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PROFI/577: Abgesang auf Felix Sturm? (SB)



Fedor Tschudinow regulärer WBA-Champion im Supermittelgewicht

Felix Sturm hat vor 8500 Zuschauern in der ausverkauften Festhalle in Frankfurt/Main eine weitere bittere Niederlage bezogen. Im Kampf um den regulären Titel der WBA im Supermittelgewicht unterlag er dem Russen Fedor Tschudinow nach Punkten (110:118, 112:116, 116:112), wobei die eine Wertung zugunsten des Kölners als krasses Fehlurteil bezeichnet werden muß. Dabei hätte für den ehemaligen Champion im Mittelgewicht die Gelegenheit nicht günstiger sein können, sich auch im höheren Limit einen Titel zu sichern und damit zum fünfen Mal in seiner Karriere Weltmeister zu werden.

Die WBA hatte wenige Tage zuvor Carl Froch den Titel aberkannt, da der Brite seit seinem Sieg über George Groves im Mai 2014 vor 80.000 Zuschauern im Londoner Wembley-Stadion untätig geblieben war. Der Plan, sich mit dem Mexikaner Julio Cesar Chavez in Las Vegas zu messen, wurde von einer Verletzung Frochs durchkreuzt. Der Auflage seitens des Verbands, gegen den Superchampion Andre Ward anzutreten, kam das Lager des Briten offenbar aufgrund unvereinbarer Vorstellungen über den Austragungsort nicht nach. [1]

Durch diese Entwicklung eröffnete sich Sturm die unverhoffte Gelegenheit, gegen den relativ unerfahrenen und international wenig bekannten Russen nicht nur um den Interimstitel der WBA, sondern sofort um den Gürtel des regulären Weltmeisters zu kämpfen. Er konnte dieses von ausländischen Kommentatoren harsch kritisierte Geschenk jedoch nicht nutzen, was unvermeidlich die Frage nach einem absehbaren Ende seiner Karriere aufwirft. Felix Sturm war schon als Superchampion der WBA im Mittelgewicht den gefährlichsten Gegnern wie Gennadi Golowkin aus dem Weg gegangen und hatte sich gegen nicht allzu stark eingeschätzte Herausforderer oftmals nur mit viel Glück oder der Gunst der Punktrichter behaupten können. Der Titelverlust gegen den Australier Daniel Geale und die beiden Niederlagen gegen dessen Landsmann Sam Soliman legten um so mehr nahe, daß der Kölner den Zenit seines Könnens weit überschritten hatte.

Obgleich der in zwölf Kämpfen ungeschlagene Fedor Tschudinow als Boxer galt, der weder schnell noch technisch versiert boxt, aber ordentlich zuschlagen kann, versuchte Sturm, dem Russen ausgerechnet im direkten Schlagabtausch den Schneid abzukaufen. Statt seine Erfahrung und Fertigkeit im Kampf aus wechselnden Distanzen und Vektoren auszuspielen, stürzte er sich gleich in der ersten Runde auf den Gegner, um ihn mit zahlreichen Schlägen in Verlegenheit zu bringen. Das ging jedoch nicht lange gut, da der Russe schlichtweg zurückschlug und dabei die größere Wirkung entfaltete. Der 27jährige Tschudinow war offensichtlich körperlich stärker als der neun Jahre ältere Kölner, der dem Kontrahenten jede Menge Gelegenheit bot, seine wuchtigen Schläge um die Deckung herum ins Ziel zu bringen oder den steifen Jab einfach durch die Fäuste des Exweltmeisters zu drücken.

Wenngleich der Kampf zunächst relativ ausgeglichen verlief, konnte man allein schon an den unterschiedlichen Geräuschen der beiderseitigen Treffer ablesen, wer von beiden die nachhaltigere Wirkung erzielte. Da der Russe häufiger schlug, wußte sich Sturm nicht anders zu helfen, als schließlich doch vermehrt seinen Jab einzusetzen. In der sechsten und siebten Runde hatte der Kölner noch einmal gute Szenen, doch von der neunten an gewann Tschudinow klar die Oberhand, da Sturm konditionell nachzulassen begann. Kurz vor der Pause taumelte er nach einer Kombination zurück in die Seile, und in der zehnten Runde wäre er wohl auf den Brettern gelandet, hätte der Russe nicht seinen Mundschutz verloren, was eine kurze Erholungspause zur Folge hatte.

In den letzten vier Durchgängen war Tschudinow zweifelsfrei der überlegene Boxer, weshalb ein einstimmiger Punktsieg das angemessene Ergebnis gewesen wäre. Fedor Tschudinow blieb damit in dreizehn Kämpfen ungeschlagen und durfte sich den Gürtel des Weltmeisters umlegen. Für Felix Sturm stehen nun 39 Siege, fünf Niederlagen und zwei Unentschieden zu Buche. Dieser herbe Rückschlag hat den Plan des Kölners vereitelt, als WBA-Champion gegen Arthur Abraham anzutreten, den Weltmeister der WBO im Supermittelgewicht. Wenngleich dieses Duell nach wie vor nicht ausgeschlossen ist, hat Sturms Niederlage doch eine Menge Luft aus dieser hierzulande seit Jahren geforderten Konfrontation gelassen. [2]

Wie Sturm anschließend einräumte habe, habe er eine falsche Taktik gewählt. So sei der Boxsport eben, wobei er dennoch dankbar für die Chance sei, nach seinem fünften Titel zu greifen. An der Vorbereitung und seiner körperlichen Verfassung habe es nicht gelegen, doch sei Training eben die eine Sache, der Kampf eine andere. Ihm sei die Umsetzung seiner Ideen einfach nicht gelungen, da er zu verkrampft gewesen sei, so der Kölner. Vielleicht steige er noch einmal in den Ring, vielleicht sei das aber auch sein letzter Profikampf gewesen, hielt er die Entscheidung über seine nächsten Schritte offen. Er wolle erst einmal in Ruhe prüfen, was das Beste für ihn und seine Familie sei. Mit gewissen Dingen müsse man eben realistisch umgehen.

Fedor Tschudinow dankte Sturm für einen großartigen Kampf. Er bevorzuge harte Auseinandersetzungen und fühle sich nach leichten Erfolgen nicht gut. In diesem Fall könne er jedoch aus vollem Herzen feiern. In seiner obligatorischen Siegerrede erinnerte der Russe an das historische Datum des 9. Mai, der in seiner Heimat als Tag des Sieges über die Aggression des deutschen NS-Staats begangen wird. Dieser erfolgreiche Kampf seiner Vorfahren habe ihm überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, an diesem Abend in Frankfurt zu boxen. Der 27jährige war mit schwarzer Lederweste und dem Emblem des Rockerclubs Nachtwölfe auf der Hose einmarschiert, und nach seinem Sieg schwenkte ein Mitglied seiner Entourage eine Flagge mit dem Zeichen der Nachtwölfe im Ring, was bei deutschen Zuschauern und Kommentatoren für gewisse Irritationen sorgte. [3]

Promoter Kalle Sauerland, der den Auftritt Sturms als interessierter Beobachter aufmerksam verfolgt hatte, schloß einen Kampf gegen Arthur Abraham auch weiterhin nicht aus: Dieses Duell wollten die Leute einfach sehen. Eher enttäuscht reagierte der ebenfalls anwesende WBO-Weltmeister, der deutlich mehr erwartet hatte, aber davon ausgeht, daß Sturm aus seinen Fehlern lernen wird. Er halte es jedenfalls für sehr realistisch, gegen Felix zu kämpfen, sagte Abraham. Sein Trainer Ulli Wegner räumte sogar ein, daß er ein Fan Sturms sei und dessen Niederlage sehr bedauere. [4]

Deutlicher hätten die Avancen kaum ausfallen können, Felix Sturm von einem Rücktritt abzuhalten und das innerdeutsche Wunschduell dennoch über die Bühne zu bringen. Die hiesigen Zuschauer werden es den beiden populären Boxern mit beträchtlichem Interesse danken und die deutsche Enklave im Supermittelgewicht fortschreiben. Im Juli trifft Abraham zum vierten Mal auf Robert Stieglitz, der sich im vergangenen Herbst unentschieden von Felix Sturm getrennt hat. Setzt sich der Berliner durch, kann er seinen Titel später im Jahr gegen den Kölner verteidigen - und so könnte das Trio im schlimmsten Fall noch auf Jahre hinaus seinen Tanz um den WBO-Gürtel fortsetzen, bis eines Tages selbst das deutsche Boxpublikum des ewigen Kreisens fernab der Weltelite müde wird.


Fußnoten:

[1] http://www.boxingnews24.com/2015/05/sturm-vs-chudinov-early-results/#more-192838

[2] http://espn.go.com/boxing/story/_/id/12855285/fedor-chudinov-decisions-felix-sturm-win-vacant-wba-super-middleweight-title

[3] http://www.welt.de/sport/boxen/article140735853/Sturms-Bezwinger-irritiert-mit-Nachtwoelfe-Outfit.html

[4] http://www.spox.com/de/sport/mehrsport/boxen/1505/News/felix-sturm-niederlage-arthur-abraham-supermittelgewicht.html

10. Mai 2015


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