Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


PROFI/581: Amir Khan enttäuscht gegen mutigen Chris Algieri (SB)



Punktsieg des Briten war keine Empfehlung für Mayweather

Der britische Weltergewichtler Amir Khan hatte sich Chris Algieri als Gegner ausgesucht, um im Herbst einen Kampf gegen Floyd Mayweather zu bekommen. Daß diese Rechnung aufgegangen ist, darf bezweifelt werden, sofern Mayweather nicht zu dem Schluß kommen sollte, daß der Brite nicht nur leicht zu besiegen, sondern auch der lukrativste Herausforderer ist, den er gegenwärtig ins Boot holen kann. Da der US-Star jedoch beim mutmaßlich letzten Kampf seiner Karriere Mitte September wahrscheinlich noch einmal ein boxerisches Glanzlicht setzen möchte, ist eher unwahrscheinlich, daß seine Wahl auf einen Kontrahenten fällt, der ständig wegläuft, hemmungslos klammert und seine Gegner des öfteren in den Schwitzkasten nimmt wie Khan.

Vor mehr als 7000 Zuschauern im Barclays Center in Brooklyn hat Amir Khan zwar nach Punkten gegen Chris Algieri gewonnen (115:113, 117:111, 117:111), dabei aber vor allem in der ersten Hälfte des Kampfs einen enttäuschenden Eindruck hinterlassen. Der US-Amerikaner machte von Beginn an Druck und verpaßte dem Favoriten diverse schwere Treffer, die Khan zurückweichen ließen und zu verunsichern schienen. Algieri boxte überraschend offensiv, brachte einen guten Jab und insbesondere eine gefährliche rechte Gerade, die dem Briten Respekt einflößte. Wenngleich Khan diese Treffer überstand, konnte er doch von Glück reden, keinem Gegner mit einer größeren Schlagwirkung gegenüberzustehen.

Im Unterschied zu seiner früheren Kampfesweise verlegte sich Algieri nicht auf eine behende Beinarbeit und hohe Schlagfrequenz, sondern setzte diesmal auf Angriff und Einzeltreffer, die er mit der größtmöglichen Wucht anzubringen versuchte. Das reichte zwar immer noch nicht, um Khan auf die Bretter zu schicken, hinderte den Briten aber lange an einer überzeugenden Offensive. Als Pferdefuß der überraschenden taktischen Marschroute des US-Amerikaners erwies sich letzten Endes, daß er dadurch zu wenig schlug, um auf den Zetteln der Punktrichter die Oberhand zu gewinnen. Khan boxte vor allem in der zweiten Hälfte des Kampfs fleißiger und schlug häufig Kombinationen, die seinen Gegner zwar nicht sonderlich beeindruckten, aber Punkte brachten.

Chris Algieri trat augenscheinlich erheblich schwerer als zuletzt gegen Manny Pacquiao und fast schon wie ein Mittelgewichtler an, was offenbar dem Versuch geschuldet war, die Schlagwirkung zu verbessern. Khan wirkte übervorsichtig und phasenweise sogar eingeschüchtert, als er realisierte, daß der US-Amerikaner härter zuschlug als er selber und damit das erwartete Schema auf den Kopf stellte. Der Brite mied den offenen Schlagabtausch und ging in der zweiten Hälfte des Kampfs dazu über, Algieri auszuboxen, was ihm jedoch nur bedingt gelang. Da der Außenseiter bis zuletzt immer wieder angriff, behalf sich Khan vor allem in den letzten beiden Runden mit beständigem Klammern, das wie so oft vom Ringrichter nicht geahndet wurde.

Am Ende behielt der 28jährige Amir Khan nach Punkten die Oberhand und verbesserte seine Bilanz auf 31 Siege und drei Niederlagen. Verglichen mit einigen seiner früheren Kämpfe gegen schwächere Gegner wie Devon Alexander, Luis Collazo oder Carlos Molina machte er diesmal einen wesentlich defensiveren Eindruck und gab eine insgesamt wenig beeindruckende Vorstellung. Für den drei Jahre älteren Chris Algieri, der in Huntington auf Long Island zu Hause ist, stehen nun 20 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zu Buche. Obgleich ihn der Brite als Kanonenfutter ausgewählt hatte, war er an diesem Abend der weitaus interessantere und unterhaltsamere Akteur. [1]

Vor elf Monaten hatte Chris Algieri am selben Austragungsort Furore gemacht, als er zwei Niederschläge durch den hoch favorisierten Ruslan Prowodnikow in der ersten Runde überstand und am Ende knapp nach Punkten gewann. Dadurch wurde er neuer WBA-Weltmeister im Halbweltergewicht und bekam die Chance, sich in Macau eine Gewichtsklasse höher mit Manny Pacquiao zu messen. Das ging jedoch gründlich schief, da der US-Amerikaner sechsmal auf dem Boden landete und am Ende klar nach Punkten verlor. Danach trennte er sich von Keith Trimble und Tim Lane, die ihn bis dahin gemeinsam trainiert hatten, und verpflichtete John David Jackson, der auch Sergej Kowaljow betreut, den führenden Akteur und Champion dreier Verbände im Halbschwergewicht.

Zweifellos trägt die neue Kampfesweise Algieris die Handschrift Jacksons, der ihn zumindest gegen Khan auf Angriff und gefährliche Einzeltreffer getrimmt hat. Das zahlte sich zwar im Endeffekt nicht aus, brachte dem Lokalmatador aber doch viel Anerkennung ein, die ihm auf seinem weiteren Karriereweg trotz der Niederlage nützen könnte.

Wie der Brite einräumte, habe er einige Fehler gemacht. Er habe nicht mit einer Offensive Algieris gerechnet, der wider Erwarten gekommen sei, um zu gewinnen. Sein amerikanischer Gegner zog mit den Worten Bilanz, er habe wie geplant viel Druck gemacht und den Briten mehrfach empfindlich getroffen. Khan sei jedoch ein gerissener Bursche und mit seinen Manövern bei den Punktrichtern besser angekommen. Leider seien die klareren und schwereren Treffer an diesem Abend nicht honoriert worden, so Algieri. [2]

Wie sich in aller Deutlichkeit gezeigt hatte, kann sich Amir Khan nicht einmal einem Kontrahenten wie Chris Algieri zum offenen Kampf stellen, der ungeachtet aller Verbesserungen nach wie vor kein Boxer von enormer Schlagwirkung ist. Hätte anstelle des New Yorkers Kell Brook, Marcos Maidana, Lucas Matthysse, Danny Garcia oder Keith Thurman im Ring gestanden, wäre Khan in Teufels Küche geraten. [3]

Wenngleich der Brite nach seinem Auftritt den Eindruck machte, als sei ihm bewußt, daß er sich nicht für einen Kampf gegen Mayweather empfohlen hatte, wiederholte er die Forderung, der US-Star möge sich ihm stellen. Da er selber die WBC-Rangliste anführe und Mayweather bei diesem Verband Weltmeister sei, werde es höchste Zeit für dieses Duell. Der Verweis auf die aktuelle Konstellation beim WBC dürfte Mayweather jedoch überhaupt nicht beeindrucken, zumal er nach seinem Sieg über Manny Pacquiao ohnehin verkündet hat, er werde alle Titel niederlegen, da sie ihn nicht mehr interessierten.

Der in 48 Profikämpfen ungeschlagene Floyd Mayweather bestreitet am 12. September den letzten Auftritt im Rahmen seines hochdotierten Vertrags mit CBS/Showtime, worauf er aller Voraussicht nach die Boxhandschuhe an den Nagel hängt. Amir Khan jagt dem US-Amerikaner seit mehr als einem Jahr vergeblich nach und mußte dabei zweimal Marcos Maidana sowie zuletzt Manny Pacquiao den Vortritt lassen. Ohnehin war das Werben recht einseitiger Natur, da vor allem der Brite diese Option unablässig im Munde führte. Er könnte trotz seines enttäuschenden Auftritts gegen Algieri davon profitieren, daß diverse andere Kandidaten aus zeitlichen Gründen Mitte September eher nicht in Frage kommen.

Der reguläre WBA-Weltmeister Keith Thurman tritt am 11. Juli gegen Luis Collazo an, weshalb ein Septembertermin zu früh für ihn käme. Danny Garcia, der im Halbweltergewicht boxt, ist ohnehin kein aussichtsreicher Anwärter und plant einen Kampf am 1. August. Die ehemaligen Weltmeister Shawn Porter und Adrien Broner treffen am 20. Juni aufeinander, sind aber nicht prominent genug, um Khans potentielle Erlöse aus den britischen Fernsehgeldern zu übertreffen. Daher ist nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, daß Amir Khan am Ende doch noch von Floyd Mayweather erhört und verprügelt wird.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/05/khan-vs-algieri-early-results/#more-193935

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/12978669/amir-khan-wins-unanimous-decision-chris-algieri

[3] http://www.boxingnews24.com/2015/05/khan-i-want-mayweather-next-lets-make-it-happen/#more-193942

30. Mai 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang