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PROFI/648: Verletzung kostet Jürgen Brähmer den Titel (SB)



Nathan Cleverly sichert sich mit viel Glück den Gürtel

Jürgen Brähmer hat den Titel des regulären WBA-Weltmeisters im Halbschwergewicht an Nathan Cleverly verloren. Vor fast 5000 Zuschauern im Neubrandenburger Jahnsportforum lag der 37jährige Schweriner nach Punkten in Führung, als er den Kampf vor der siebten Runde wegen einer Verletzung am Ellbogen aufgeben mußte. Der in der Rechtsauslage boxende Weltmeister konnte vom vierten Durchgang an nur noch die Linke uneingeschränkt gebrauchen und kam schließlich zu dem Schluß, der Vernunft den Zuschlag zu geben. Wie er hinterher berichtete, sei er natürlich sehr enttäuscht, zumal er in Führung gelegen habe. Da man vertraglich eine Revanche vereinbart habe, werde er sich den Gürtel umgehend zurückholen, so der Schweriner, für den 48 Siege und drei Niederlagen zu Buche stehen. [1]

Das Duell mit Cleverly kam erst im dritten Anlauf zustande. Im Jahr 2011 war Brähmer WBO-Champion und der Waliser Pflichtherausforderer, als der Schweriner den geplanten Kampf wegen einer Verletzung absagen mußte. Cleverly bekam wenig später den Titel zuerkannt, worauf sich ihre Wege trennten. Brähmer wurde 2013 regulärer WBA-Weltmeister und verteidigte diesen Titel seither sechsmal erfolgreich. Cleverly verlor den Gürtel der WBO 2013 an den Russen Sergej Kowaljow und stieg ein Jahr später ins Cruisergewicht auf, wo er sich seinem britischen Rivalen Tony Bellew knapp nach Punkten geschlagen geben mußte. 2015 unterlag er dem Polen Andrzej Fonfara über zwölf Runden, worauf er fast ein Jahr lang nicht mehr im Ring gestanden hatte, bis er auf Jürgen Brähmer traf. [2]

Der 29 Jahre alte Waliser, für den nun 30 gewonnene und drei verlorene Auftritte zu Buche stehen, boxte auch in Neubrandenburg so, wie er es einst in der Schule Enzo Calzaghes gelernt hatte. Dessen Sohn Joe Calzaghe hatte den Stil perfekt umgesetzt und war damit zu einem der besten britischen Boxer aller Zeiten aufgestiegen. Als er seine Karriere 2009 beendete, war er in 46 Kämpfen ungeschlagen und Weltmeister aller vier maßgeblichen Verbände im Supermittelgewicht gewesen. Andere bekannte Akteure dieser Waliser Boxschule wie Enzo Maccharinelli oder Nathan Cleverly brachten es ebenfalls zu Titelehren, ohne je an das außergewöhnliche Können Joe Calzaghes heranzureichen, dessen erbarmungslosem Schlaghagel kein Gegner standgehalten hatte.

Auch Nathan Cleverly schlug in hoher Frequenz auf Jürgen Brähmer ein, der jedoch geschickt konterte und dabei größere Wirkung entfaltete. Die Kontrahenten lieferten einander zur Freude des Publikums einen temporeichen Schlagabtausch, in dem zunächst keiner von beiden zu ermüden schien. Wenngleich der Waliser unablässig zu schlagen versuchte, vermochte er den Schweriner nicht in die Defensive zu zwingen und mußte dabei immer wieder wuchtige Treffer des Champions einstecken. In der fünften Runde machte der Herausforderer die bessere Figur, doch ließ sein Tempo im folgenden Durchgang etwas nach, so daß man keineswegs von einer Wende sprechen konnte.

Wie sich deutlich abzeichnete, fehlte es Cleverly an Schlagwirkung, um Brähmer nachhaltig zu beeindrucken oder gar niederzuschlagen. Obgleich der Schweriner durch seine Verletzung zunehmend eingeschränkt war, bot er eine ausgezeichnete Vorstellung, die sich auf den Zetteln der Punktrichter niederschlug. Wenngleich die Meinungen hinterher geteilt waren, wie sich der Kampf ohne diese unglückliche Wendung weiter entwickelt hätte, spricht doch vieles dafür, daß Brähmer ansonsten den Titel behalten und den Waliser womöglich sogar vorzeitig besiegt hätte. [3]

In welchem Maße Cleverly zur Selbstüberschätzung neigt, zeigte sich nach seinem unverhofften Titelgewinn bei der Pressekonferenz. Verletzung oder nicht, natürlich sei das ein richtiger Sieg, denn er habe Brähmer gebrochen. Sein Stil und Kampfgeist hätten den Champion überfordert, den er in der ersten Hälfte ans Limit gedrängt habe. Dieser Plan sei aufgegangen, denn in der zweiten Hälfte hätte er sein Werk vollendet, prahlte der Waliser. Diesen Unsinn mochte Brähmer nicht unwidersprochen stehenlassen, der energisch bestritt, daß ihn der Herausforderer niedergekämpft oder gar gebrochen habe. Cleverly werde bei der Revanche schon merken, was es heißt, wenn er zwölf Runden lang mit beiden Händen zuschlagen könne, so der Schweriner. Den Gürtel wolle er sich postwendend zurückholen.

Der Waliser erklärte sich an Ort und Stelle zum Rückkampf bereit, der vertragsgemäß wieder in Deutschland stattfinden wird. Sollte der Schweriner dann wieder uneingeschränkt boxen können, dürfte der Titel erneut den Besitzer wechseln. Möglicherweise kommt es dann zu einem dritten Duell oder gar zu einer Serie, wie dies Arthur Abraham und Robert Stieglitz in der Vergangenheit praktiziert haben. Ob das dem deutschen Publikum auch mit einem ausländischen Kontrahenten wie Cleverly gefallen würde, ist natürlich offen, während Kommentatoren aus dem angloamerikanischen Sprachraum angesichts dieser Aussicht schon jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.

Sollte Cleverly der Sinn danach stehen, einen Kampf gegen einen anderen Weltmeister vorzuziehen, wäre das vermutlich möglich, zumal Brähmer unter Umständen aufgrund der Verletzung längere Zeit ausfallen könnte. Es wurden sogar Stimmen laut, die dem Waliser eine taktische Meisterleistung attestierten, da er den fast acht Jahre älteren Champion systematisch geschwächt und die fällige Wachablösung herbeigeführt habe. [4] Um zu dieser Einschätzung zu gelangen, muß man allerdings die Augen davor verschließen, daß Brähmer souveräner geboxt und zu Recht nach Punkten geführt hatte. Auch kann keine Rede davon sein, daß er müder als Cleverly gewirkt habe. Vollends absurd mutet die Hoffnung an, der Waliser könne gegen den Sieger des Kampfs zwischen Sergej Kowaljow und Andre Ward antreten, die am 19. November aufeinandertreffen, und dabei gewinnen. Der Russe hat den Waliser 2013 binnen vier Runden regelrecht auseinandergenommen und ist seither noch wesentlich besser geworden. Auch Ward boxt in einer anderen Liga als Cleverly, der nur mit sehr viel Glück noch einmal Weltmeister geworden ist. Überdies handelt es sich lediglich um den regulären Titel der WBA, der eine Etage unter dem des Superchampions und damit Sergej Kowaljows angesiedelt ist.

Der Titelverlust Jürgen Brähmers kommt auch für seinen Promoter Sauerland Event zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Die Verhandlungen um die Fortsetzung des Fernsehvertrags mit Sat.1 über das laufende Jahr hinaus gehen gerade in die entscheidende Phase. Wenngleich Sat.1-Sprecher Alexander Rösner betont, daß die Ereignisse in Neubrandenburg keinen Einfluß auf die Gespräche hätten, steht der Promoter derzeit doch ausgesprochen schlecht da, da er mit Jack Culcay im Halbmittelgewicht nur noch einen einzigen Weltmeister in seinen Reihen hat. Gerüchten zufolge sollen künftig lediglich drei statt der bislang acht Kampfabende pro Jahr gezeigt werden, worauf Kalle Sauerland nicht näher eingehen wollte. In diesem Monat werde es Klarheit über die gemeinsame Zukunft geben, hielt er sich bedeckt.


Fußnoten:

[1] http://www.faz.net/aktuell/sport/mehr-sport/boxen-im-halbschwergewicht-braehmer-verliert-wm-titel-gegen-cleverly-14463260.html

[2] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17687418/nathan-cleverly-becomes-two-world-champion-juergen-braehmer-retires-injured

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/10/cleverly-i-broke-braehmer-results/#more-218569

[4] http://www.boxingnews24.com/2016/10/nathan-cleverly-vs-juergen-braehmer-results/#more-218564

2. Oktober 2016


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