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PROFI/513: Marco Huck moralischer Sieger gegen Alexander Powetkin (SB)



Schwacher Ringrichter rettet dem Russen einen knappen Punktsieg

Alexander Powetkin hat den Titel des regulären Weltmeisters der WBA im Schwergewicht in der Stuttgarter Porsche-Arena erfolgreich verteidigt, doch als moralischer Sieger verließ Marco Huck den Ring. Der aus dem Cruisergewicht aufgestiegene Herausforderer hatte sich bei seinem Debüt in der Königsklasse hervorragend behauptet und dem 32 Jahre alten Russen alles abverlangt. Nach zwölf turbulenten Runden setzte sich der von Alexander Zemin vorbereitete Champion nur knapp mit 2:1 Punktrichterstimmen (114:114, 116:113, 116:112) gegen den kampfstarken und konditionell überlegenen 27jährigen Berliner durch, der ihn am Ende an den Rand einer K.o.-Niederlage brachte. Während Powetkin auch in seinem 24. Profikampf ungeschlagen blieb, stehen für Huck nun 34 Siege und zwei Niederlagen zu Buche.

Der in Serbien geborene Huck, der seit 2009 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, ist nach wie vor WBO-Weltmeister im Cruisergewicht. Obgleich ihm Promoter Sauerland und Trainer Ulli Wegner dazu rieten, vorerst in diesem Limit zu bleiben, forderte der Berliner im Dezember 2011 in Helsinki Alexander Powetkin öffentlich zum Kampf. Daraufhin ließ Sauerland seine Beziehungen zur WBA spielen, um die Zustimmung des Verbands zu diesem Titelkampf zu erwirken.

Obgleich beide Boxer bei Sauerland Event unter Vertrag stehen, kann man sie im Grunde kaum Teamkollegen nennen, da sie an verschiedenen Orten leben und trainieren. Die Stimmung in der mit 7.000 Zuschauern ausverkauften Halle war schon vor dem Kampf aufgeladen, zumal Powetkin zahlreiche russische Fans mobilisiert hatte, die ihn lautstark anfeuerten und Huck bei dessen Einmarsch gnadenlos auspfiffen. Umgekehrt hatte der Herausforderer jedoch die Mehrheit der Zuschauer hinter sich, die ihn frenetisch anfeuerten, als er den Ring betrat. Ein Handgemenge im Publikum vor der vierten Runde konnte von den Ordnern schnell geschlichtet werden.

Zum Auftakt, der von beiderseitiger Vorsicht geprägt war, sah man einige Angriffe des Weltmeisters, während der Herausforderer im Clinch mehrere Treffer landen konnte. Im zweiten Durchgang gewann Powetkin zusehends Sicherheit, als ihm dank seiner variablen Kampfesweise Schläge zum Kopf und Körper seines Gegners gelangen, der bereits an der Lippe zu bluten begann. Huck agierte weiterhin relativ zurückhaltend und ließ dem Russen sehr viel Raum, mit Treffern seiner Rechten und Kombinationen zu punkten.

Trainer Ulli Wegner erkannte natürlich, daß der Champion den Kampf diktierte, und spornte seinen Schützling an, die Initiative zu übernehmen. Das ließ sich Huck nicht zweimal sagen, der in der vierten Runde regelrecht aufdrehte und Powetkin zweimal mit der Rechten so heftig traf, daß dieser schwer angeschlagen nach Luft rang. Auch im folgenden Durchgang machte der Herausforderer einen wesentlich frischeren Eindruck als der noch immer eingeschränkt wirkende Russe.

Fortan suchte der Weltmeister immer wieder Zuflucht in einem tiefen Abducken des Kopfes, wofür ihn der Ringrichter schließlich ermahnte. Nach einer ausgeglichenen sechsten Runde brachte Huck im nächsten Durchgang einige Schwinger ins Ziel, die Powetkin erneut wanken ließen. Dieses Bild setzte sich in der achten und neunten Runde fort, da der Herausforderer aktiver zu Werke ging und den Russen gelegentlich mit wuchtigen Schläge traktierte. Dieser beschwerte sich zwar über unsaubere Treffen im Nacken und am Hinterkopf, an denen er freilich durch sein ständiges Abducken durchaus beteiligt war.

Erst in der elften Runde kam Powetkin besser zur Geltung, der einige Male mit seinem linken Haken durchkam und Huck relativ stark blutende Rißwunden über dem rechten Auge zufügte. Erstmals in diesem Kampf geriet auch der Herausforderer in beträchtliche Schwierigkeiten, was sich im zwölften und letzten Durchgang fortzusetzen schien, den Powetkin zunächst dominierte. Dann wendete sich plötzlich das Blatt als Marco Huck seine stärkste Waffe ausspielte, mit der er in der Vergangenheit schon manches verloren geglaubte Duell für sich entschieden hatte. Unter euphorischem Jubel der Zuschauer mobilisierte er die letzten Kräfte und fiel regelrecht über seinen Gegner her, der unter der Wucht der Treffer beinahe stehend k.o. ging.

Einen derart spannenden Schwergewichtskampf hatte man hierzulande lange nicht mehr erlebt, und da sich Marco Huck hervorragend aus der Affäre zog und um ein Haar vorzeitig gewonnen hätte, flogen ihm die Sympathien des überwiegenden Teils der jubelnden Zuschauer zu. Um so ernüchternder war die Verkündung des Urteils, das Powetkin einen Vorsprung an gelandeten Treffern zugute hielt.

In seiner anschließenden Stellungnahme lobte Huck den Weltmeister als guten Boxer, der eine starke Leistung gebracht habe. Indessen haderte er damit, daß Powetkin am Ende kaum noch stehen konnte und dennoch den Titel behielt. Der Berliner dankte den Zuschauern für die rückhaltlose Unterstützung und war der Auffassung, daß sicher viele, die den Kampf verfolgt hatten, ihn als Sieger gesehen haben dürften.

Alexander Powetkin war sich bewußt, daß er bei seinem Auftritt keineswegs überzeugt hatte. Er wisse nicht, woran das gelegen habe, rätselte der Russe. Vielleicht habe er Huck unterschätzt, möglicherweise sei er nicht entschieden genug auf diesen Kampf eingestellt gewesen. Obgleich er sich gut vorbereitet habe, sei seine körperliche Verfassung nicht optimal gewesen. Sein neuer Trainer Alexander Zimin, der für den aus beruflichen Gründen unabkömmlichen US-Amerikaner Teddy Atlas in der Vorbereitung eingesprungen war, deutete an, daß sein Schützling mit etwas weniger Gewicht besser zur Geltung gekommen wäre. Powetkin brachte mit 104 kg neun Kilo mehr als Huck auf die Waage, was entgegen den meisten Erwartungen ausschließlich dem Herausforderer zugute zu kommen schien.

"Wenn einer so oft den Kopf tief hat und keine Ermahnung kriegt, dann verstehe ich das nicht", grollte Ulli Wegner aufgebracht. "Marco hatte die Chance, durch K.o. zu gewinnen. Der war weg, eine Rechte mehr und der wäre am Boden gewesen." Powetkins konditioneller Zustand sei eines Olympiasiegers und Weltmeisters unwürdig gewesen. ARD-Experte Henry Maske, der sich mit seiner nüchternen Einschätzung zumeist wohltuend vom Gros sogenannter Boxexperten abhebt, kritisierte Powetkins Kampfesweise mit den Worten: "Das zeigt keine Klasse, den Kopf so tief zu nehmen." Dem schloß sich Regina Halmich mit ihrer Kritik an Referee Luis Pabon aus Puerto Rico an: "Wenn es heute einen Verlierer gibt, dann den Ringrichter", meinte die frühere Weltmeisterin.

Wie vor ihm Karl Mildenberger, Axel Schulz, Willi Fischer und Luan Krasniqi blieb es auch Marco Huck verwehrt, in die Fußstapfen Max Schmelings zu treten, der zwischen 1930 und 1932 Weltmeister im Schwergewicht war. Man sollte es diesbezüglich ohnehin mit Ulli Wegner halten, der dem Gerede um den ersten deutschen Schwergewichtschampion seit 80 Jahren wenig abgewinnen kann. Schmeling sei eine Legende gewesen, mit der man sich nicht leichtfertig messen sollte.

Ob Marco Huck, dem in der restlos gefüllten Arena und vor 6,3 Millionen Fernsehzuschauern bei der ARD beinahe die Sensation gelang, das Experiment im Schwergewicht fortsetzt, blieb vorerst offen. "Ich würde mich sehr freuen, wenn Herr Powetkin ein Mann ist und mir ein Rematch gibt", forderte er eine Revanche. Andererseits muß er sich nun entscheiden, ob er seinen angestammten Titel im Cruisergewicht behalten und wieder im niedrigeren Limit antreten will. Promoter Wilfried Sauerland wünscht sich eine Rückkehr in die Klasse bis 90 Kilogramm: "Mir persönlich wäre es am liebsten, wenn Marco ins Cruisergewicht zurückgeht. Ins Schwergewicht kann er immer noch."

Auf beide Boxer wartet nun ein Pflichtherausforderer: Marco Huck müßte sich im Cruisergewicht dem Briten Ola Afolabi stellen, Alexander Powetkin bekommt es mit dem früheren Champion Hasim Rahman zu tun. Ob der Russe wie geplant 2013 mit Superchampion Wladimir Klitschko in den Ring steigt, fällt unter die Rubrik Zukunftsmusik. Um bei einem solchen Duell um die unangefochtene Führerschaft beim Verband WBA gegen den Ukrainer bestehen zu können, müßte Powetkin eine wesentlich überzeugendere Vorstellung als gegen Marco Huck geben.

26. Februar 2012