister im Halbmittel- und Mittelgewicht, baute seine Bilanz auf 49 Siege, eine Niederlage (gegen Floyd Mayweather) sowie ein Unentschieden aus. Er kann eine Garantiebörse von 5 Millionen Dollar einstreichen, wird aber aus Anteilen an der Fernsehübertragung noch sehr viel mehr bekommen. Für den fünf Jahre älteren Julio Cesar Chavez stehen nun 50 gewonnene und drei verlorene Auftritte sowie ein unentschiedenen beendeter Kampf zu Buche. Er erhält eine Börse von 3 Millionen Dollar, zu der sich ebenfalls weitere Einkünfte gesellen. [1]

Wie Chavez nach seiner desaströsen Vorstellung einräumte, sei er mit der Schnelligkeit und Raumkontrolle des Gegners nicht zurechtgekommen. "Canelo" sei ein sehr aktiver Boxer, habe ihn aus der Distanz dominiert und klar gewonnen. Wenngleich ihn sein Vater und sein Trainer Nacho Beristain ständig aufgefordert hätten, häufiger zu schlagen, sei diese Strategie nicht aufgegangen, da ihn "Canelo" sofort ausgekontert habe. Hingegen war Alvarez nach seinem souveränen Auftritt voll des Lobes über den eigenen Auftritt. Er habe an diesem Abend bewiesen, daß er sich gut bewegen und all das machen könne, was einen erstklassigen Boxer auszeichnet. Überdies habe er sich wie beim Sparring in den Pausen nicht einmal hingesetzt und sei damit gut gefahren.

Warum blieb Julio Cesar Chavez jun. in diesem bedeutenden Kampf weit hinter allen Erwartungen zurück? Er hatte bekanntermaßen seit vier Jahren nicht viel zustande gebracht und ständig mit Gewichtsproblemen zu kämpfen gehabt. Dennoch schien er sich diesmal gut vorbereitet zu haben und brachte tatsächlich das geforderte Gewicht auf die Waage. Während er jedoch dünn und ausgemergelt wirkte, sah der kleinere und beim offiziellen Wiegen gleich schwere "Canelo" rundum frischer und massiver aus. Alvarez und sein Promoter Oscar de la Hoya hatten wieder einmal ganze Arbeit geleistet, als sie auf einer Gewichtsgrenze bestanden, die Chavez zum radikalen Gewichtsabbau zwang. Er ist seit Jahren im Grunde ein Halbschwergewichtler und mußte nun bis knapp über das Mittelgewicht heruntergehen. "Canelo" hingegen konnte vier Kilo schwerer als je zuvor beim offiziellen Wiegen antreten und war körperlich in bester Verfassung, so daß er mit dem substanzlosen und konditionsschwachen Gegner leichtes Spiel hatte. [2]

Nachdem dieser Coup gelungen war, ließ man die eigentliche Bombe platzen. Wie Saul "Canelo" Alvarez nach seinem Sieg bekanntgab, werde er am 16. September gegen Gennadi Golowkin antreten. Der Kasache hatte den Kampf am Ring verfolgt, war dann verschwunden und kam nun unter den Klängen seiner üblichen Einmarschmusik wieder nach vorn, um sich mit seinem Trainer Abel Sanchez und Promoter Tom Loeffler dem Team des Mexikaners anzuschließen. Das Publikum brach in Jubelstürme aus, hatte man doch seit zwei Jahren vergeblich auf diesen allseits geforderten Kampf gewartet. Wie sich nun herausstellte, war man sich bereits in der Woche vor dem mexikanischen Duell handelseinig geworden, hatte aber beiderseits Stillschweigen gewahrt. Nun scheint dem bedeutendsten Kampf, den der gesamte Boxsport gegenwärtig zu bieten hat, nichts mehr im Wege zu stehen. [3]

Alvarez, der seit langem zu Recht gescholten worden war, er gehe Golowkin aus dem Weg, betonte nun über Gebühr, daß er keine Angst vor ihm habe. "Du bist der nächste, mein Freund", rief er dem Kasachen zu, "der Kampf ist abgemacht"! Seit er im Alter von 16 Jahren Profiboxer geworden sei, habe er nie einen Gegner gefürchtet. Schon als er auf die Welt kam, sei die Furcht gewichen, trug der Mexikaner extra dick auf. Noch kann er sich im Glanz des Ruhms sonnen und der Auffassung sein, er sei der größte Star des Boxgeschäfts. Wenn er auf den in 37 Kämpfen ungeschlagenen Kasachen trifft, wird er erstmals seit Jahren keinen physisch geschwächten oder alternden Gegner vor sich haben. Die beiden kämpfen regulär im Mittelgewicht um Golowkins Titelsammlung, wobei Alvarez schon vor einigen Tagen andeutet hat, daß er den Gürtel des WBC nicht haben will. Aus heutiger Sicht wird klar, warum er das ungefragt hervorgehoben hat: Der WBC-Titel war ihm vor einem Jahr abgenommen worden, als er sich weigerte, gegen den damaligen Pflichtherausforderer Golowkin anzutreten. Wenn "Canelo" nun den Beleidigten spielt, so offenbar vor allem deshalb, um den Vorwurf zu entkräften, er habe schon damals Angst vor dem Kasachen gehabt.

Da kaum noch jemand damit gerechnet hatte, daß "Canelo" und sein Promoter ihr Wort halten und sich Golowkin im Herbst stellen würden, mutet die Bestätigung um so überraschender an. Was mag die beiden zu ihrem unverhofften Sinneswandel bewogen haben? Daß eine Revanche gegen den desolaten Chavez kein Thema mehr sein würde, konnte man nicht mit Sicherheit vorhersagen. Auch daß der ins Gespräch gebrachte Kanadier David Lemieux bei seinem eher mühsamen Sieg im Vorprogramm nicht gerade Bäume ausreißen würde, konnte man nicht wissen. Möglicherweise war bei den Golden Boy Promotions die Einsicht gereift, daß man den weithin verlangten Prestigekampf nicht länger verzögern könne, ohne einen bedenklichen Gesichtsverlust zu riskieren. Vielleicht hat man die Gegenseite zu einer vergleichsweise bescheidenen Börse genötigt und damit kalkuliert, daß man Golowkin nie günstiger bekommen werde.

Vermutlich hat jedoch dessen Kampf gegen Daniel Jacobs am 18. März eine maßgebliche Rolle bei der Entscheidung gespielt, sich jetzt mit ihm zu messen. Damals hatte der Kasache zwar nach Punkten gewonnen, aber den Nimbus eingebüßt, er könne jeden Gegner vorzeitig besiegen. Daraufhin ging ein Aufatmen durch die Konkurrenz, und es machte das Wort die Runde, daß auch Gennadi Golowkin nur ein menschliches Wesen und folglich zu besiegen sei. Rückblickend gesehen hat sich der Kasache mit seinem Auftritt in New York, der seinem Ruf zu schaden schien, womöglich den denkbar größten Gefallen getan: Sein Wunschgegner Saul Alvarez hat endlich Mut gefaßt und stellt sich zum Kampf.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/19328049/canelo-alvarez-defeats-julio-cesar-chavez-jr-unanimous-decision-fight-gennady-golovkin-sept-16

[2] http://www.boxingnews24.com/2017/05/saul-canelo-alvarez-vs-julio-cesar-chavez-jr-results/#more-233978

[3] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/19328792/canelo-alvarez-gennady-golovkin-announce-fight-sept-16-site-determined

7. Mai 2017


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