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PROFI/530: Kein Hausherr in der Höhle des Löwen (SB)




David Price unterliegt in Liverpool Tony Thompson

Der Gang in die Löwenhöhle ist nur dann verhängnisvoll, wenn auch ein Löwe zu Hause ist. Für den US-amerikanischen Schwergewichtler Tony Thompson hat sich die Reise nach Liverpool ausgezahlt, wo er den favorisierten Lokalmatador David Price bereits in der zweiten Runde auf die Bretter schickte und damit für einen ebenso spektakulären wie überraschenden Ausgang ihres Duells sorgte. Thompson, der für den Fall einer Niederlage sein Karriereende in Erwägung gezogen hatte, machte seine 41 Lebensjahre und die körperliche Unterlegenheit durch Erfahrung und kluges Konterboxen mehr als wett. Der 29jährige Price, mit 2,03 m Größe ein Riese von Gestalt, bezog seine erste Niederlage im Profilager, die seinem hoffnungsvollen Höhenflug einen Dämpfer verpaßte.

Nachdem die Kontrahenten in der ersten Runde noch sehr vorsichtig zu Werke gegangen waren, was Price nicht daran gehindert hatte, mit einigen Treffern ein Zeichen zu setzen, ging es im zweiten Durchgang von Beginn an hoch her. Der Lokalmatador ergriff die Initiative, machte Druck und setzte Thompson an den Seilen mit einer Serie wuchtiger Schläge zu. Routiniert und mit Übersicht behauptete sich der erfahrene US-Amerikaner in dieser Bredouille, wich einem weiteren Angriff des Briten seitlich aus und traf Price mit einem rechten Haken am Ohr. Augenblicklich ging der Brite zu Boden, wo er einen desorientierten Eindruck machte. Mühsam versuchte er wieder aufzustehen, doch konnte er sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn Maßnahmen zu seiner Verteidigung ergreifen. Zu Recht schritt der Ringrichter ein und nahm David Price aus dem Kampf, worauf in der Echo Arena für geraume Zeit Totenstille herrschte.

Wenngleich man durchaus von einem Glückstreffer sprechen kann, ist Thompsons entscheidender Schlag doch als überzeugend ausgeführter Konter der Würdigung wert. Zugleich erinnert man sich nun daran, daß Price schon zu Amateurzeiten keine guten Nehmerfähigkeiten nachgesagt wurden. Da er im Profilager 15 Kämpfe in Folge gewonnen hatte und dabei nur zweimal über die Runden gegangen war, richtete man das Augenmerk vor allem auf seine Qualitäten im Angriff und traute angesichts seiner imposanten Statur dem wesentlich kleineren US-Amerikaner allenfalls einen Punktsieg zu.

Es habe sich überwältigend angefühlt, zog Thompson mit Genugtuung Bilanz, hatten ihn doch viele nach seiner desaströsen Niederlage gegen Wladimir Klitschko im Juli 2012 längst abgeschrieben. Wegen seines Namens und Ranglistenplatzes als Kanonenfutter für den aufstrebenden Briten engagiert und vom Liverpooler Publikum gnadenlos ausgebuht, war er doch nicht als Schlachtopfer gekommen. Man habe in der Vorbereitung auf den Kampf ausgiebig daran gearbeitet, den anstürmenden Gegner in einen Konter hineinlaufen zu lassen, berichtete Thompson, der klug auf seine Chance gewartet und sie augenblicklich genutzt hatte. Er habe nun einmal keine beeindruckende Statur und müsse daher mit Köpfchen boxen. David solle den Kopf nicht hängen lassen, da er durchaus das Zeug habe, eines Tages Weltmeister zu werden, spendete der US-Amerikaner dem unterlegenen Gegner Trost.

Jetzt wolle er sich das Großmaul Tyson Fury vorknöpfen, nahm Thompson im Hochgefühl des Sieges gleich den nächsten britischen Riesen ins Visier. Der in 20 Kämpfen ungeschlagene Fury trifft am 20. April bei seinem Debüt in den USA im New Yorker Madison Square Garden auf Steve Cunningham, der früher IBF-Weltmeister im Cruisergewicht gewesen war. Nach dem Debakel seines Landsmanns David Price dürfte Tyson Fury gewarnt sein, den zwölf Jahre älteren und wesentlich kleineren, aber technisch versierten Gegner keinesfalls zu unterschätzen.

Sichtlich schockiert berichtete David Price nach der unverhofften Niederlage, er habe den Schlag nicht gesehen, sei wieder aufgestanden und aus dem Kampf genommen worden. Natürlich sei er tief enttäuscht, doch so etwas könne im Schwergewicht jederzeit geschehen. Thompson sei eben ein defensiver und cleverer Boxer, der ihn mit einem einzigen Treffer erwischt habe. Normalerweise schicke er seine Gegner auf die Bretter, heute sei es ihm selbst einmal passiert. Eine Niederlage werde seine Karriere nicht beenden, machte sich der Brite auf der Pressekonferenz selber Mut. Schließlich sei er immer noch der amtierende britische Meister und Commonwealth-Champion, was ihm eine günstige Ausgangslage verschaffe.

Ein Rückschlag sei diese Niederlage ohne Frage, doch könnten im Leben viel schlimmere Dinge passieren, als einen Boxkampf zu verlieren. Er müsse eben sein Training wieder aufnehmen, hart an sich arbeiten und sicherstellen, daß ihm so etwas nicht wieder passiert. Nach zwei bis drei weiteren Kämpfen sei das Schnee von gestern. Dann werde er sich wieder in einer Position befinden, die es ihm erlaube, große Ziele ins Auge zu fassen.

Promoter Frank Maloney wollte von unzulänglichen Nehmerfähigkeiten seines Boxers nichts wissen und stellte sogar in Abrede, daß es ein wirklich guter Schlag gewesen sei. Als Treffer am Kinn hätte Fury ihn vermutlich weggesteckt, doch könne ein Schlag aufs Ohr den Gleichgewichtssinn stören. Mehr als ein ungewöhnlicher Zufall sei das nicht gewesen, so der Promoter. Man werde sich zusammensetzen, den Kampf analysieren und herausarbeiten, was falsch gelaufen ist. Wenngleich man nun wieder von vorn anfangen müsse, sei das nicht das Ende der Welt.

25. Februar 2013