Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


PROFI/655: Draufgänger auf dem absteigenden Ast (SB)



Marco Huck chancenlos gegen den Letten Mairis Briedis

Im Kampf um den vakanten WBC-Titel im Cruisergewicht hat sich Mairis Briedis in der Dortmunder Westfalenhalle einstimmig nach Punkten gegen Marco Huck durchgesetzt (116:111, 117:110, 118:109). Der in 22 Auftritten ungeschlagene Lette dominierte den früheren WBO-Champion auf ganzer Linie und erwies sich an diesem Abend in allen Belangen als der bessere Boxer. Huck, dessen Bilanz nun 40 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden aufweist, wird es nach dieser enttäuschenden Vorstellung sehr schwer haben, noch einmal in die höchsten Ränge der Gewichtsklasse zurückzukehren. Der Gürtel des Verbands WBC stand zur Disposition, weil ihn der Brite Tony Bellew aufgrund einer Handverletzung, die er sich im Kampf gegen seinen Landsmann David Haye im Schwergewicht zugezogen hatte, nicht fristgerecht verteidigen konnte.

Schlüssel des Erfolgs war der ausgezeichnete Jab des 32jährigen Letten aus Riga, der unablässig Druck machte und den gleichaltrigen Huck auf diese Weise immer wieder heftig traf. Dieser setzte seine gefährliche Rechte nur sporadisch ein und verfehlte Briedis ein ums andere Mal. Zudem verzichtete der Berliner fast vollständig auf den linken Haken, der früher zu seinen gefährlichsten Waffen gehörte. Möglicherweise kam Huck damit nicht zum Zuge, weil ihn der Gegner bei solchen Ansätzen jedesmal mit seiner schnell geschlagenen Rechten auskonterte. Vom brachialen Ungestüm des Deutschen, mit dem er in der Vergangenheit so manchen Kontrahenten niedergemacht hatte, war kaum etwas zu sehen. Briedis war technisch überlegen, schlug präziser und zugleich wuchtiger zu, so daß die wilden Schwinger des Kontrahenten weitgehend wirkungslos blieben.

Beide Akteure klammerten häufig und versetzten einander diverse Kopfstöße, die glücklicherweise keine Verletzungen hervorriefen. Auffällig war insbesondere, daß Huck so gut wie nichts für die Offensive tat und fast nur beim Klammern Schläge ins Ziel brachte. Briedis machte jedoch auch im Infight einen starken Eindruck und sorgte dafür, daß ihn der Gegner nur selten am Hinterkopf traf. Ringrichter Jay Nady machte seine Sache gut und schritt energisch gegen die verbotenen Nackenschläge ein, für die Huck berüchtigt ist. Zugleich ermahnte er aber auch den Letten, solche Schläge im Clinch zu unterlassen, so daß der heftig und teils mit unsauberen Mitteln ausgetragene Kampf nie außer Kontrolle geriet.

Marco Huck unternahm schlichtweg zu wenig, um auch nur eine einzige Runde klar zu seinen Gunsten zu entscheiden. Briedis war schneller, stärker und brachte in jedem Durchgang eine Reihe eindeutiger Treffer an. Als er in der elften Runde im Handgemenge zu Boden gehen mußte, wurde dies zu Recht nicht als Niederschlag gewertet. Huck, der regelrecht ausgeboxt worden war und in dieser Phase längst kein Land mehr sah, wirkte verzweifelt und schlug sogar zu, als ihm der Gegner im Gewühl kurzzeitig den Rücken zukehrte.

Gemessen an seinen besten Jahren als WBO-Weltmeister wirkte Marco Huck nur noch wie ein Schatten damaliger Dominanz im Ring. Wenngleich er nie ein technisch versierter Boxer war, machte er früher enormen Druck und wendete des öfteren das Blatt, indem er regelrecht über den Gegner herfiel und ihn mit wuchtigen Schlägen eindeckte. Von diesen Qualitäten war in seinen letzten drei Kämpfen kaum noch etwas zu sehen, wobei er gegen Dmitro Kucher einen besonders schlechten Eindruck hinterlassen hatte. Briedis überforderte ihn restlos, da der Lette nie zurückwich, härter konterte und sich auch im Clinch nicht in die Defensive zwingen ließ.

Zudem führte Briedis eine exzellente Deckung ins Feld, die Huck weitgehend neutralisierte. Mit seinen kurz angedeuteten Finten schien er Huck restlos zu verwirren, der sich nie sicher sein konnte, wann der Lette zum Schlag ansetzte. Augenscheinlich hatte es der Berliner noch nie mit einem Gegner zu tun gehabt, der über solche Qualitäten verfügt. Tony Bellew kann von Glück reden, daß ihm ein Kampf gegen den Pflichtherausforderer Briedis erspart geblieben ist, da er höchstwahrscheinlich auf den Brettern gelandet wäre. Der Liverpooler bewegt sich so unbeholfen, daß er zur leichten Beute des überlegen manövrierenden Letten würde. Indessen hat Bellew vor wenigen Tagen angekündigt, er wolle ins Cruisergewicht zurückkehren und dort alle Titel zusammenführen. Seine Absicht in Ehren, wäre doch bereits bei dem neuen WBC-Weltmeister Mairis Briedis für ihn Endstation. [1]

Da der Brite jedoch bei diesem Verband als Champion im Wartestand geführt wird und damit das Vorrecht genießt, bei seiner Rückkehr in den Ring sofort den Nachfolger herausfordern zu dürfen, könnte es durchaus zu diesem Kampf kommen. Davon abgesehen neigt der Liverpooler zu einer chronischen Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, weshalb er wohl tatsächlich der Überzeugung ist, besser als Briedis zu sein. Sein überraschender Sieg gegen den favorisierten David Haye, der sich einen Riß der Achillessehne zugezogen hatte, dürfte Bellew darin bestärkt haben, daß nur der Himmel seine Grenze ist, nicht aber irgendein anderer Boxer auf diesem Planeten.

Marco Huck hat in Dortmund den Titel des kleinen Verbands IBO verloren und den Gürtel des WBC nicht gewonnen. Wie er hinterher konsterniert einräumte, habe er unter großem Druck gestanden und sei einfach nicht zum Zuge gekommen. Ein Grund für seine Schwäche könnte die exzessive Gewichtsabnahme gewesen sein, da er dem Vernehmen nach 18 Stunden lang nichts gegessen hatte, um beim offiziellen Wiegen am Freitag die Grenze von 90,5 kg des Cruisergewichts einzuhalten. Sein Bruder und Manager Kenan Hukic verlieh der vagen Hoffnung Ausdruck, daß die Trophäe der IBO womöglich doch im Besitz der Familie bleiben könnte. Briedis habe die geforderte Gebühr dieses Verbands für dessen Titelkampf nicht bezahlt und abgewinkt, als ihm ein Vertreter der IBO den Gürtel überreichen wollte. Dem Letten steht allerdings die Möglichkeit offen, die Gebühr, die in der Regel drei Prozent der Kampfbörse beträgt, innerhalb einer gewissen Frist nachträglich zu entrichten.

Ob Huck gut beraten wäre, den Titel der IBO im Zweifelsfall wieder anzunehmen, obgleich er ihn im Ring verloren hat, muß ohnehin mit einem dicken Fragezeichen versehen werden. Sich auf diese Weise mit fremden Federn zu schmücken könnte seinen ohnehin angeschlagenen Ruf um so mehr in Mitleidenschaft ziehen. Als er noch beim Berliner Promoter Sauerland unter Vertrag stand, sorgte Trainer Ulli Wegner mit aller Macht dafür, daß der als schwierig und nicht gerade trainingsversessen geltende damalige WBO-Weltmeister nicht über die Stränge schlug und sich halbwegs an die vereinbarte taktische Marschroute hielt.

Seit der Trennung vor zweieinhalb Jahren hat Huck vier verschiedene Trainer ausprobiert. Der frühere Europameister Oktay Urkal aus dem Berliner Stadtteil Kreuzberg hatte ihn sechs Wochen lang auf den Kampf vorbereitet und in seiner Ringecke gestanden. "Ich verstehe auch nicht, warum er nicht so frisch war", meinte Urkal verwundert. "Wenn wir einen freien Kopf haben, dann reden wir", kündigte er Gespräche an. Ob er noch lange Hucks Trainer bleiben wird, steht jedoch in den Sternen. Wie dieser trotzig erklärte, sei er zu jung, um aufzuhören, und ein wahrer Krieger, der sich den Titel zurückholen werde. Denkbar sei aber auch ein erneuter Ausflug ins Schwergewicht, wo er 2012 gegen den damaligen regulären WBA-Weltmeister Alexander Powetkin aus Rußland nach Punkten verloren hatte. Sehe man sich die Gewichtsklassen an, sei das Cruisergewicht derzeit stärker besetzt. Im Schwergewicht habe man es schon ein bißchen einfacher, scheint Huck zumindest zu ahnen, daß es um seine Aussichten in der angestammten Gewichtsklasse schlecht bestellt ist.

Die 3,17 Millionen Zuschauern (16,2 Prozent Marktanteil) bei RTL zeugen von keinem überwältigenden, aber immer noch regen Interesse des Publikums an den Auftritten Marco Hucks. Auch in dieser Hinsicht ist nach der desolaten Vorstellung mit einem Rückschlag zu rechnen, wobei vorerst offenbleibt, in welchem Maße der Sender, der im Boxsport ohnehin nur eng ausgewählte Segmente wie insbesondere die Auftritte Wladimir Klitschkos überträgt, noch zu einer weiteren Zusammenarbeit neigt. [2]


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2017/04/mairis-briedis-vs-marco-huck-results/#more-231535

[2] https://www.welt.de/sport/article163334233/Wirklich-laecherlich-wird-es-erst-nach-dem-Kampf.html

2. April 2017


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang