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PROFI/623: Debakel in der Spielerstadt (SB)



Arthur Abraham chancenlos gegen Gilberto Ramirez

Arthur Abraham hat in Las Vegas einstimmig nach Punkten gegen Gilberto Ramirez verloren (108:120, 108:120, 108:120), der damit neuer Champion der WBO im Supermittelgewicht geworden ist. Der 36jährige Berliner gab vor 14.600 Zuschauern in der traditionsreichen MGM Grand Garden Arena eine enttäuschende Vorstellung und wurde Runde für Runde von dem zwölf Jahre jüngeren Mexikaner dominiert. Der gebürtige Armenier hatte in den USA bereits 2010 und 2011 nach ähnlich schwachen Auftritten Niederlagen gegen Andre Dirrell und Andre Ward einstecken müssen. Auch diesmal wirkte der Titelverteidiger sehr passiv, boxte statisch und traute sich kaum in die Offensive. Während der Mexikaner nun in 34 Auftritten ungeschlagen ist, stehen für Abraham 44 Siege und fünf Niederlagen zu Buche.

Die klare taktische Vorgabe des amtierenden Weltmeisters war im Vorfeld in aller Offenheit dargelegt worden: Er sollte den 14 cm größeren Pflichtherausforderer sofort angreifen, um den vergleichsweise unerfahrenen Mexikaner mit Schlagserien unter Druck zu setzen und früher oder später auf die Bretter zu schicken. Doch was machte Abraham? Er versteckte sich hinter seiner Doppeldeckung und boxte so zaghaft und unentschlossen, daß er von Beginn an einen schweren Stand hatte und nicht an den Kontrahenten herankam. Ramirez nutzte konsequent seine überlegene Reichweite, kämpfte bis zum Ende sehr beweglich und schlug viel häufiger zu.

Der lethargisch wirkende Titelverteidiger baute seinen Gegner regelrecht auf und wenn er doch einmal wie in der zweiten und siebten Runde aus seiner Deckung herauskam, fing er sich prompt einen Konter ein, der ihn rückwärts taumeln ließ. Nur gegen Ende der sechsten Runde stellte Abraham den schnellfüßigen Mexikaner mit einer wuchtigen Schlagserie an den Seilen, doch er setzte nicht nach und suchte zu keinem Zeitpunkt auf Biegen oder Brechen den Niederschlag.

Nach seiner blamablen Leistung, mit der er alle zwölf Runden verloren hatte, erklärte der Berliner ratlos, er wolle keine Ausreden suchen. Es sei nicht sein Tag gewesen, und er entschuldige sich dafür. Er sei erfahren genug, doch habe Ramirez einfach ein bißchen beweglicher und aktiver agiert. Der Mexikaner habe viel geschlagen, aber nicht besonders hart, doch habe er sich diesen Gegner einfach nicht richtig hinstellen können, so der entthronte Champion: "Ich kam nicht an ihn ran, wie ich es mir gewünscht hätte. Er war aktiver, ist aber weggelaufen. Da wurde ich sauer und fest. Wir hatten die falsche Taktik."

Diesen Vorwurf wollte Trainer Ulli Wegner nicht auf sich sitzen lassen, der denn auch erklärte, man habe in der Vorbereitung mit einem idealen Sparringspartner gearbeitet. Arthur habe den taktischen Plan jedoch nicht wie versprochen umgesetzt - er könne es, aber mache es nicht. Er sei total enttäuscht, so Wegner. Man brauche nicht lange zu diskutieren, denn das sei keine Leistung gewesen, die Arthur gebühre. Suche man nach einer Ursache, müsse man wohl beim Trainer anfangen, deutete Wegner an, daß er seinen Schützling offenbar im Kampf nicht mehr erreicht. Selbst als er Abraham gegen Ende in jeder Pause angespornt hatte, er müsse jetzt mit Kombinationen angreifen und alles auf eine Karte setzen, zeitigte das keinerlei ersichtliche Wirkung. Vielleicht müsse Arthur von einem neuen Trainer motiviert werden, da ihm die Opferbereitschaft fehle, stellte Wegner seinen Posten halbwegs zur Disposition.

Wie es für Abraham weitergehen soll, steht in den Sternen. Er hat noch einmal eine stattliche Börse kassiert, doch seinen ohnehin kaum vorhandenen Ruf in den USA endgültig ruiniert. Weitere lukrative Auftritte beim Sender HBO wird es für ihn nicht geben, und zu einer Revanche gegen Ramirez besteht kein Anlaß. Wenngleich der Berliner verkündete, er werde alles geben und hundertprozentig zurückkommen, ist nicht absehbar, auf welche Weise er noch einmal einen Titel gewinnen könnte. Das deutsche Nebengleis, auf dem der Berliner geraume Zeit getrennt von der Weltspitze gefahren ist, scheint an einem Prellbock zu enden. [1]

Gilberto Ramirez darf sich als erster mexikanischer Boxer feiern lassen, der im Supermittelgewicht Weltmeister geworden ist. Überdies ist es vor ihm nur einem einzigen Landsmann gelungen, in einem Limit über dem Mittelgewicht Champion zu werden: Im Jahr 2003 wurde der inzwischen verstorbene Julio Gonzalez durch einen Sieg über Dariusz Michalczewski WBO-Weltmeister im Halbschwergewicht.

Ramirez zog nach seinem unverhofft klaren Triumph mit den Worten Bilanz, er habe seinen Gegner mit der mexikanischen Boxschule konfrontiert. Abraham könne zwar heftig zuschlagen, sei aber völlig unbeweglich gewesen. Zur Hälfte des Kampfs sei ihm klar gewesen, daß er gewinnen werde, so der neue Weltmeister. Er sei nach Las Vegas gekommen, um Geschichte zu schreiben, und so sei es geschehen.

Man hatte dem Herausforderer im Vorfeld zwar körperliche Vorteile, aber eine geringe Schlagwirkung und zweifelhafte Nehmerqualitäten attestiert, die Abraham fast unweigerlich ausnutzen werde. Wenngleich der Berliner in den USA zumeist als "Papierweltmeister" bezeichnet wurde, der nur in einer wohlbehüteten Nische Champion bleiben könne, bekam er zuletzt eine erstaunlich positive Presse. Das hing insbesondere damit zusammen, daß viele Experten Ramirez für überbewertet hielten und kritisierten, sein Promoter Bob Arum habe ihn mit schwachen Gegnern gefüttert und ihm auf diese Weise eine blütenreine Bilanz verschafft. Im Grunde galt Abraham trotz seines Auftritts vor fremdem Publikum als Favorit, der dem Mexikaner nur auf den Leib rücken müsse, um ihn zu entzaubern. [2]

Während der Berliner nichts davon auch nur ansatzweise umgesetzt hat, kann man Ramirez eine ausgezeichnete taktische Marschroute bescheinigen. Besser hätte der Mexikaner von seinen boxerischen Möglichkeiten kaum Gebrauch machen können, wobei ihm Abraham auf ganzer Linie entgegenkam. Als Ramirez von der siebten Runde an immer mehr herumlief, ständig die Vektoren änderte und leichte Haken schlug, war Abraham vollends mit seinem Latein am Ende. Wann immer er sich hinstellte, um zu einem heftigen Schlag anzusetzen, hatte sein Gegner längst die passende Distanz verlassen. Lange vor Ende des Kampfs erweckte der Titelverteidiger den Eindruck, er habe die Flinte bereits ins Korn geworfen, da er keine Anstalten machte, es wenigstens noch einmal mit der Brechstange zu versuchen.

Ein spannender Kampf war es nicht, was man auch dem Sieger anlasten muß. Ramirez ist kein aufregender Boxer, auch wenn ihn Bob Arum bereits zum künftigen Leuchtfeuer schönredet. Im Grunde war es der langweiligste Programmteil der gesamten Veranstaltung, da ein Akteur, der sich ständig umherbewegt, und ein Widersacher, der passiv herumsteht, ein wenig attraktives Gespann abgeben. Arums Vorhaben, Gennadi Golowkin aus dem Mittelgewicht hochzulocken, dürfte kein Erfolg beschieden sein. Der Kasache ist eher klein und leicht für seine Gewichtsklasse, so daß er problemlos auch im Halbmittelgewicht antreten könnte. Ins Supermittelgewicht aufzusteigen, um dort einem hochgewachsenen und ständig flüchtenden Gegner nachzulaufen, macht für ihn keinen Sinn. [3]

Sollte sich Bob Arum wider Erwarten mit dem Gedanken tragen, Ramirez ins Halbschwergewicht zu schicken, würden ihn die Weltmeister Sergej Kowaljow und Adonis Stevenson niedermachen, ohne sich um seine Gegenwehr zu scheren. Wahrscheinlicher ist daher, daß Gilberto Ramirez künftig im Supermittelgewicht nicht allzu aufregende Kreise zieht und von seinem Promoter von Aufgaben ferngehalten wird, die eine Nummer zu groß für ihn sein könnten. Auf diese Weise wird er zwar nicht zum Superstar der Branche, bleibt aber zumindest ein verwertbarer Aktivposten Bob Arums nach dem Abschied Manny Pacquiaos, der nach seinem Sieg über Timothy Bradley im Hauptkampf des Abends in Las Vegas die Boxhandschuhe an den Nagel hängen will.


Fußnoten:

[1] http://www.tagesspiegel.de/sport/arthur-abraham-verliert-wm-titel-das-box-fiasko-von-las-vegas/13426136.html

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/15172826/gilberto-ramirez-dominates-arthur-abraham-wins-super-middleweight-title

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/04/gilberto-ramirez-defeats-arthur-abraham-wins-wbo-title/#more-207905

10. April 2016


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