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MELDUNG/2355: Mittelgewicht - Bürde der Favoritenrolle ... (SB)



Golowkin trifft in New York auf Derewjantschenko

Am 5. Oktober trifft Gennadi Golowkin im Kampf um den vakanten IBF-Titel im Mittelgewicht in New York auf Sergej Derewjantschenko. Der Auftritt im Madison Square Garden wird vom Streamingdienst DAZN in den USA und von Sky Sports in UK übertragen. Wenngleich DAZN und Golowkins britischer Promoter Matchroom Sports keine Mühe gescheut haben, Werbung für diese Veranstaltung zu machen, hält sich das Interesse des Publikums aus zwei Gründen in Grenzen. Zum einen hat der Kasache nach der Niederlage gegen Saul "Canelo" Alvarez mit dem Kanadier Steve Rolls lediglich einen weithin unbekannten Gegner besiegt und dabei phasenweise nicht gerade geglänzt. Zum anderen ist der Ukrainer kein Kandidat, der die Fans massenhaft hinter dem Ofen hervorholen könnte. Obgleich aus diesem Duell ein neuer Weltmeister hervorgehen wird, bleibt es bislang eher unter dem Radar allgemeinen Interesses. [1]

Der 37jährige Golowkin hat 39 Siege, eine Niederlage sowie ein Unentschieden vorzuweisen, während der vier Jahre jüngere Derewjantschenko dreizehn Kämpfe gewonnen und einen verloren hat. Als ehemaliger Champion dreier Verbände im Mittelgewicht bringt der Kasache eine weit größere Erfahrung mit und so wird er denn auch bei den Buchmachern als 5:1-Favorit geführt. Als die beiden einander bei der letzten Pressekonferenz Auge in Auge gegenüberstanden, wirkte Golowkin nicht nur erheblich größer, sondern auch insgesamt massiver als der Außenseiter. Dennoch trügt der Eindruck, daß Verlauf und Ausgang des Aufeinandertreffens so gut wie feststünden.

Der Ukrainer mag zwar bislang wenig bekannt sein, hat sich aber bei seiner einzigen Niederlage gegen den namhaften Daniel Jacobs ausgezeichnet gehalten. Er überbrückte sehr schnell die Distanz und entfaltete dicht am Gegner mit kurz angesetzten Kombinationen eine beträchtliche Wirkung, um sich ebenso rasch wieder zurückzuziehen. Dadurch schränkte er die Möglichkeiten des favorisierten New Yorkers ein, mit seinen Schlägen zum Zuge zu kommen. Wäre Jacobs nicht seinerseits im Infight bewandert, hätte er diesen Kampf wohl verloren. Zudem hat Derewjantschenko mit Andre Rozier einen ausgezeichneten Trainer, der auch schon Daniel Jacobs auf dessen Kampf gegen Golowkin im Jahr 2017 vorbereitet hat. Der Kasache hatte bis dahin seit 2008 sämtliche Auftritte vorzeitig gewonnen und war deshalb weithin gefürchtet. Gegen den gut eingestellten Jacobs mußte er erstmals wieder über volle zwölf Runden gehen, um den Sieg davonzutragen, der überdies relativ knapp ausfiel. [2]

Wie Rozier ankündigte, werde Derewjantschenko den Kasachen unablässig umkreisen und dank seiner Schnelligkeit aus der Distanz besiegen. Man kann davon ausgehen, daß diese Ansage ein Täuschungsmanöver war und der Ukrainer immer wieder den Infight suchen wird, der bekanntlich nicht Golowkins Metier ist. Daraus schlug schon "Canelo" Kapital, der im zweiten Kampf gegen ihn häufig angriff und sich dann wieder rasch aus dem Staub machte, so daß der Kasache selten die optimale Distanz für seine Schläge fand. Andre Rozier hat diese Szenen wie auch Golowkins Kampf gegen Steve Rolls zweifellos ausgiebig studiert und daraus seine Schlüsse gezogen.

Zudem könnte der Ukrainer davon profitieren, daß ihn der Gegner unterschätzt und zu sehr mit Zukunftsplänen beschäftigt ist, um sich ausschließlich auf ihren Kampf zu konzentrieren. Für Derewjantschenko ist dies womöglich die Chance seines Lebens, durch einen Sieg über den prominenten Kontrahenten nicht nur Weltmeister zu werden, sondern womöglich sogar Saul Alvarez zu interessieren und damit endgültig ins Rampenlicht zu springen wie auch sehr viel Geld zu verdienen. Daher wird er nichts unversucht lassen, den Kasachen vor größtmögliche Probleme zu stellen und die Oberhand zu behalten. [3]

Auf die Frage, was seine Vorteile in diesem Kampf seien, erwiderte der Ukrainer, er habe schnelle Füße, einen guten Jab und bewege sich behende. Golowkin habe lange nicht mehr im Ring gestanden, bevor er auf Steve Rolls traf, der als leichte Aufgabe ausgewählt worden sei. Daß er selbst nun als Außenseiter gegen den Kasachen antrete, kümmere ihn nicht. Das spiele keine Rolle mehr, sobald er ihm gegenüberstehe. Er freue sich auf einen großartigen Kampf, den er unbedingt gewinnen wolle. Setze er sich am 5. Oktober durch, werde er als neuer Champion Demetrius Andrade, Jermall Charlo und "Canelo" ins Visier nehmen. Derewjantschenko ist dank seiner Talente jedenfalls ein viel besserer Boxer, als sein geringer Marktwert glauben macht, so daß er dem Favoriten gravierende Probleme bereiten könnte.

Gennadi Golowkin wäre sicher gut beraten, sich nicht durch seine generelle Karriereplanung davon ablenken zu lassen, dem Ukrainer die volle Aufmerksamkeit zu schenken. In seinen letzten Interviews sprach der Kasache weniger über seinen aktuellen Gegner, als über "Canelo" und andere bedeutende Auftritte gegen namhafte Rivalen. Das mag zwar verständlich sein, trug aber nicht gerade dazu bei, das Interesse des Publikums an dem bevorstehenden Kampf zu beflügeln. Zugleich schloß Golowkin für den Fall seines Erfolgs eine Titelverteidigung gegen den aktuellen Pflichtherausforderer der IBF nicht aus, was bedeuten würde, daß er auf Kamil Szeremeta trifft. Dann hätte er im Rahmen seines hochdotierten Vertrags mit DAZN über sechs Kämpfe mit Rolls, Derewjantschenko und Szeremeta drei wenig bekannte Gegner in Folge vor den Fäusten gehabt und damit seiner Karriere einen Bärendienst erwiesen.

Diese Entwicklung ist Wasser auf die Mühlen "Canelos", der einem dritten Duell mit Golowkin eine entschiedene Absage erteilt und zur Begründung nicht zuletzt dessen unbedeutende Gegner anführt. Der Mexikaner hat sich zuletzt mit Daniel Jacobs und im nächsten Schritt am 2. November in Las Vegas mit dem WBO-Weltmeister Sergej Kowaljow im Halbschwergewicht wesentlich bekanntere und attraktivere Optionen ausgesucht, was ihm die ungebrochene Gunst seiner riesigen Fangemeinde beschert, während sein früherer Erzrivale Golowkin ins Abseits zu rutschen droht.

Im Kampf gegen Steve Rolls wirkte Golowkin drei Runden lang wenig motiviert und ließ es zu, daß ihn der krasse Außenseiter des öfteren mit wuchtigen Treffern beharkte. Erst in der vierten Runde erhöhte der Kasache den Druck und überraschte den Kanadier mit einem linken Haken zum Kopf, der das vorzeitige Ende einleitete. Rolls stürzte nach einem weiteren Volltreffer kopfüber zu Boden und wurde ausgezählt. Wenngleich der Kasache also unter dem Strich für klare Verhältnisse gesorgt hatte, nahm doch seine zurückhaltende Kampfesweise in der Anfangsphase breiten Raum in der Bewertung seines Auftritts ein.

Da Derewjantschenko stärker als der Kanadier einzuschätzen ist, kann es sich Golowkin nicht leisten, abermals eher unmotiviert in den Ring zu steigen. Die bevorzugte Kampfesweise des Ukrainers kommt ihm überhaupt nicht entgegen, da er ihn sich entschieden vom Leib halten muß. Andererseits muß er ihm energisch nachsetzen, sobald er zurückweicht, um sich nicht mit solchen Manövern ausboxen zu lassen. Derewjantschenko gebietet zwar nicht über die erforderliche Schlagwirkung, um den widerstandsfähigen Kasachen auszuschalten, könnte aber durchaus nach Punkten gewinnen, sofern er sich bei einem Wechsel zwischen schnellem Vorstoßen und Entweichen nicht allzu oft treffen läßt.

Wie Golowkin einräumt, habe das ewige Warten auf "Canelo" und dessen enttäuschende Absage, sich am 14. September mit ihm zu messen, seine Motivation beeinträchtigt. Jetzt fühle er sich jedoch wieder gut in Schuß, da die Arbeit mit seinem Trainer Jonathon Banks Früchte trage. Er sei schneller geworden und habe das Timing verbessert, was Derewjantschenko zu spüren bekommen werde. Der Kasache hatte sich bekanntlich von seinem langjährigen Trainer Abel Sanchez getrennt und mit Banks zusammengetan, der seine Kampfesweise anders auszurichten und zu verbessern versprach. Großer Wert wird nun auf häufigere Kombinationen und eine deutlich höhere Schlagfrequenz gelegt, um zu verhindern, daß sich Golowkin abermals von einem punktejagenden Gegner wie "Canelo" ausbooten läßt. Sollte die Schlagwirkung des Kasachen tatsächlich in jüngerer Zeit etwas gelitten haben, so reicht sie doch immer noch aus, jeden Kontrahenten zu fällen, der sich ihr nicht konsequent entzieht. Saul Alvarez hat eine Blaupause geliefert, wie der vordem unschlagbare Golowkin zu besiegen ist, auch wenn sich der Mexikaner dabei der Gunst der Punktrichter erfreute.

Sollte Derewjantschenko volle zwölf Runden überstehen, würde dies wohl bedeuten, daß er zusammen mit seinem Trainer eine taktische Marschroute entwickelt und umgesetzt hat, die einen Punktsieg in greifbare Nähe rückt. Der Ukrainer boxt zwar nicht auf dem Niveau des Mexikaners, der über blitzschnelle Hände und eine enorme Konterstärke verfügt, könnte aber dennoch verhindern, daß Golowkin häufig in eine günstige Schlagdistanz kommt. Dem ehemaligen Weltmeister steht daher die vertrackte Aufgabe ins Haus, nicht nur vor einem weithin unterschätzten Außenseiter auf der Hut zu sein, sondern diese Aufgabe auch noch mit Bravour zu lösen. Dann wäre der neugewonnene IBF-Titel ein Pfund, mit dem sich in Verhandlungen um hochkarätige Kämpfe in dieser Gewichtsklasse oder im Supermittelgewicht wuchern ließe.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/10/derevyanchenko-looking-to-upset-golovkin-on-saturday/

[2] www.boxingnews24.com/2019/10/face-to-face-gennady-golovkin-vs-sergiy-derevyanchenko-nyc-media-workout/

[3] www.boxingnews24.com/2019/10/golovkins-trainer-banks-canelo-doesnt-want-to-fight-ggg/

3. Oktober 2019


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