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PROFI/578: "Canelos" Schlachtplan ist aufgegangen (SB)



Saul Alvarez braucht nur drei Runden für James Kirkland

Vor fast 32.000 zumeist hispanischen Zuschauern in Houston, die ihn frenetisch anfeuerten, hat der populärste mexikanische Boxer dieser Tage einen turbulenten Kampf mit einem vorzeitigen Ende in der dritten Runde gekrönt. Der 24jährige Saul Alvarez, aufgrund seiner rötlichen Haare weithin als "Canelo" (Zimt) bekannt, setzte sich wie erwartet gegen den als Kanonenfutter engagierten James Kirkland durch. Damit feierte der Mexikaner bei seinem ersten Auftritt unter der exklusiven Regie des Senders HBO einen Einstand nach Maß und hielt die Tür zu hochklassigen Duellen weit offen.

Zum Auftakt der ersten Runde stürmte der sieben Jahre ältere Kirkland den Ring und trieb Alvarez in die Ecke, wo er ihn mit heftigen Schlägen festzunageln versuchte. Der Mexikaner wehrte die Angriffe jedoch größtenteils ab, machte sich frei und gewann wenig später die Oberhand, als er den Gegner mit einer rechten Geraden niederstreckte. Der in Austin lebende Texaner kam mit wackligen Knien wieder auf die Beine, worauf ihn "Canelo" bis zur Pause mit Schlägen zum Kopf und Körper traktierte.

Im zweiten Durchgang setzte Alvarez nach und erschütterte den Gegner mit einem erneuten wuchtigen Treffer, worauf die Kontrahenten einander Brust an Brust einen heftigen Schlagabtausch lieferten, der von tosenden Anfeuerungsrufen aus der gewaltigen Kulisse begleitet wurde. Wenngleich das Kampfgeschehen hin und her wogte, machte der Mexikaner durchweg den souveräneren Eindruck. Das galt um so mehr in der dritten Runde, als der von seiner Anhängerschaft mit rollenden Sprechchören vorangetriebene "Canelo" seinen Gegner mit einem rechten Uppercut erneut zu Boden schickte. Kirkland raffte sich mühsam auf, doch landete er nur Sekunden später nach einer schweren Rechten zum dritten Mal auf den Brettern, worauf Ringrichter Jon Schorle nach 2:19 Minuten des Durchgangs den Kampf für beendet erklärte. Der US-Amerikaner wurde anschließend zur Untersuchung, wie sie nach solchen Niederschlägen obligatorisch ist, ins Krankenhaus gebracht.

Wie die Statistik von CompuBox zeigte, hatte der Texaner zwar häufiger als sein Gegner geschlagen, aber nicht einmal halb so viele Treffer erzielt. Dieses Resultat bestätigte die Dominanz des Favoriten, der seinerseits die Konfrontation gesucht, dabei jedoch den Überblick behalten hatte. Kirkland deckte sich schlecht und ließ des öfteren die Fäuste hängen, was der Mexikaner sofort mit Treffern bestrafte. Während Saul Alvarez seine Bilanz auf 45 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden verbesserte, stehen für Kirkland nun 32 gewonnene und zwei verlorene Auftritte zu Buche. [1]

Wie man allerdings berücksichtigen muß, hatte James Kirkland 17 Monate nicht mehr im Ring gestanden, während der er in rechtliche Streitigkeiten verwickelt war und sich von seiner langjährigen Trainerin Ann Wolfe getrennt hatte. Letzteres wurde weithin als schlechtes Vorzeichen interpretiert, da er nach einer früheren Trennung von Wolfe bei seinem nächsten Auftritt vorzeitig verloren hatte. Nun trat er unter Betreuung des bislang unbekannten Gespanns aus Bay Bay McClinton und Rick Morones an, worauf er prompt zum zweiten Mal in seiner Karriere geschlagen auf den Brettern endete. Gerüchten zufolge mußte er während seiner Vorbereitung gut 22 kg abnehmen, um das mit Alvarez vereinbarte Limit zu erreichen. Diese Umstände hatten zwangsläufig schon im Vorfeld die Frage aufgeworfen, warum der Mexikaner ausgerechnet einen Gegner ausgewählt hatte, der nach einer derart langen Pause zurückkehrt.

Die Antwort lag auf der Hand: James Kirkland war für einen attraktiven Schlagabtausch gut, der einen nahezu gleichwertigen Kontrahenten vortäuschte, den Alvarez dennoch in die Knie zwingen und so den eigenen Stern um so heller strahlen lassen konnte. Diese Rechnung des Mexikaners und seines Promoters Golden Boy ist in der Tat perfekt aufgegangen. Wie Oscar de la Hoya zufrieden bilanzierte, sei genau das eingetreten, was notwendig war. Nur eine Woche nach dem Kampf zwischen Floyd Mayweather und Manny Pacquiao habe man dieses Ereignis bereits verblassen lassen. Es habe sich einmal mehr bestätigt, daß man für großartige Auftritte Boxer zusammenführen müsse, deren Kampfesweisen zueinander passen.

Saul Alvarez feierte seinen Sieg mit den Worten, es sei genau so gelaufen, wie er es erwartet habe. Kirklands aggressive Attacken hätten ihn zwar überrascht, doch habe er ihn vom ersten Niederschlag an unter Kontrolle gehabt. Auch der Texaner versicherte, er habe mit einem solchen Schlagabtausch gerechnet. Er habe "Canelo" in der ersten Runde mehrfach getroffen, aber leider nicht in der Ecke festsetzen können. Dann habe man beiderseits Bomben geworfen, bis Alvarez wie aus dem Nichts ein Volltreffer gelungen sei. Er sei dennoch stolz auf die eigenen Leistung und hoffe auf eine Revanche. Kirklands Promoter Curtis Jackson, besser bekannt als der Rapper "50 Cent", will jedenfalls dafür sorgen, daß der Boxer wieder mit Ann Wolfe zusammenarbeitet, ohne die er offenbar aus dem Ruder läuft.

Insbesondere hat Alvarez seinen Anspruch untermauert, sich im Herbst mit Miguel Cotto zu messen, dem WBC-Weltmeister im Mittelgewicht. Wie Alvarez kann auch der Puertoricaner eine riesige Fangemeinde mobilisieren, so daß ihr Duell bei einer Übertragung durch den Sender HBO im Bezahlfernsehen das beste Ergebnis nach der unerreichbaren Quote des Kampfs zwischen Mayweather und Pacquiao einzufahren verspräche. Golden Boy und Cottos Promoter Roc Nation Sports haben bereits Vorabsprachen getroffen und eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet, was freilich alles oder nichts bedeuten kann. [2]

Zum einen verteidigt Miguel Cotto nach langer Pause seinen Titel am 6. Juni zum ersten Mal, wobei er im New Yorker Barclays Center auf den Australier Daniel Geale trifft. Sollte sich der Puertoricaner durchsetzen, stünden zähe Verhandlungen mit Golden Boy um die Aufteilung der Börse an. Daran sind bereits Gespräche zwischen den beiden Lagern im Frühjahr gescheitert, da Alvarez die Hälfte verlangt, die ihm Cotto aber nicht zugestehen will. Der Mexikaner hat erneut seine Popularität unter Beweis gestellt, aber von Mayweather abgesehen gegen weniger namhafte Kontrahenten gekämpft. Zudem ist Cotto Weltmeister und hat die Hoffnung nicht aufgegeben, bei Floyd Mayweathers Abschiedskampf im September mit von der Partie zu sein.

Auf die Frage, ob er an einem Kampf gegen Gennadi Golowkin interessiert sei, antwortete Alvarez ausweichend, daß der Kasache ein großer Champion und künftig sicher eine Option sei. Golowkin ist stärker als Cotto und "Canelo" einzuschätzen, weshalb ihm beide tunlichst aus dem Weg gehen werden.

Nach Angaben Dan Rafaels von ESPN erhielt James Kirkland eine Börse von 1,3 Millionen Dollar, während der prozentual am Umsatz beteiligte Saul Alvarez mindestens 3,5 Millionen Dollar, vermutlich aber noch wesentlich mehr, einstreichen kann. Für Kirkland ist das, zumal nach seiner langen Abwesenheit, ein ausgezeichnetes Geschäft. Er hat zwar zahlreiche Gegner besiegt, doch findet man darunter keinen Namen der allerersten Kategorie. Will er sein Eisen weiter schmieden, solange es heiß ist, darf er sich keine weitere ausgiebige Unterbrechung seiner Karriere mehr leisten, nach der er einen Auftritt im Mittelgewicht oder gar darunter endgültig abschreiben könnte. Er wird nie ein technisch überragender Boxer werden, doch vereint er den Biß und die Schlagwirkung, um noch einige Jahre ein gehöriges Wort mitzureden - sofern sich seine Trennung von Ann Wolfe nicht als unwiderruflich erweist. [3]


Fußnoten:

[1] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/12857405/canelo-alvarez-knocks-james-kirkland-third-round

[2] http://www.boxingnews24.com/2015/05/canelo-vs-kirkland-early-results/#more-192853

[3] http://www.boxingnews24.com/2015/05/kirklands-purse-1-3-million-canelo-at-least-3-5-million/#more-192899

11. Mai 2015


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