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MELDUNG/2350: Schwergewicht - Revanche an neutralem Ort ... (SB)



Ruiz und Joshua treffen in Saudi-Arabien aufeinander

Andy Ruiz und Anthony Joshua sind nach langen und zähen Verhandlungen übereingekommen, ihre Revanche am 7. Dezember in Diriyah auszutragen. Während der neue Weltmeister der Verbände WBA, WBO und IBF im Schwergewicht zunächst darauf bestanden hatte, seine Titel in den USA oder in Mexiko zu verteidigen, versuchte der britische Promoter Eddie Hearn, den Kampf nach England oder Wales zu holen. Am Ende lief diese Kontroverse darauf hinaus, den Rückkampf in Saudi-Arabien und damit an einem neutralen Ort zu veranstalten, der zugleich mit günstigen finanziellen Konditionen lockt. Wenngleich sich Joshuas Promoter mit der Wahl dieser Alternative insofern durchgesetzt hat, als er seinen Boxer zumindest nicht einem Heimvorteil des Gegners aussetzen muß, ließ sich der Champion seine Einwilligung mit einem Aufschlag bezahlen. Er wird dem Vernehmen nach deutlich mehr als die 9 Millionen Dollar erhalten, die er ursprünglich bekommen sollte. [1]

Für Andy Ruiz stehen 33 Siege und eine Niederlage zu Buche, Anthony Joshua hat 22 Auftritte gewonnen und einen verloren. Der in Kalifornien lebende Weltmeister hatte den Briten am 1. Juni im New Yorker Madison Square Garden auf spektakuläre Weise entthront, als er ihn in der siebten Runde geschlagen auf die Bretter schickte. Der Kampfvertrag beinhaltete die Option einer Revanche, von der Joshua umgehend Gebrauch machte. Diese Entscheidung rief reichlich Kritik auf den Plan, da viele Experten der Ansicht waren, daß nach einer derart schweren Niederlage einige leichtere Aufbaukämpfe ratsamer seien. Andererseits wäre es dann erheblich schwieriger, wieder an die Titel heranzukommen, die unter Umständen schon weitergewandert wären. Jedenfalls will sich der Brite umgehend rehabilitieren, womit er ein enormes Risiko eingeht.

Obgleich Joshua behauptet, Ruiz habe ihn durch einen Glückstreffer besiegt, bot der damalige Kampfverlauf ein ganz anderes Bild. Zwar landete der Herausforderer zuerst auf den Brettern, doch stand er sofort wieder auf und schickte den Briten seinerseits zu Boden. Danach blieb Ruiz mindestens ebenbürtig und gewann schließlich klar die Oberhand, als der Titelverteidiger wie üblich konditionell einbrach und mehrmals niedergeschlagen wurde, bis es schließlich zum Abbruch kam. Auch die Annahme, der Brite habe den nach dem Ausfall Jarrell Millers als Ersatzgegner verpflichteten Ruiz unterschätzt und sich vorwiegend mit seinem Erzrivalen Deontay Wilder beschäftigt, hilft dem Briten jetzt nicht weiter.

Daß Joshua nun weiß, wie gefährlich Ruiz ist, verbessert seine Voraussetzungen im Rückkampf nur geringfügig. Natürlich hatte es sich als Fehler herausgestellt, den als Kanonenfutter angeworbenen Herausforderer sträflich zu unterschätzen. Damit stand das britische Gespann jedoch nicht allein, da Andy Ruiz zwar unter Experten als sehr talentiert galt, aber in seiner Karriere bis dahin nicht allzu viel erreicht hatte. Vielen dürfte entgangen sein, daß Ruiz nur höchst umstritten gegen Joseph Parker verloren hatte und ansonsten nicht deswegen ungeschlagen war, weil er nur gegen schwache Kontrahenten geboxt hätte. Mit seiner fülligen Figur und der freimütigen Erklärung, er esse zur Vorbereitung gerne Schokoriegel, wirkte er im Kontrast zu dem muskelbepackten Briten nicht gerade wie ein aussichtsreicher Anwärter - sofern man unzulässigerweise vom äußeren Augenschein auf die boxerischen Qualitäten schloß. [2]

Davon abgesehen, daß Anthony Joshua in der Woche vor diesem Kampf fast nur von Deontay Wilder und auffallend selten von Andy Ruiz gesprochen hatte, stand es ihm grundsätzlich schlecht zu Gesicht, dies nach seiner Niederlage als Ausrede vorzuhalten. Der Brite räumte an keiner Stelle ein, daß sein Gegner an jenem Abend der bessere Boxer gewesen war und keineswegs zufällig gewonnen hatte. Viele Möglichkeiten, seine taktische Marschroute zu variieren, dürften Joshua nicht zu Gebote stehen, der nun andeutet, Ruiz sei langsam auf den Füßen und einer beweglichen Kampfesweise nicht gewachsen. Wohl trifft es zu, daß Joshua seinem Gegner den Rest geben wollte und dabei in einen schweren linken Haken lief, doch bliebe ihm wohl nur die Alternative, aus der Distanz mit dem Jab zu schlagen und Punkte zu sammeln. Das hatte gegen Joseph Parker allerdings nur deswegen funktioniert, weil der Ringrichter den Neuseeländer aus unerklärlichen Gründen permanent davon abhielt, dem Briten zu nahe zu kommen. Joshua abermals zu bevorteilen, wird in Saudi-Arabien kaum möglich sein, so daß er ohne diese Protektion auskommen muß, die ihm zu Hause mehr als einmal zugute kam.

Eine zweite Niederlage gegen Ruiz wäre verheerend für Joshua, da er endgültig entzaubert und der ihm angedichteten unabweislichen Überlegenheit entkleidet würde. Auch für Matchroom Boxing steht viel auf dem Spiel, weil er mit Abstand das meiste Geld in der Kasse klingeln läßt. Eine Trennung von seinem Trainer, dem es über die Jahre nicht gelungen ist, die gravierendsten Schwächen seines Boxers abzustellen, steht für Joshua nicht zur Diskussion. Das könnte mit seiner eigenen Einschätzung zusammenhängen, daß er der beste Schwergewichtler der Welt sei und allenfalls kleinerer Verbesserungen bedürfe. Sein Promoter Eddie Hearn hat ihn stets mit passenden Gegnern versorgt, die ihn nicht überforderten, und die Ringrichter neigten dazu, den Kampf abzubrechen, sobald er heftig auf seinen Kontrahenten einschlug, oder hinderten wie im Falle Parkers gefährliche Herausforderer daran, ihm zu Leibe zu rücken.

Daß ihm nach einigen flotten Runden die Luft auszugehen pflegt, dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, daß er sich einen massiven Muskelpanzer zugelegt hat, der an einen Bodybuilder erinnert und sein Kreislaufsystem zu überfordern droht. Auf Bildern jüngeren Datums erweckt er tatsächlich den Eindruck, als habe er endlich begonnen, diese überflüssige Last abzubauen, was sein Ernährungsberater allerdings entschieden dementiert. Von den Konditionsproblemen abgesehen gilt Joshua zudem als Boxer mit einem schwachen Kinn, der Volltreffer nicht verkraftet, und auch über keine solide Deckung verfügt. Sein Erfolgsrezept besteht im wesentlichen darin, eher früher als später auf den Gegner loszugehen und ihn unter zahlreichen Schlägen niederzuwalzen, bis der Referee einschreitet und dem Geschehen ein Ende macht.

Natürlich folgt aus dem Verlauf des ersten Kampfs nicht zwangsläufig ein ähnlicher Ausgang der Revanche. Ruiz weiß seit seinem Erfolg, wie er den Briten besiegen kann, und wirkt sehr zuversichtlich, daß ihm das abermals gelingen wird. Zweifellos arbeitet auch sein Team an Varianten, die mögliche Modifikationen auf seiten Joshuas neutralisieren könnten. Setzt sich der Weltmeister wiederum durch, winken ihm künftig noch weit höhere Einkünfte. Der Vertrag für den ersten Kampf sah für eine mögliche Revanche festgelegte Bedingungen vor, die selbst die Höhe der Börse und die Wahl des Austragungsorts betrafen. Dadurch waren Andy Ruiz die Hände weitgehend gebunden, als neuer Weltmeister deutlich höhere Einkünfte zu verlangen und den Kampf dorthin zu holen, wo er sich der Unterstützung seiner Fangemeinde sicher sein könnte.

Eddie Hearn saß also am längeren Hebel und pochte auf Einhaltung des Vertrags, ja er reichte zuletzt sogar eine Klage ein, um Ruiz das Einverständnis abzunötigen, in Saudi-Arabien anzutreten. Diese Klage zog er sofort wieder zurück, als es zur Einigung kam. Andererseits stand natürlich auch der britische Promoter unter Zugzwang, da er einen Veranstaltungsort buchen mußte, der hohe Einkünfte versprach, und im Falle einer Absage beträchtliche Verluste eingefahren hätte. Da sich Joshua nun einmal für einen sofortigen Rückkampf entschieden hatte, mußte Hearn dafür sorgen, daß Andy Ruiz nicht absprang, und zuletzt nach hartem Verhandlungspoker noch etwas drauflegen. Gemessen daran, daß das Spektakel 100 Millionen Dollar oder mehr einspielen könnte, streicht Joshuas Seite nach wie vor den Löwenanteil ein, während der Champion finanziell den kürzeren zieht.

Auch dieser Einfluß steht bei der Revanche in Saudi-Arabien zur Disposition, da Matchroom Boxing bislang dank des boomenden britischen Boxgeschäfts die Schwergewichtsszene von der Spitze her kontrollierte. Anthony Joshua war nicht nur Weltmeister dreier Verbände, sondern garantierte auch die mit Abstand größten Zuschauerzahlen und höchsten Umsätze. Deshalb diktierte Eddie Hearn in hohem Maße die Konditionen und verweigerte beispielsweise WBC-Champion Deontay Wilder eine Aufteilung der Einkünfte im Verhältnis 50:50, wie sie der US-Amerikaner verständlicherweise forderte. Für den britischen Promoter geht es dabei um viel Geld, insbesondere aber um Dominanz in der Branche und nicht zuletzt darum, gefährliche Gegner wie Wilder von Joshua fernzuhalten, ohne den Eindruck zu erwecken, man laufe vor ihm davon.

Sollte nichts mehr dazwischenkommen, fällt also am 7. Dezember eine Entscheidung von beträchtlicher Tragweite. Hearns Imperium würde zwar auch dann nicht zusammenbrechen, sollte sein einträglichster Boxer die Führungsposition endgültig einbüßen. Er expandiert in die USA und hat einen Zehnjahresvertrag mit dem Streamingdienst DAZN abgeschlossen, der ihm dem Vernehmen nach eine Milliarde Dollar einbringt, sofern es ihm nur gelingt, zahlreiche Veranstaltungen in England und den USA auf die Beine zu stellen. Es handelt sich um ein aggressives Wachstumsmodell, mit dem die anderen Promoter und Sender niederkonkurriert und aus dem Geschäft gedrängt werden sollen. Verglichen mit diesem Krieg ist der Kampf im Ring, so real er auch ausgetragen wird, wiederum nur ein Widerschein hintergründiger Schlachten, deren Ausgang sich zwar andeutet, aber noch keineswegs endgültig feststeht.


Fußnoten:

[1] www.boxingnews24.com/2019/08/andy-ruiz-vows-to-end-anthony-joshuas-career-on-december-7/

[2] www.boxingnews24.com/2019/08/andy-ruiz-jr-has-signed-paperwork-for-anthony-joshua-to-finalize-rematch/

25. August 2019


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