Schattenblick →INFOPOOL →SPORT → BOXEN

PROFI/487: Cristobal Arreola war Vitali Klitschko nicht gewachsen (SB)


Weltmeister dank neuer Kampfesweise souveräner denn je


Vitali Klitschko hat seinen WBC-Titel im ausverkauften Staples Center von Los Angeles erfolgreich gegen Cristobal Arreola verteidigt. Der Weltmeister bot eine souveräne Vorstellung und dominierte durchweg das Geschehen, worauf der tapfere, aber überforderte Herausforderer auf dringendes Anraten des Ringarztes nach der zehnten Runde aus dem Kampf genommen wurde. Die Nummer eins der WBC-Rangliste erwies sich als außerordentlich robust und fest entschlossen, um keinen Preis aufzugeben, doch waren die zehn geboxten Runden, die Klitschko allesamt gewann, eine deprimierende Lehrstunde für den US-Amerikaner mexikanischer Herkunft. Der Schützling von Trainer Henry Ramirez hatte 301 Treffer eingesteckt, als seine Ecke das Handtuch warf, während für den Titelverteidiger nur 86 registriert worden waren.

Der Weltmeister überraschte durch eine Beweglichkeit, wie man sie bei ihm nie zuvor gesehen hatte. Klitschko wirkte in der Vergangenheit eher hölzern und zog sich in der Defensive mit einem weiten Ausfallschritt zurück. Nun zeigte er eine deutlich veränderte Beinarbeit, die es ihm immer wieder möglich machte, plötzlich in der Flanke Arreolas aufzutauchen und ihn zu unterlaufen. Dank dieser veränderten Kampfesweise stieß der Herausforderer mit seinen Angriffen zumeist ins Leere und bekam seinen Gegner selten in eine günstige Distanz für seine Schläge. Klitschko boxte fast ohne Deckung und schlug aus den zumeist wirkungslosen Angriffen Arreolas Kapital: "Ich habe ihn arbeiten lassen, weil er noch nie mehr als acht Runden geboxt hat." Wurde es aber doch einmal eng, sperrte der Ukrainer nicht mit gestreckten Armen, wie er das früher getan hatte, sondern leitete den Ansturm geschickt an sich vorbei, um sofort aus dieser für ihn günstigen Konstellation zu kontern.

"Der Unterschied war die Beinarbeit, die Beweglichkeit", räumte Arreola nach dem Kampf unumwunden ein. "Es tut weh, aber Vitali war heute der bessere Boxer. Ich habe alles versucht, aber er hatte immer eine passende Antwort." Trainer Fritz Sdunek war mit der Leistung seines Schützlings mehr als zufrieden: "Er hat sich gut bewegt und immer wieder im Rückwärtsgang gekontert - und das gegen einen Mann, der einen Schädel wie ein Stier hat." Auch Wladimir Klitschko zeigte sich besonders von der Beinarbeit seines Bruders beeindruckt: "Er hat sich unheimlich viel bewegt. Das habe ich vorher noch nicht bei ihm gesehen."

Hatte man erwartet, daß Chris Arreola von Beginn an auf Klitschko losstürmen würde, um eine frühe Entscheidung zu suchen, so überraschte die anfängliche Zurückhaltung des Herausforderers. Daher begann der Weltmeister offensiv und kontrollierte mit dem linken Jab und der rechten Schlaghand das Geschehen, wobei er den Gegner stets auf Distanz hielt. "Als ich ab der zweiten Runde gesehen habe, daß sein Haken gut kommt, war ich ganz beruhigt", berichtete Sdunek später. Ab dem vierten Durchgang schien Arreola besser in den Kampf zu finden und wagte sich aus der Defensive, ohne jedoch nennenswerte Treffer ins Ziel zu bringen. Klitschko boxte wie immer mit hängender Deckung und konterte nun wirkungsvoll, so daß seine häufigen Treffer Arreolas Augen zuschwellen ließen und offenbar zu einem Nasenbeinbruch führten, der die Atmung stark beeinträchtigte.

Arreolas Trainer Henry Ramirez feuerte seinen Schützling in den Ringpausen immer weiter an, den einzig rettenden "Lucky Punch" zu setzen, da Klitschko nach Punkten uneinholbar davonzog. Doch der Herausforderer mußte weiter zahlreiche schwere Treffer einstecken, wobei er enorme Nehmerqualitäten unter Beweis stellte und nicht zu Boden ging. "Ich sterbe lieber im Ring, als aufzugeben", sagte Arreola nach dem Abbruch. Das Einschreiten des Ringarztes war angesichts der Gesichtsverletzungen des Herausforderers nur zu berechtigt. Daß dessen Lager den Kampf aufgab, konnte Sdunek gut nachvollziehen: "Seine Ecke hat richtig entschieden." Trainer Henry Ramirez erklärte dazu: "Chris hat viele harte Schläge abbekommen. Es war keine leichte Entscheidung, aber es war mein Job, ihn zu schützen, deshalb habe ich ihn gestoppt."

Vitali Klitschko zollte dem Gegner für seinen Kampfgeist Respekt: "Es war der erwartet harte Fight. Ich habe in seinen Augen gesehen, daß er niemals aufgeben wird. Ich weiß, daß ich ihn mehrere Male schwer getroffen habe, aber er hat ein starkes Kinn", lobte der Champion seinen Kontrahenten. Diesem Urteil schloß sich sein Bruder mit den Worten an: "Das war schon eine harte Nuß. Aber er war ja auch bislang ungeschlagen", sagte der IBF- und WBO-Weltmeister. "Mich hat es gewundert, daß es Arreola bei diesen harten Schlägen überhaupt so lange ausgehalten hat", kommentierte Fritz Sdunek den Sieg. "Das war der beste Vitali, den wir jemals in einem Kampf gesehen haben. Eine Runde später wäre Arreola schwer K.o. gegangen. Was der Junge weggesteckt hat, war unglaublich."

Chris Arreola, der im 27. Kampf die erste Niederlage seiner Karriere hinnehmen mußte, ließ nach dem Abbruch seinen Tränen der Enttäuschung freien Lauf. Vitali Klitschko verbesserte im 40. Profikampf seine Bilanz auf 38 Siege, von denen er 37 durch K.o. erzielt hat. Kein Boxer der Welt kann ihm auf diesem Gebiet das Wasser reichen.

Kritik an der Leistung des 38jährigen Ukrainers übte Exweltmeister Mike Tyson: "Ich war erstaunt, wie lange der Fight gedauert hat. Letztes Jahr hätte Klitschko den Kampf in der zweiten Runde gewonnen. Aber wir sind Menschen und werden älter. Vielleicht hat es deswegen etwas länger gedauert." Auf die Frage, wer denn der nächste Tyson, der nächste mögliche US-Champion im Schwergewicht werden könne, wußte freilich auch er keine Antwort.

Der Jubel im Staples Center fiel eher verhalten aus, da die amerikanischen Beobachter das Haar in der Suppe suchten und fanden. Klitschko boxe nicht attraktiv genug, befanden die Kritiker, da er zu taktisch agiere und nicht den offenen Schlagabtausch suche. Auf diesen Einwand erwiderte der Weltmeister: "Vielleicht sieht meine Art nicht so beeindruckend aus, aber ich will meinen Kopf auch nach meiner Karriere noch benutzen. Deshalb konzentriere ich mich vor allem auf meine Verteidigung", betonte er. "Das war einer der besten Kämpfe von Vitali, boxerisch der beste", erklärte Fritz Sdunek. "Was soll Vitali denn machen? Er hält doch sein Kinn immer hin, die treffen ihn bloß nicht." Unterstützung erhielt er dabei von Chris Arreola: "Er hat seine Stärken genutzt, seine Größe, seine Reichweite, das ist halt sein Stil. Und damit hat er mir kräftig den Hintern versohlt!"

27. September 2009