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PROFI/644: Unaufhaltsam bahnt sich Gennadi Golowkin seinen Weg (SB)



Kell Brooks Trainer wirft in der fünften Runde das Handtuch

Gennadi Golowkin hat sich in der ausverkauften Londoner O2 Arena auf eindrucksvolle Weise gegen den britischen Herausforderer Kell Brook durchgesetzt. In einem spektakulären Kampf, der im Vorfeld von den Medien zu einem Prestigeduell hochstilisiert worden war, setzte sich der Kasache in der fünften Runde durch, da Brooks Trainer Dominic Ingle das weiße Handtuch zum Zeichen der Aufgabe warf. Der Brite war bislang Weltmeister im Weltergewicht und zwei Gewichtsklassen aufgestiegen, um sich mit dem Champion diverser Verbände im Mittelgewicht zu messen. Obgleich er körperlich enorm zulegt hatte und schwerer als Golowkin war, hatte er dessen verheerender Schlagwirkung nichts entgegenzusetzen. Zwar steckte Brook gewaltige Treffer ein, ohne zu Boden zu gehen, doch wurde er schwer in Mitleidenschaft gezogen und zog sich frühzeitig einen Bruch an der rechtsseitigen Augenhöhle zu, der seine Sicht beeinträchtigte.

Der Brite mußte nach 36 Siegen die erste Niederlage hinnehmen und wird wohl nicht mehr ins Weltergewicht zurückkehren. Golowkin ist nun in 36 Kämpfen ungeschlagen und hat seine Titel zum 17. Mal erfolgreich verteidigt. Er mußte zuletzt im Jahr 2008 über die volle Distanz gehen und hat seither 23 Gegner vorzeitig besiegt. Nachdem ihm schon seit langem die meisten namhaften Kontrahenten aus dem Weg gegangen sind, dürfte es nach dieser eindrucksvollen Demonstration seines Könnens künftig noch schwerer sein, die prominentesten Rivalen vor die Fäuste zu bekommen.

Golowkin ging von Beginn an ungewöhnlich heftig zur Sache und stellte umgehend klare Verhältnisse her. Nach kaum einer Minute versetzte er Brook einen wuchtigen linken Haken, der den Briten sichtlich erschütterte. Der Lokalmatador überstand diese erste gefährliche Attacke und schlug beherzt zurück, doch zeigte sich jetzt wie auch später im Kampf, daß selbst seine schwersten Geschütze dem Kasachen nichts anhaben konnten. Zu Golowkins zahlreichen Stärken gehören auch exzellente Nehmerqualitäten - er ist in seiner gesamten Karriere kein einziges Mal zu Boden gegangen oder auch nur sichtlich angeschlagen gewesen.

In der zweiten Runde bot Brooks seine beste Leistung in diesem Kampf, da er sich zunächst den Angriffen des Weltmeisters behende entzog und dann den offenen Schlagabtausch wagte, der das britische Publikum in Raserei versetzte. Golowkin ist jedoch auch wegen seiner luftraubenden Körpertreffer gefürchtet, die Brook zu Beginn des dritten Durchgangs zu spüren bekam. Dann folgten eine linke Gerade, die ihn in die Seile trieb, wie auch weitere schwere Schläge, die seine rechte Gesichtspartie zunehmend lädierten.

Nachdem Brook ab der vierten Runde fast nur noch weggelaufen war oder geklammert hatte, ging Golowkin in der fünften zum Sturmangriff über und trieb seinen Gegner abermals in die Seile. Der Brite wand sich aus dieser Klemme und hob beide Hände, als wolle er demonstrieren, daß weiter mit ihm zu rechenen sei. Dies sollte jedoch sein letztes Signal vor dem Untergang bleiben. Golowkin jagte ihn beidhändig schlagend durch den Ring, nagelte ihn in der Ecke fest und versetzte ihm Treffer an Kopf und Körper. Brook ließ mehr als ein Dutzend Schläge ohne Gegenwehr über sich ergehen. Ringrichter Marlon Wright verfolgte so intensiv das Kampfgeschehen, daß er das weiße Handtuch im ersten Moment nicht bemerkte. Dadurch bekam Brook noch etliche weitere Treffer ab, ehe der Kampf nach 1:57 Minuten der fünften Runde abgebrochen wurde. Ohne jedes Zeichen des Triumphs kehrte der 34jährige Kasache ruhig in seine Ecke zurück.

Wie Golowkin anschließend erklärte, habe er eine dramatische Show versprochen und Wort gehalten. Er habe frühzeitig gespürt, daß ihm Brook nichts anhaben konnte und lieber Abstand hielt. Nach der zweiten Runde habe er beschlossen, nicht mehr zu boxen, sondern eher einen Straßenkampf auszutragen, und in der fünften Schluß gemacht. Er respektiere Kell Brook als guten Boxer, der freilich kein Mittelgewichtler sei.

Sein Trainer Abel Sanchez lobte die Entscheidung seines Kollegen Dominic Ingle, das Handtuch zu werfen. Brook habe zu viele klare Treffer einstecken müssen und wäre früher oder später zu Boden gegangen. Gennadi habe in dieser Phase gewußt, daß ihm der Herausforderer nicht länger standhalten konnte. Ungeachtet des dominanten Auftritts seines Schützlings zeigte sich Sanchez nicht übermäßig beeindruckt von dessen Leistung: Gennadi habe nicht auf ihn gehört und in aller Ruhe Maß genommen, sondern sofort auf einen Niederschlag gedrängt.

Promoter Tom Loeffler zollte Brook mit den Worten Respekt, der Brite sei zweifellos in der Lage, etliche Mittelgewichtler zu besiegen, nur eben Golowkin nicht. Gennadi habe in der Höhle des Löwen unbeeindruckt von den frenetischen Anfeuerungsstürmen für den Gegner seinen Job erledigt. [1]

In Brooks Stellungnahme mischte sich verständliche Enttäuschung über die Niederlage mit einer eklatanten Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse. Er habe erwartet, daß Golowkin viel härter zuschlagen könne, als es tatsächlich der Fall gewesen sei, so der 30jährige Brite. Er habe den Champion ausgetrickst, frustriert und mehrfach empfindlich getroffen, so daß Golowkin weiche Beine bekommen habe. In dieser Phase habe er gerade in den Kampf gefunden und sei sich sicher, daß er in dessen zweiter Hälfte die Oberhand gewonnen hätte. Um Golowkin werde ein Hype gemacht, der die Gefährlichkeit des Kasachen überzeichne. Er habe jedoch gespürt, daß der Champion ein Boxer auf gleicher Augenhöhe sei, was ihn immer zuversichtlicher gestimmt habe. [2]

Leider habe ihm der Gegner in der zweiten Runde einen Bruch an der Augenhöhle zugefügt, so daß er ihn in der Folge nur mehrfach sehen und deswegen schwer treffen konnte. Im Grunde sei er auf dem Vormarsch gewesen, doch habe er leider mit nur einem gesunden Auge nicht richtig zielen können. Während alle Angst vor Golowkin hätten, würde er gern noch einmal gegen ihn antreten, diesmal aber mit zwei heilen Augen. Einen Kampf dieser außergewöhnlichen Bedeutung hätte man seines Erachtens nicht abbrechen dürfen. Sein Trainer kenne ihn eben von Kindesbeinen an und habe sich einfach Sorgen gemacht. Er selbst sei jedoch ein Krieger, der bis zum Umfallen weiterkämpfe.

Die britischen Zuschauer konnten dieses Interview mithören und quittierten die Äußerungen mit Schweigen, was darauf schließen ließ, daß selbst Brooks eingefleischte Fans seine Auffassung nicht teilten, da sie etwas anderes gesehen hatten. Er hatte von der vierten Runde an sein Heil in der Flucht gesucht und keine Anstalten mehr gemacht, den Kampf zu gewinnen. Auch daß Golowkin frustriert oder angeschlagen gewesen sein soll, war keinesfalls zu erkennen. Vielmehr ging der Weltmeister so eindeutig und ungehindert in die Offensive, daß der Herausforderer wenig später auf den Brettern gelandet wäre, hätte ihn die Intervention seines Trainers nicht davor bewahrt.

Als Promoter Eddie Hearn erklärte, Brook habe zum Zeitpunkt des Abbruchs nach Punkten in Führung gelegen, handelte er sich lautstarken Protest der Menge ein. Jeder hatte gesehen, daß allenfalls die zweite Runde an den Lokalmatador gegangen war, der in der Folge zunehmend chancenlos wirkte, schwer gezeichnet aussah und am Ende eher erleichtert wirkte, als daß er protestiert hätte. Es war sehr bedauerlich, daß das britische Lager die eindeutige Unterlegenheit nicht eingestand, sondern nach Ausflüchten suchte, wobei Brook mit seiner aberwitzigen Umdeutung des Kampfgeschehens eindeutig den Vogel abschoß. [3]

Es wäre dem Briten zu wünschen, daß er wieder zur Besinnung kommt und sein eigenes Können wie auch dessen Grenzen zutreffender einzuschätzen versteht. Zudem bleibt zu hoffen, daß ihn die schwerwiegende Verletzung über dem rechten Auge nicht dauerhaft beeinträchtigt und er seine Karriere im Halbmittel- oder Mittelgewicht erfolgreich fortsetzen kann. Er ist zwar nach wie vor IBF-Weltmeister im Weltergewicht, dürfte sich aber angesichts seines jüngsten Gewichtszuwachses die Tortur kaum antun, noch einmal dort anzutreten.

Gennadi Golowkin wird seinen nächsten Kampf am 26. November bestreiten und dabei im günstigsten Fall auf Daniel Jacobs treffen, den regulären Weltmeister der WBA. Der New Yorker hatte sich am Vortag in Reading, Pennsylvania, in der siebten Runde gegen den restlos überforderten Sergio Mora durchgesetzt und danach ein Duell mit dem Kasachen im Munde geführt, das auch der Verband in Kürze anordnen will. Golowkin würde sich zudem gern den Gürtel der WBO sichern, der ihm als letzter in seiner Sammlung fehlt. Der Brite Billy Joe Saunders hat ihn jedoch schon mehrfach unter fadenscheinigsten Ausflüchten versetzt und bereits laufende Gespräche platzen lassen. Deshalb ist kaum anzunehmen, daß sich Saunders jemals traut, gegen den Kasachen anzutreten. Dessen Wunschgegner bleibt Saul "Canelo" Alvarez, mit dessen Ausreden man inzwischen ein dickes Buch füllen könnte. Golowkin ist erklärtermaßen schon seit Jahren bereit, sich jedem Gegner zu stellen. Die große Frage bleibt umgekehrt, wer es wagt, mit ihm in den Ring zu steigen.


Fußnoten:

[1] http://www.espn.com/boxing/story/_/id/17515170/gennady-golovkin-defeats-kell-brook-fifth-round-tko-corner-throws-towel

[2] http://www.boxingnews24.com/2016/09/gennady-golovkin-vs-kell-brook-results/#more-216908

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/09/brook-expected-golovkin-bigger-puncher/#more-216932

12. September 2016


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