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PROFI/615: Untergang ohne fliegende Fahnen (SB)



Sergej Kowaljow bereitet Jean Pascal ein Debakel

Sergej Kowaljow hat seine drei Titel im Halbschwergewicht bei der Revanche gegen Jean Pascal überzeugend verteidigt. Der Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF setzte sich vor fast 10.000 Zuschauern im Bell Centre in Montreal nach der siebten Runde gegen den kanadischen Lokalmatador durch, der in dem einseitigen Kampf noch weniger als bei ihrem ersten Aufeinandertreffen im März 2015 zu bestellen hatte. Während der 32jährige Russe dank dieses Erfolgs seine Bilanz auf 29 gewonnene Kämpfe und einen unentschieden gewerteten Auftritt ausbaute, sind für den ein Jahr älteren Pascal nunmehr 30 Siege, vier Niederlagen sowie ein Unentschieden notiert.

Jean Pascal, der in der Vergangenheit dafür bekannt war, von Beginn an beherzt anzugreifen und seinen Gegner mit wuchtigen Schlägen einzudecken, boxte diesmal in der Anfangsphase so passiv, daß Kowaljow freie Hand hatte. Bereits in der ersten Runde ging der Kanadier nach einem harten Jab des Russen zu Boden, doch stufte Ringrichter Michael Griffin diese Aktion irrtümlich als Ausrutscher ein. Der Weltmeister drang in den ersten beiden Durchgängen mit seinem gefährlichen Jab, massiven rechten Geraden und linken Haken fast ungehindert auf den Herausforderer ein, der von diesen Treffern sichtlich erschüttert wurde.

In der dritten Runde rannte Pascal seinen Gegner im Stil eines Footballspielers um, wofür sich Kowaljow mit schweren Treffern revanchierte. Nun verlegte sich der Kanadier darauf, dann und wann zu klammern, um die Angriffe des Kontrahenten zu unterbinden. Das bekam ihm jedoch schlecht, da der Russe auch in dieser Enge fortfuhr, ihm Schläge auf den Kopf zu versetzen. Gegen Ende des Durchgangs kam es etwa 20 Sekunden lang zu einem offenen Schlagabtausch, in dem Pascal erstmals einige Treffer anbrachte und kurzfristig die bessere Figur machte. Kowaljow schien jedoch dadurch nur noch wütender zu werden und machte nach dem Pausengong den Eindruck, als wolle er sich auf den Lokalmatador stürzen.

Wie sich in der Folge zeigte, hatte der Herausforderer in dieser kurzen Phase sein Pulver bereits verschossen. Die vierte Runde stand wieder ganz im Zeichen unablässiger Angriffe Kowaljows, während Pascal auf der Flucht war oder sich hinter seiner Deckung zu schützen versuchte und selbst kaum mehr als zwei Schläge ins Ziel brachte. Im folgenden Durchgang zog sich der Kanadier frühzeitig in die Seile zurück, wo er fortgesetzt schwere Treffer einstecken mußte. Da der Herausforderer hilflos und angeschlagen wirkte, verfolgte der Ringrichter aufmerksam das Geschehen und schien kurz davor zu stehen, den ungleichen Kampf abzubrechen. Pascal stellte jedoch enorme Nehmerqualitäten unter Beweis und ging unter den wuchtigen Schlägen nicht zu Boden.

Die sechste Runde verlief nicht minder einseitig als die fünfte, obgleich Kowaljow nun den Eindruck erweckte, er halte sich einzig zu dem Zweck zurück, Pascal noch länger zu verprügeln als es erforderlich gewesen wäre, um ein vorzeitiges Ende herbeizuführen. Der Kanadier hatte im Vorfeld des Kampfs für böses Blut gesorgt, als er den Russen als Rassisten beschimpfte, was diesen offenbar weit über eine inszenierte Fehde hinaus persönlich reizte. Nach Ende der Runde warnte Pascals neuer Trainer Freddie Roach seinen Schützling, er dürfe sich nicht ständig in die Seile lehnen, da er dort zu viele Schläge einstecken müsse. Sollte er nicht aufhören, so passiv zu boxen, werde er ihn sofort aus dem Kampf nehmen.

Auch in der sechsten Runde traf der Champion fast nach Belieben, da Pascal nur noch bestrebt schien, auf den Beinen zu bleiben, aber keinerlei Gegenangriffe mehr unternahm. Roach ließ seinen Boxer dennoch zum siebten Durchgang antreten, wobei er ihm wiederum einschärfte, er müsse endlich etwas zeigen. Der Herausforderer kam jedoch nicht über einige eher symbolische als wirksame Linke hinaus und versuchte ansonsten, sich durch Ausweichen und Klammern zu retten. Wieder hatte Pascal derart viele Treffer abbekommen, daß sein Trainer nun endgültig einen Schlußstrich zog und ihn nach Ende der Runde aus dem Kampf nahm. Der Kanadier sah aus, als sei seine Nase gebrochen, und auch sein linkes Auge war zugeschwollen.

Wie Sergej Kowaljow im anschließenden Interview mit Max Kellerman vom übertragenden Sender HBO bestätigte, empfinde er keinerlei Respekt für Pascal und habe ihn vor allem bestrafen wollen. Auf die Frage, wie er über den bereits fest eingeplanten Kampf gegen Andre Ward im Herbst denke, erwiderte Kowaljow, er würde sich sehr darüber freuen, käme dieses Duell tatsächlich zustande. Dann wechselte er das Thema und erklärte, er wolle insbesondere gegen Adonis Stevenson antreten, um ihm den WBC-Gürtel abzunehmen. Dabei nannte er ihn durchweg "Chickenson" und imitierte ein Huhn, worauf sein anwesender Erzrivale erbost in den Ring stürmte und lauthals verkündete, er sei der wahre Weltmeister. Bevor die beiden Boxer handgreiflich werden konnten, wurden sie getrennt, worauf man den kanadischen WBC-Champion aus dem Ring eskortierte. [1]

Schon vor zehn Monaten hatte Kowaljow seinen Gegner dominiert, der ihm damals jedoch wesentlich heftigeren Widerstand entgegensetzte, bis er in der achten Runde die Segel streichen mußte. Diesmal gab der Champion eine makellose Vorstellung und deklassierte einen Kontrahenten, der bislang zu den besten Akteuren im Halbschwergewicht gezählt wurde. Der aus dem Supermittelgewicht aufgestiegene Andre Ward saß als aufmerksamer Beobachter am Ring, behielt aber wohlweislich für sich, ob er angesichts der furchterregenden Übermacht des Russen kalte Füße bekommen hatte.

Zum Zeitpunkt der Aufgabe lag Kowaljow bei allen drei Punktrichtern mit 70:62 in Führung, und auch die Statistik von CompuBox belegte die Überlegenheit des Titelverteidigers. Demnach hatte der Weltmeister 165 von insgesamt 412 Schlägen ins Ziel gebracht (40 Prozent), während der Herausforderer bei 108 Versuchen lediglich 30 Treffer (28 Prozent) erzielen konnte. Pascal räumte nach seiner Niederlage unumwunden ein, daß Kowaljow ein großartiger Champion sei und an diesem Abend noch besser als im letzten März gekämpft habe. Dann bedankte er sich beim Publikum und stellte seine Rückkehr in den Ring in Aussicht. [2]

Hatte man im Vorfeld des Kampfs spekuliert, Pascals neuer Trainer Freddie Roach werde Mittel und Wege finden, Sergej Kowaljows Pläne zu durchkreuzen, so schien das Gegenteil der Fall zu sein. Der Kanadier wirkte wesentlich schwächer als im März und verschwendete insbesondere mit seiner Passivität in der Anfangsphase seine verbliebene Chance, zumindest ein Zeichen zu setzen und den Gegner zur Vorsicht zu mahnen. Als Kowaljow nach seinem Sieg erklärte, er könne nicht die geringste Verbesserung bei Pascal erkennen, der es ihm diesmal sogar noch leichter gemacht habe, deckte sich diese Einschätzung voll und ganz mit dem Kampfverlauf.

Offensichtlich hatte Roach versucht, Pascals Kampfesweise umzustellen und ihn boxen zu lassen, statt sich im Schlagabtausch mit Kowaljow zu messen. Dieser Ansatz brach mit der langjährigen Routine des Kanadiers und ging gründlich schief, da Jean Pascal auf seine Stärken verzichtete, ohne eine gleichwertige Alternative entwickelt zu haben. Der renommierte Trainer mußte sich heftige Kritik gefallen lassen, wobei manche Kommentatoren dem Boxer sogar rieten, sich besser von Roach zu trennen, da dieser andernfalls seine Karriere ruinieren werde. [3]

Wie man indessen zur Ehrenrettung des renommierten Trainers ins Feld führen kann, blieben diesem nur wenige Monate Zeit, sich nach dem Scheitern Pascals im ersten Kampf gegen Kowaljow nicht nur eine andere Strategie einfallen zu lassen, sondern diese auch mit dem Boxer in der Vorbereitung zu erproben. Roach dürfte durchaus bewußt gewesen sein, daß dies nahezu unmöglich war, doch hatte ihn sicher die Aufgabe gereizt, mit dem krassen Außenseiter zu arbeiten. Wer ihm daher vorhält, er habe einen eklatanten Fehler begangen, der einem erfahrener Vertreter seiner Zunft nicht unterlaufen dürfe, muß sich die Gegenfrage gefallen lassen, auf welche Weise Pascal denn besser abgeschnitten hätte.

Wäre der Kanadier erneut mit fliegenden Fahnen untergegangen, hätte das äußerlich betrachtet natürlich besser ausgesehen. Ihm dieselbe Rezeptur zu empfehlen, mit der er schon einmal gescheitert ist, zeugt jedoch von einer Denkweise, der gewiß nicht zusteht, den Stab über Freddie Roach zu brechen. Auch schlußzufolgern, Jean Pascals Kardinalfehler habe darin bestanden, sich überhaupt ein zweites Mal mit dem Russen zu messen, ist ein wohlfeiles Fazit, das sich nur aus der vermeintlichen Schlauheit des Rückblicks speist.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2016/01/kovalev-tkos-pascal-in-7/#more-204893

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/14683528/sergey-kovalev-routs-jean-pascal-tko-rematch-keeps-ibf-wbo-wba-light-heavyweight-title

[3] http://www.boxingnews24.com/2016/01/204898/#more-204898

31. Januar 2016


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