Schattenblick → INFOPOOL → SPORT → BOXEN


MELDUNG/2259: Schwergewicht - Sprung ins Haifischbecken ... (SB)



Britischer Promoter Eddie Hearn expandiert in die USA

Der britische Promoter Eddie Hearn hat seinen Expansionskurs bekräftigt und angekündigt, er wolle den größten Boxstall aller Zeiten aufbauen. In Großbritannien sei Matchroom Boxing die unangefochtene Nummer eins, nun werde er sein Engagement in den USA verstärken, um auch dort die Führerschaft zu erlangen. Dieses Vorhaben dürfte jenseits der Großen Teichs als Kampfansage aufgefaßt werden, wobei sich alle Beteiligten im klaren darüber sein sollten, daß Hearn auf diesem Kurs noch ein sehr langer und steiniger Weg bevorsteht. Bislang hat er an US-amerikanischen Boxern lediglich den Mittelgewichtler Daniel Jacobs und Jarrell Miller im Schwergewicht unter Vertrag. Ob Jermall und Jermell Charlo anbeißen, nach denen er die Angel ausgeworfen hat, ist völlig offen. Sollten die Zwillingsbrüder seinem Ruf folgen, wäre das in der Tat ein spektakulärer Fischzug, doch wenn nicht, kaum mehr als ein geplatzter Versuchsballon.

Jacobs hat einen guten Namen, aber keine sonderlich große Fangemeinde, wenn man einmal von New York absieht. Zudem erweckt er in jüngster Zeit den Eindruck, als habe ihn die achtbare Punktniederlage gegen Gennadi Golowkin im März letzten Jahres nicht so sehr beflügelt, als vielmehr nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen. Vielleicht hat Golowkins Trainer Abel Sanchez ja doch ins Schwarze getroffen, als er sich kürzlich darüber ausließ, daß kein Boxer mehr derselbe sei, wenn er GGG im Ring gegenübergestanden und dessen Schläge gespürt habe. Jacobs ist nun Pflichtherausforderer des Kasachen, den er aber so schnell kein zweites Mal vor die Fäuste bekommen wird. Zudem bedürfte es schon eines Wunders, um bei einer Revanche mit Golowkin nicht unterzugehen, was gleichermaßen der Fall wäre, wagte er sich an Jermall Charlo heran. Noch ist Daniel Jacobs nicht auf dem absteigenden Ast, aber wiederum auch kein Boxer, dem die Zukunft gehört.

Doch hören wir zunächst, was Eddie Hearn über die einheimische Konkurrenz zu sagen hat. Er wolle nicht arrogant klingen, sehe aber in Frank Warren keinen ernsthaften Konkurrenten. Dieser kämpfe mit Cyclone und Hennessy Sports um Marktanteile, während Matchroom Boxing mit Top Rank, Golden Boy und Al Haymon in einer anderen Liga spiele. Frank mache gute Arbeit und verdiene Respekt, zumal er schon so lange im Geschäft sei. Auf dem britischen Markt brauche sich Matchroom jedoch keine Sorgen zu machen, und dieselbe Führungsposition strebe er künftig auch in den USA an, so Hearn.

Frank Warren, vordem der einflußreichste britische Promoter, hat nach wie vor viele Boxer unter Vertrag, darunter Billy Joe Saunders, Tyson Fury, Daniel Dubois, Anthony Yarde und Carl Frampton. Saunders gehört als WBO-Weltmeister zu den besten Mittelgewichtlern, Fury versucht sich an einem Comeback, Dubois könnte künftig im Schwergewicht Karriere machen, Frampton war bis vor kurzem der führende Akteur im Federgewicht. Wen hat Eddie Hearn demgegenüber aufzubieten? Neben seinem absoluten Flaggschiff Anthony Joshua sind Namen wie Dillian Whyte, Amir Khan, Kell Brook, Tony Bellew, Luke Campbell, Ryan Burnett, Lee Selby, Scott Quigg, Josh Taylor, David Allen, Jamie McDonnell und Kal Yafai zu nennen, so daß die Frage der Vorherrschaft auf der Insel eindeutig geklärt sein dürfte.

Die alles überragende Zugnummer ist Joshua im Schwergewicht, zu dessen Auftritten mehr als 80.000 Zuschauer ins Londoner Wembley-Stadion oder ins Millennium-Stadion in Cardiff strömen, während im britischen Pay-TV beste Quoten erzielt werden. In den USA ist Boxen eher zu einem Nischensport geschrumpft, wenn man einmal von einigen wenigen spektakulären Ausnahmen absieht. Hingegen boomt das britische Boxgeschäft seit Jahren, so daß ein Ende des Geldflusses wie etwa in Deutschland nicht in Sicht ist. Davon profitiert insbesondere Eddie Hearn, der mit Antony Joshua vor allem im Schwergewicht die Bedingungen weltweit diktiert. Joshua könnte noch etliche goldene Jahre vor sich haben, aber auch von Deontay Wilder entzaubert werden, träfen die beiden denn im Kampf der Superlative aufeinander.

Hinter Anthony Joshua sieht es längst nicht so gut aus. Khan und Brook sind international wohlbekannt, stünden aber gegen US-Konkurrenten wie Errol Spence, Keith Thurman, Erislandy Lara, Jarrett Hurd oder die Brüder Charlo auf verlorenem Posten. Auch mit Tony Bellew hat Hearn gute Kasse gemacht, obgleich Bellew weder im Cruiser- noch im Schwergewicht in der Spitze mithalten kann. Wollte man eine Liste erstellen, wer ihn in diesen beiden Gewichtsklassen das Fürchten lehren würde, bräuchte man schon ein großes Blatt Papier. Die Frage könnte sich indessen bereits an diesem Wochenende erübrigen, da Tony Bellew abermals auf David Haye trifft, der sich in ihrem ersten Kampf aufgrund einer schweren Verletzung an der Achillessehne geschlagen geben mußte. Ohne Joshua, Khan, Brook und Bellew sähe Hearns Rechnung zwangsläufig ganz anders aus. Er hat zwar noch viele andere talentierte und erfolgreiche Boxer in den leichteren Gewichtsklassen unter Vertrag, doch ist derzeit kein Nachfolger Joshuas in Sicht, der künftig in die Weltklasse aufsteigen und vor allem im Bezahlfernsehen abkassieren könnte. [1]

Natürlich ist Eddie Hearn Experte genug, um zu wissen, wie weit ihm Bob Arum (Top Rank), Oscar de la Hoya (Golden Boy) und der einflußreiche Schattenmann Al Haymon in den USA voraus sind. Daß der britische Promoter daran geht, auf dem US-amerikanischen Markt Fuß zu fassen, ist ebenfalls kein Geheimnis. Warum Hearn den Ball nicht flach hält und seinen Fischzug in aller Stille betreibt, um den mächtigen Rivalen weniger Angriffsfläche zu bieten, dürfte verschiedenen Gründen geschuldet sein. Aktueller Anlaß ist der Machtkampf mit Shelly Finkel und vor allem Al Haymon um die Konditionen eines Duells der Weltmeister zwischen Anthony Joshua und Deontay Wilder. Offenbar legt der britische Promoter mit seinen Eroberungsplänen nach, um sich nicht die Blöße zu geben, plötzlich am kürzeren Hebel zu sitzen. Fast alles, was Hearn bislang angefaßt hat, ist ihm gelungen, und seine Durchsetzungsfähigkeit wuchs mit jedem Erfolg. Die einheimische Konkurrenz blieb mehr oder minder auf der Strecke, nun steht der Sprung ins eigentliche Haifischbecken bevor.


Fußnote:

[1] www.boxingnews24.com/2018/05/hearn-says-hes-going-to-build-the-largest-stable-in-boxing/#more-262155

3. Mai 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang