Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


PROFI/630: Schwer hat's leicht (SB)



Saul "Canelo" Alvarez schickt Amir Khan auf die Bretter

Saul "Canelo" Alvarez hat den WBC-Titel im Mittelgewicht erfolgreich verteidigt. Der 25jährige Mexikaner setzte sich vor 16.540 Zuschauern in der neuen T-Mobile Arena in Las Vegas vorzeitig gegen den vier Jahre älteren Briten Amir Khan durch, der in der sechsten Runde die Segel streichen mußte. Vier Runden lang hatte der Weltmeister enorme Probleme, mit der Beweglichkeit des für gewöhnlich im Weltergewicht kämpfenden Herausforderers zurechtzukommen. Alvarez schlug diverse Löcher in die Luft und konnte von Glück reden, daß es seinem fleißig punktenden Gegner an Schlagwirkung fehlte, so daß er ihm nicht unmittelbar gefährlich werden konnte. Im fünften Durchgang gewann der Champion erstmals die Oberhand und konnte einige klare Treffer ins Ziel bringen. [1]

In der folgenden Runde wirkte Khan müde, als habe er sich bereits verausgabt, denn er verzichtete bei seinen Ausweichmanövern weitgehend darauf, selbst zu schlagen. Davon profitierte "Canelo", der den Kontrahenten mit einem linken Haken erschütterte und wenig später einen zweiten folgen ließ. Der Brite hielt diesen Treffern stand und schlug beherzt zurück, verharrte dabei aber zwangsläufig in Reichweite des Champions, der ihn mit der Rechten niederstreckte. Khan stürzte so heftig zu Boden, daß ihn Ringrichter Kenny Bayless gar nicht erst anzählte, sondern den Kampf nach 2:37 Minuten der Runde für beendet erklärte. [2]

Während sich Alvarez von seinen Landsleuten euphorisch feiern ließ, wurde Khan vom medizinischen Team betreut, das ihm erst Minuten später wieder auf die Beine helfen konnte. Der Brite wurde zu einer ärztlichen Untersuchung ins Krankenhaus gebracht und blieb deshalb der Pressekonferenz nach dem Kampf fern, konnte die Klinik jedoch bald wieder verlassen. Dank dieses Erfolgs verbesserte der Weltmeister seine Bilanz auf 47 Siege, eine Niederlage und ein Unentschieden, für seinen Gegner stehen nun 31 gewonnene und vier verlorene Auftritte zu Buche.

Die ersten vier Runden hatten an "Canelos" einzige Niederlage gegen Floyd Mayweather im Herbst 2013 erinnert, der ihn unablässig ausmanövrierte und dank seiner technischen Überlegenheit klar dominierte. Amir Khan hielt seine temporeiche Strategie jedoch nicht lange durch und bekam wie schon bei seinem letzten Kampf gegen Chris Algieri im Mai 2015 im Laufe der Zeit gravierende Konditionsprobleme. Ob diese Schwäche beim aktuellen Auftritt damit zusammenhing, daß er sehr lange nicht mehr im Ring gestanden hatte, oder eher auf den beträchtlichen Gewichtszuwachs zurückzuführen war, dem er sich vor dem Kampf gegen den erheblich schwereren Mexikaner unterziehen mußte, bleibt ungewiß, wobei letzteres naheliegt.

Vor sechs Monaten hatte sich Saul Alvarez durch einen einstimmigen Punktsieg über den körperlich unterlegenen Puertoricaner Miguel Cotto den WBC-Gürtel gesichert, den er nun gegen den leichteren Amir Khan erstmals erfolgreich verteidigt hat. Das Muster bleibt stets dasselbe: Der nicht allzu bewegliche Mexikaner verschafft sich von vornherein physische Vorteile und baut auf die zwangsläufig größere Wucht seiner Schläge, wofür er zusammen mit seinem Promoter Oscar de la Hoya die Gegner sorgsam aussucht. Die beiden streben nach dem mutmaßlichen Rücktritt Floyd Mayweathers und Manny Pacquiaos die Vorherrschaft in der Branche an, wobei ihnen die gewaltige Popularität "Canelos" in der mexikanischen Fangemeinde zugute kommt.

Als aufmerksamer Beobachter saß Gennadi Golowkin am Ring, Weltmeister der WBA, IBF und IBO, nicht zuletzt seit langem Pflichtherausforderer beim Verband WBC. Alvarez müßte eigentlich im Herbst gegen ihn antreten, hat sich aber bislang jeder verbindlichen Zusage enthalten. Über Twitter unterstrich der Kasache noch einmal, daß er bereit für "Canelo" sei. Dessen Manager und Co-Trainer Jose Reynoso bat Golowkin nach dem Kampf herauf in den Ring, als wolle er signalisieren, daß man im Lager des Mexikaners unverbrüchlich zum gegebenen Wort stehe. Eine mit dem Verband getroffene Vereinbarung sah nämlich vor, daß beide Akteure zunächst einen Kampf bestreiten duften, bevor sie im September aufeinandertreffen. Der Kasache hatte am 23. April kurzen Prozeß mit Dominic Wade gemacht, der keine zwei Runden mit ihm überstand.

Amir Khan, ein früherer Weltmeister zweier Verbände im Halbweltergewicht, ging ein enormes Risiko ein, zwei Gewichtsklassen höher als üblich anzutreten. Er legte zwar während der Vorbereitung körperlich zu, was aber nicht gleichbedeutend damit ist, daß die zusätzliche Muskelmasse denselben Aussteuerungsmöglichkeiten wie eine über längere Fristen entwickelte Physis unterliegt, von Problemen des Kreislaufs ganz zu schweigen. Zudem sind Nehmerqualitäten nicht gerade ein Markenzeichen des Briten, der sich Breidis Prescott 2008 in der ersten Runde und Danny Garcia 2012 in der vierten vorzeitig geschlagen geben mußte. Überdies hatte er nur dreimal im Weltergewicht gekämpft und war keineswegs ein Akteur, der zu schwer für dieses Limit zu werden drohte.

In den letzten drei Jahren hatte Khan vergebens versucht, einen hochdotierten Kampf gegen Floyd Mayweather oder Manny Pacquiao zu bekommen. Er stand zwar in der engeren Auswahl, wurde aber von beiden Wunschgegnern letztlich nicht berücksichtigt. Alvarez war zweifellos die nächstbeste Wahl, weshalb der Brite sofort zusagte, als ihm das überraschende Angebot gemacht wurde, mit dem aufgrund der unterschiedlichen Gewichtsklassen niemand gerechnet hatte. Wie der unterlegene Herausforderer Bilanz zog, habe er vor niemandem Angst. Unglücklicherweise sei dieser Gegner körperlich derart überlegen gewesen, daß es nicht bis zum Ende gereicht habe. Er habe dennoch sein Bestes gegeben und wolle sich weiterhin mit den namhaftesten Kontrahenten messen. Höchstwahrscheinlich werde er jedoch wieder ins angestammte Weltergewicht zurückkehren.

Während Alvarez eine Börse von 3,5 Millionen Dollar erhielt, kann Khan 2 Millionen einstreichen. Darüber hinaus sind beide an den Fernsehgeldern beteiligt und werden auf diesem Weg etliche Millionen mehr auf ihr Konto bekommen. Unterdessen steht der bedeutendste und lukrativste Kampf des Jahres in Aussicht, sofern sich der Mexikaner durchringen kann, tatsächlich mit Golowkin in den Ring zu steigen. Der Kasache ist nicht nur ein echter Mittelgewichtler, sondern auch der mit Abstand gefährlichste Gegner in der gesamten Gewichtsregion, da er in 35 Kämpfen ungeschlagen blieb und nun schon 22 Kontrahenten in Folge vorzeitig besiegt hat.

Alvarez steht jetzt unter gewaltigem Druck, da er akute Gefahr liefe, sein Gesicht zu verlieren, ginge er Golowkin weiterhin aus dem Weg. Lehnt er einen Kampf gegen den Kasachen ab, müßte ihm der Verband den Titel entziehen. Amir Khan und dessen Trainer Virgil Hunter schlossen sich der Forderung an, nun müsse sich "Canelo" zum Kampf um die Vorherrschaft stellen und gegen Golowkin antreten. Dieser erwiderte auf die unvermeidliche Frage, ob er gegen Alvarez bei der Gewichtsgrenze knapp über dem Halbmittelgewicht kämpfen würde, die der Mexikaner allen Gegnern abverlangt, er sei ein Boxer alter Schule und respektiere diesen Sport, dessen Gewichtsklassen nun einmal festgelegt seien.

Im Hochgefühl ihres Triumphs und sicher auch aus naheliegenden taktischen Gründen, erweckten Alvarez und De la Hoya den Eindruck, sie wollten nichts lieber, als sich Golowkin vorzuknöpfen. Wie der Promoter erklärte, solle der Kasache nur auf das Klingeln seines Telefons achten, da er ihn gleich am nächsten Tag anrufen werde. Und der Mexikaner fügte hinzu, in seinem Land treibe man keine Spielchen mit diesem Sport. Am liebsten würde er sofort gegen Golowkin antreten, doch bis September könne er notfalls warten. Das wird sich mit Sicherheit in einigen Tagen schon ganz anders anhören, wenn Alvarez und De la Hoya wieder auf ihrem Wunschgewicht herumreiten, um der sattsam bekannten Ausflucht die Sporen zu geben.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/05/canelo-alvarez-kos-amir-khan-6th/#more-20968

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15485795/canelo-alvarez-defeats-amir-khan-knockout-sixth-round

10. Mai 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang